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»Ihr habt recht, Rand al'Thor. Den Shaido keine Ehre geben.« Er ließ seinen Schleier hängen und erhob die Stimme: »Keine Ehre den Shaido!« Rand wandte sich nicht um, aber er hatte das Gefühl, daß auch hinter ihm die Schleier gelöst würden. »Oh, Blut und Asche!« knurrte Mat. »Blut und verfluchte Asche!«

Wasch den Speer — bis die Sonne erkaltet. Wasch den Speer — bis das Wasser verrinnt. Wasch den Speer...

Die Reihen der Shaido bewegten sich nervös. Was ihnen Couladin oder Sevanna auch gesagt haben mochten — sie konnten auf jeden Fall zählen. Mit Rhuarc und seiner Begleitung den Tanz der Speere zu tanzen war ja schön und gut, obwohl es dem Brauch widersprach, aber ihn mit so vielen Taardad zu tanzen, daß sie die Shaido wie eine Lawine wegfegen konnten, war eine ganz andere Sache. Langsam traten sie zur Seite und öffneten einen breiten Durchgang, damit Rand weiterreiten konnte.

Rand seufzte erleichtert auf. Und Adelin mit ihren anderen Töchtern des Speers schritt unbeeindruckt und hoch aufgerichtet voran, als existierten die Shaido überhaupt nicht.

Wasch den Speer — und ich hol tief Luft. Wasch den Speer — meine Stahlspitze schimmert. Wasch den Speer...

Der Gesang hinter ihnen wurde immer leiser, als sie durch die schmale Schlucht mit ihren steilen Felswänden zu beiden Seiten schritten. In tiefem Schatten zog sich die Schlucht weit in die Berge hinein. Minutenlang war das lauteste Geräusch das Klappern der Hufe auf dem Felsboden und danach das leise Auftreten der Aielstiefel. Dann plötzlich weitete sich der Durchlaß, und sie befanden sich im Alcair Dal.

Rand wurde klar, warum das Tal als schüsselförmig bezeichnet wurde; allerdings war nichts daran golden. Es war beinahe kreisrund. Der graue Steinwall außenherum war nicht zu steil, außer am hinteren Ende, wo sich wie bei einem Brecher auf See ein Überhang ergab. Am gesamten Außenhang standen dichte Gruppen von Aiel mit bloßen Köpfen und unverschleiert. Es gab viel mehr Gruppen von ihnen als Clans. Die Taardad, die mit den Septimenhäuptlingen gekommen waren, gingen nun hinüber zu der einen oder anderen dieser Gruppen. Rhuarc hatte gemeint, eine Gruppenbildung nach Kriegergemeinschaften anstatt nach Clans sei hilfreich, um besser Frieden halten zu können. Nur seine Roten Schilde und die Töchter blieben bei Rand und den Häuptlingen der Taardad.

Die Septimenhäuptlinge der anderen Clans saßen alle nach Clans geordnet im Schneidersitz vor einer langen Felsplattform unter dem Überhang. Sechs kleine Gruppen, darunter eine mit Töchtern des Speers, befanden sich zwischen den Septimenhäuptlingen und dem Felsvorsprung. Das sollten wohl diejenigen Aiel sein, die als Ehrenwachen mit den Clanhäuptlingen gekommen waren. Sechs, obwohl sich nur fünf Clans hier befanden! Die Töchter waren wahrscheinlich mit Sevanna gekommen. Obwohl — Aviendha hatte ihm schnell noch erklärt, daß Sevanna selbst nie eine Far Dareis Mai gewesen sei. Doch die überzählige Gruppe... Elf Mann waren das, und nicht zehn. Rand sah wohl nur den Hinterkopf mit dem flammenfarbenen Haar, doch er war sicher, daß es Couladin sein mußte.

Auf dem Vorsprung selbst stand eine Frau mit goldenem Haar mit ebensoviel Schmuck wie jene andere Frau draußen bei den Buden, den grauen Schal über die Arme gelegt — klar, daß dies Sevanna sein mußte — und daneben vier Clanhäuptlinge, jeder bis auf sein langes Messer am Gürtel unbewaffnet. Einer davon war der größte Mann, den Rand je gesehen hatte. Der Beschreibung Rhuarcs nach mußte das Bael von den Goshien Aiel sein. Der Kerl war garantiert noch eine Handspanne größer als Rhuarc oder er selbst. Sevanna sprach gerade und durch irgendeine akustische Besonderheit war jedes ihrer Worte überall deutlich hörbar.

