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»Vielleicht hat es mit den Weißmänteln zu tun, Mutter. Sie waren überall in Alindaer zu finden, als ich die Brücke überquerte.« Sie glaubte nicht daran, daß die Kinder des Lichts etwas mit den vorhergesehenen Ereignissen zu tun hätten, aber sie zögerte, das auszusprechen, was sie wirklich glaubte. Wohlgemerkt: glaubte, nicht ›wußte‹. Aber das war schon schlimm genug.

Doch die Amyrlin schüttelte schon den Kopf, bevor sie ausgesprochen hatte. »Sie würden schon etwas versuchen, wenn sie könnten. Da habe ich keinen Zweifel. Sie würden nichts lieber tun als die Burg angreifen. Aber Eamon Valda wagt keinen offenen Angriff ohne ausdrücklichen Befehl des kommandierenden Lordhauptmanns, und Pedron Niall wird erst zuschlagen, wenn er glaubt, daß wir angeschlagen seien. Er kennt unsere Stärke zu gut, um etwas so Dummes zu wagen. Seit tausend Jahren halten das die Weißmäntel so. Wie ein Hecht im Schilf warten sie auf die Blutspur der Aes Sedai im Wasser. Doch bisher haben wir ihnen keine gezeigt, und das werden wir auch nicht, wenn ich es verhindern kann.« »Und wenn Valda etwas auf eigene Faust probiert... « Siuan unterbrach sie: »Er hat nicht mehr als fünfhundert Mann in der Nähe Tar Valons, Mädchen. Den Rest hat er bereits vor Wochen weggeschickt, zweifellos, um irgendwo anders Unruhe zu stiften. Die Leuchtende Mauer hat die Aiel zurückgehalten und auch Artur Falkenflügel. Valda wird niemals nach Tar Valon hereinkommen, wenn die Stadt nicht von innen her auseinanderbricht.« Ihr Tonfall änderte sich nicht, als sie fortfuhr: »Du willst mich unbedingt glauben machen, daß die Gefahr von den Weißmänteln herrührt. Warum?« In ihrem Blick lag nichts Sanftes mehr.

»Weil ich es gern glauben möchte«, murmelte Min betreten. Sie leckte sich die Lippen und sprach die Worte aus, die sie vermeiden wollte: »Das silberne Halsband, das ich bei der einen Aes Sedai sah. Mutter, es sah aus... Es sah aus wie eines der Halsbänder, die... von den Seanchan benützt werden, um... Frauen zu beherrschen, die mit der Einen Macht umgehen können.« Ihre Stimme wurde immer leiser, und Siuans Mund verzog sich angewidert.

»Schmutzige Dinger«, grollte die Amyrlin. »Nur gut, daß die meisten Leute nicht einmal ein Viertel von dem glauben, was sie über die Seanchan hören. Aber da ist es noch wahrscheinlicher, daß die Weißmäntel dahinterstecken. Wenn die Seanchan wieder irgendwo an Land gehen, weiß ich darüber per Brieftaube innerhalb weniger Tage Bescheid, und es ist ein langer Weg vom Meer bis Tar Valon. Wenn sie wirklich wieder auftauchen, habe ich lange genug Zeit, mich darauf einzustellen. Nein, ich fürchte, was du siehst, bedeutet etwas viel Schlimmeres als die Seanchan. Ich fürchte, es können nur die Schwarzen Ajah sein. Nur eine Handvoll von uns wissen überhaupt von ihnen, und ich freue mich nicht gerade darauf, was passiert, wenn diese Kunde sich ausbreitet. Aber sie stellen die größte unmittelbare Bedrohung der Burg dar.« Min wurde sich bewußt, daß sie ihre Hände so sehr in ihren Rock verkrampft hatte, bis sie schmerzten. Ihr Mund war staubtrocken. Die Weiße Burg hatte immer kaltschnäuzig die Existenz einer versteckten Ajah abgeleugnet, die angeblich dem Dunklen König diente. Der sicherste Weg, eine Aes Sedai zu ärgern, war, so etwas auch nur zu erwähnen. Daß nun die Amyrlin selbst die Existenz einer Schwarzen Ajah zugab, jagte Min einen eiskalten Schauer über den Rücken.