»... gestattet ihm, hier zu sprechen!« Ihre Stimme klang nervös und zornig. Mit hocherhobenem Kopf und steifem Kreuz bemühte sie sich, die Szenerie von dort oben zu beherrschen. »Ich verlange das als mein Recht! Bis ein neuer Häuptling erwählt ist, stehe ich für Suladric und die Shaido. Ich bestehe auf meinen Rechten!« »Ihr steht für Suladric, bis ein neuer Häuptling erwählt ist, Dachherrin.« Der weißhaarige Mann, der diese Worte ziemlich gereizt sprach, war Han, Clanhäuptling der Tomanelle. Mit einem Gesicht wie aus dunklem, verknittertem Leder wäre er an den Zwei Flüssen noch als überdurchschnittlich groß bezeichnet worden, doch für einen Aiel war er klein und untersetzt. »Ich habe keine Zweifel daran, daß Ihr die Rechte einer Dachherrin gut kennt, aber die eines Clanhäuptlings vielleicht nicht ganz so gut. Nur einer, der Rhuidean betreten hat, darf hier sprechen — und dazu Ihr, die an Suladrics Statt hier steht« —es klang nicht gerade glücklich, wie Han es aussprach, aber andererseits war er ein Typ, der wohl kaum jemals glücklich sein dürfte —, »aber die Traumgängerinnen haben unseren Weisen Frauen gesagt, daß Couladin das Recht, Rhuidean zu betreten, verweigert wurde.« Couladin schrie etwas dazwischen, offensichtlich wütend, aber undeutlich, denn die Akustik im Tal wirkte sich wohl nur auf den Vorsprung aus. Dann unterbrach ihn Erim von den Chareen, dessen ebenfalls leuchtend rotes Haar schon zur Hälfte weiß war, in scharfem Ton: »Habt Ihr keinen Respekt vor Sitte und Gesetz, Shaido? Habt Ihr keine Ehre im Leib? Schweigt still!« Ein paar Blicke von den Hängen her wandten sich den Ankömmlingen zu, um zu sehen, wer da gekommen sei. Diejenigen, die zwei Ausländer auf Pferden an der Spitze der Septimenhäuptlinge entdeckt hatten, von denen einer auch noch von Töchtern des Speers geleitet wurde, stießen ihre Nebenleute an. Rand fragte sich, wie viele Aiel ihn innerhalb kürzester Zeit neugierig anblickten. Dreitausend? Viertausend? Mehr? Keiner gab etwas von sich.

»Wir haben uns hier versammelt, um eine große Neuigkeit zu erfahren, sobald alle Clans angekommen sind«, sagte Bael. Auch sein dunkelrotes Haar ergraute bereits. Es gab unter den Clanhäuptlingen keine jungen Männer. Seine Körpergröße und die tiefe Stimme zogen die Blicke auf sich. »Wenn alle Clans angekommen sind. Wenn Sevanna jetzt nichts anderes vorzubringen hat, als für Couladin die Erlaubnis zum Sprechen zu erbitten, dann gehe ich zu meinen Zelten zurück und warte.« Jheran von den Shaarad, den Todfeinden von Baels Goshien, war ein schlanker Mann, in dessen hellbraunem Haar viele graue Strähnen zu sehen waren. Seine Schlankheit war die einer Stahlklinge. Er sprach niemanden unter den Clanhäuptlingen direkt an. »Ich sage, wir kehren nicht zu den Zelten zurück. Da uns Sevanna nun einmal zusammengebracht hat, sprechen wir doch über etwas, das nur ein bißchen weniger wichtig ist als die Neuigkeit, auf die wir warten: Wasser. Ich möchte mit Euch über die Wasserrechte an der Bergkettenfeste sprechen.« Bael wandte sich ihm drohend zu.

»Narren!« fuhr Sevanna sie an. »Ich habe genug vom Warten! Ich... « In diesem Augenblick wurden die anderen auf dem Vorsprung der Neuankömmlinge gewahr. In lähmendem Schweigen beobachteten sie, wie sie sich näherten. Die Clanhäuptlinge runzelten die Stirn. Sevanna machte eine finstere Miene. Sie war eine hübsche Frau, noch nicht einmal in mittleren Jahren und noch jünger wirkend, da sie zwischen viel älteren Männern stand. Doch ihr Mund wirkte gierig. Die Clanhäuptlinge waren würdevolle Männer, selbst Han mit seiner säuerlichen Miene, doch der Blick aus ihren blaßgrünen Augen war berechnend. Im Gegensatz zu allen Aielfrauen, die Rand je gesehen hatte, trug sie ihre lose weiße Bluse so weit geöffnet, daß man einen guten Ausblick auf ihren vom Halsschmuck eingerahmten sonnengebräunten Busen hatte. Die Männer hätte er schon an ihrem Verhalten als Clanhäuptlinge erkannt, aber wenn Sevanna Dachherrin war, dann hatte sie nicht viel mit Lian gemein.

Rhuarc ging geradewegs zu der Felsplatte hin, reichte Speere und Schild, Bogen und Köcher seinen Roten Schilden und kletterte nach oben. Rand gab seine Zügel Mat, der daraufhin knurrte: »Glück steh uns bei!« Er beäugte dabei die Aiel in ihrer Umgebung. Adelin nickte Rand aufmunternd zu, und der trat vom Pferdesattel aus direkt auf den Felsvorsprung. Ein überraschtes Murmeln erfüllte die Mulde.