Die Amyrlin fuhr fort, als habe sie nichts Außergewöhnliches gesagt: »Aber du bist nicht den ganzen Weg hergekommen, um hier deine Visionen zu haben. Was gibt es Neues von Moiraine? Ich weiß, daß von Arad Doman bis Tarabon reines Chaos herrscht, um es milde auszudrücken.« Das war allerdings milde ausgedrückt. Anhänger des Wiedergeborenen Drachen kämpften dort gegen seine Gegner und hatten beide Länder in einen Bürgerkrieg gestürzt, während sie immer noch um die Herrschaft auf der Ebene von Almoth stritten. Siuans Tonfall tat das alles als unwichtige Einzelheiten ab. »Aber ich habe schon monatelang nichts mehr von Rand al'Thor gehört. Er steht im Brennpunkt aller Ereignisse. Wo steckt er? Was läßt Moiraine ihn tun? Setz dich hin, Mädchen. Setz dich.« Sie deutete auf den Stuhl am Tisch.

Min ging mit wackligen Beinen hin und fiel fast auf den Stuhl. Die Schwarzen Ajah! O Licht! Man erwartete von den Aes Sedai, daß sie für das Licht kämpften. Das auf jeden Fall, auch wenn sie ihnen sonst keineswegs immer traute. Die Aes Sedai und all ihre Macht traten für das Licht und gegen den Schatten ein. Und nun stimmte sogar das nicht mehr. Sie hörte sich selbst sagen: »Er ist auf dem Weg nach Tear.« »Tear! Dann also Callandors wegen. Moiraine will, daß er das Unberührbare Schwert aus dem Stein von Tear holt. Ich schwöre, ich hänge sie zum Trocknen in die Sonne! Sie wird sich wünschen, wieder Novizin sein zu können! Dafür kann er noch nicht bereit sein!« »Das war nicht...« Min hielt inne und räusperte sich. »Das war nicht Moiraines Idee. Rand ist allein mitten in der Nacht weggelaufen. Die anderen folgten ihm, und Moiraine hat mich gesandt, um es Euch mitzuteilen. Sie könnten mittlerweile in Tear sein. Vielleicht hat er jetzt Callandor bereits in Händen.« »Seng ihn!« fauchte Siuan. »Er kann genausogut jetzt auch tot sein! Ich wünschte, er hätte niemals den Wortlaut der Prophezeiungen des Drachen erfahren. Wenn ich ihn davon abhalten könnte, noch mehr darüber zu erfahren, dann würde ich es tun.« »Aber muß er denn die Prophezeiungen nicht erfüllen? Ich verstehe das nicht.« Die Amyrlin lehnte sich innerlich erschöpft an ihren Tisch. »Als könne irgend jemand das meiste daran überhaupt verstehen! Er wird nicht durch die Prophezeiungen zum Wiedergeborenen Drachen. Er muß es lediglich einsehen, und falls er hinter Callandor her ist, hat er das wohl auch. Die Prophezeiungen haben den Zweck, der Welt zu zeigen, wer er ist, ihn auf das Kommende vorzubereiten und die Welt auf sein Kommen vorzubereiten. Wenn Moiraine wenigstens ein bißchen Einfluß auf ihn hat, dann leitet sie ihn zu den prophezeiten Dingen hin, bei denen wir einigermaßen sicher sein können, und dann, wenn er bereit ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen! Was die übrigen betrifft, hoffen wir, daß es ausreicht, was er sowieso tut. Hoffen wir! Was weiß ich, ob er nicht bereits Prophezeiungen erfüllt hat, die wir überhaupt nicht verstehen. Das Licht gebe, daß es ausreicht!« »Also wollt Ihr ihn wirklich unter Kontrolle halten. Er sagte, Ihr würdet versuchen, ihn zu benützen, aber das ist das erste Mal, daß Ihr es zugegeben habt.« Min fror innerlich. Zornig fügte sie hinzu: »Bisher habt Ihr aber nicht gerade gut gearbeitet, Ihr und Moiraine.« Siuans Erschöpfung schien von ihr abzufallen. Sie richtete sich auf und blickte auf Min hinunter. »Du solltest besser hoffen, daß wir damit Erfolg haben. Hast du geglaubt, wir könnten ihn so einfach frei herumlaufen lassen? Starrköpfig und stur, unausgebildet, unvorbereitet und vielleicht bereits dabei, dem Wahn zu verfallen? Glaubst du, wir können einfach auf das Muster vertrauen, auf sein Schicksal, daß es ihn wie in einer Legende am Leben hält? Das ist keine Legende, und er ist kein unbesiegbarer Held, und wenn sein Faden aus dem Muster herausgeschnitten wird, dann bemerkt das Rad der Zeit seinen Abgang überhaupt nicht, und der Schöpfer wird auch keine Wunder tun, um uns zu retten. Wenn ihm Moiraine nicht die Flügel stutzen kann, könnte er sehr wohl durch eigene Schuld getötet werden, und was haben wir dann erreicht? Wo steht die Welt dann? Das Gefängnis des Dunklen Königs ist schwach geworden. Er wird die Welt wieder berühren — das ist nur eine Frage der Zeit. Wenn Rand al'Thor nicht da ist, um ihm in der Letzten Schlacht gegenüberzutreten, wenn sich der starrköpfige junge Narr vorher umbringen läßt, dann ist die Welt zum Untergang verdammt. Wieder ein Krieg um die Macht, aber diesmal ohne Lews Therin Telamon und seine Hundert Gefährten. Und dann Feuer und Schatten für alle Ewigkeit.« Sie hielt mit einem Mal inne und sah Mins Gesicht scharf an. »Ach so, daher weht der Wind? Du und Rand? Das hatte ich nicht erwartet.« Min schüttelte lebhaft den Kopf und spürte, wie ihre Wangen rot anliefen. »Natürlich nicht! Ich war... Es ist diese Letzte Schlacht. Und der Dunkle König. Licht, allein schon daran zu denken, daß der Dunkle König frei ist, reicht aus, um selbst einem Behüter das Mark in den Knochen gefrieren zu lassen. Und die Schwarzen Ajah... « »Versuche nicht, abzulenken«, sagte die Amyrlin scharf. »Glaubst du, das sei das erste Mal, wo ich erlebe, daß eine Frau Angst um ihren Mann hat? Du kannst es genausogut zugeben.« Min wand sich auf ihrem Stuhl. Siuans Blicke durchbohrten sie, wissend und ungeduldig. »Na ja«, murmelte sie schließlich, »ich werde Euch alles sagen, und es wird uns beiden nicht weiterhelfen. Beim erstenmal, als ich Rand kennenlernte, sah ich die Gesichter dreier Frauen, und eine davon war ich. Ich habe weder vorher noch nachher jemals etwas über mich selbst gesehen, aber ich wußte, was es zu bedeuten hatte. Ich würde mich in ihn verlieben. Alle drei würden wir uns in ihn verlieben.« »Drei. Die beiden anderen. Wer sind sie?« Min lächelte sie bitter an. »Die Gesichter waren verschwommen. Ich weiß nicht, wer sie sind.« »Nichts, was darauf schließen ließe, daß er deine Liebe erwidert?« »Nichts! Er hat mich noch nie richtig angeschaut. Ich glaube, er sieht mich als... als eine Schwester an. Also glaubt nicht, daß Ihr mich als Leine für ihn benützen könnt, denn das wird nicht funktionieren!« »Aber du liebst ihn.« »Ich habe wohl keine Wahl.« Min bemühte sich, nicht zu mürrisch zu klingen. »Ich habe versucht, das Ganze als Scherz zu betrachten, aber ich kann nicht mehr darüber lachen. Ihr glaubt mir vielleicht nicht, aber sobald ich weiß, was etwas bedeutet, geschieht es auch.« Die Amyrlin legte einen Finger nachdenklich an ihre Lippen und musterte Min.