«Möglich, aber ich glaube es nicht, «antwortete Old Shatterhand. Das Krachen lebt nur in deiner Einbildung. Auch die meinige ist ungewöhnlich aufgeregt. Wohl uns, daß wir nicht gezwungen waren, die Scene mit anzusehen!«
Jetzt wurden sie wieder aus dem Zelte gelassen, um nach dem Richtplatze zurückgeführt zu werden. Weiter drin, im Innern des Lagers, sah man vier oder fünf Rote gehen, welche die Hunde an starken Riemen zurückzubringen hatten. Ob die Tiere die Spuren der Weißen gewittert hatten — einer der Hunde war kaum fortzuzerren; er sah sich um und erblickte die vier Jäger; mit einem gewaltigen Rucke riß er sich los und kam herbeigestürzt. Ein allgemeiner Schreckensschrei erscholl; der Hund war so groß und stark, daß es für einen Menschen ganz unmöglich schien, es mit ihm aufzunehmen. Und doch wollte keiner der Indianer auf ihn schießen, da das Tier ein sehr wertvolles war. Jemmy legte sein Gewehr an und zielte.
«Halt, nicht schießen, «gebot Old Shatterhand.»Die Roten könnten uns den Tod dieses prächtigen Hundes übelnehmen, und ich will ihnen zugleich zeigen, was die Faust eines weißen Jägers vermag.«
Diese Worte waren hastig hervorgestoßen. Es geschah überhaupt alles weit schneller, als es erzählt oder beschrieben werden kann, denn der Hund hatte die ganze Strecke in wahrhaft pantherähnlichen Sprüngen in nicht mehr als zehn oder zwölf Sekunden zurückgelegt. Old Shatterhand trat ihm mit einer schnellen Bewegung entgegen, die Hände niederhaltend.
«Du bist verloren!«schrie ihm der» große Wolf «zu.
«Warte es ab!«antwortete der Jäger.
Jetzt war der Hund da. Er hatte den zähnebewehrten Rachen weit geöffnet und warf sich mit raubtierartigem Schnaufen auf den Gegner. Dieser hielt die Augen fest auf diejenigen des Tieres gerichtet; als dasselbe zum Sprunge ansetzte, und sich bereits in der Luft befand, warf er sich ihm mit schnell ausgespreizten Armen entgegen — ein gewaltiger Zusammenprall von Hund und Mensch — Old Shatterhand schlug die Arme über dem Nacken des Tieres, welches nach seiner Gurgel gezielt hatte, zusammen und drückte den Kopf des Hundes so fest gegen sich, daß dieser nicht zu beißen vermochte. Ein noch festerer Druck, und dem Hunde ging der Atem aus; seine kratzenden Beine fielen schlaff nach unten. Mit einer schnellen Bewegung riß der Jäger den Kopf der Bestie mit der linken Hand von sich ab — ein Schlag mit der rechten Faust auf die Schnauze, dann schleuderte er ihn von sich.
«Da liegt er, «rief er, sich umdrehend, dem Häuptling zu.»Laßt ihn anbinden, damit er, wenn er erwacht, nicht Unheil anrichtet.«
«Uff, ugh, ugh, uff!«erscholl es von den Lippen der erstaunten Roten. Das hätte keiner von ihnen gewagt; das hätten sie nicht für möglich gehalten. Der» große Wolf «gab den Befehl, das Tier fortzuschaffen, trat zu Old Shatterhand und sagte in aufrichtig bewunderndem Tone:»Mein weißer Bruder ist ein Held. Anstatt sich von dem Bluthunde niederreißen und zerfleischen zu lassen, hat er ihn zu Boden geschlagen. Die Füße keines Roten hätten so fest gestanden, und die Brust keines andern Menschen hätten diesen Zusammenprall ausgehalten; ihm wären die Rippen eingedrückt worden. Warum ließ Old Shatterhand nicht schießen?«
«Weil ich euch nicht um dieses prächtige Tier bringen wollte.«
«Welche Unvorsichtigkeit! Wenn es dich nun zerrissen hätte!«
«Pshaw! Old Shatterhand wird von keinem Hunde zerrissen! Was gedenken die Krieger der Utahs nun zu thun?«
«Sie werden über euch beraten, denn die Zeit dazu ist gekommen. Wollen die Bleichgesichter nicht um Mitleid bitten?«
«Mitleid? Bist du toll? Frage mich doch lieber, ob ich geneigt bin, Mitleid mit euch zu haben!«
Der Häuptling führte ihn mit einem Blicke, in welchem ebensowohl Erstaunen als Bewunderung lag, zur Seite, wo die vier Weißen sich außerhalb des Kreises der Roten niedersetzen sollten, um die Beratung nicht belauschen zu können. Dann verfügte er sich nach dem Platze, welchen er schon vorher eingenommen gehabt hatte.
Die Augen der Jäger richteten sich natürlich nach den beiden Pfählen. Dort hingen die zerfleischten Körper und Glieder der Mörder an den von den Hunden vielfach zerrissenen Riemen nieder, ein wirklich grauenhafter Anblick.
Nun begann die entscheidende Sitzung, welche ganz in indianischer Weise abgehalten wurde. Erst sprach der» große Wolf «eine lange Zeit; dann folgten die Häuptlinge einer nach dem andern; der Wolf begann wieder, die andern auch; gewöhnliche Krieger durften nicht sprechen; sie standen ehrfurchtsvoll lauschend im Kreise. Der Indianer ist wortkarg; aber bei Beratungen spricht er gern und viel. Es gibt Rote, welche als Redner eine ganz bedeutende Berühmtheit erlangt haben.
Die Beratung nahm wohl zwei Stunden in Anspruch, eine lange Zeit für diejenigen, deren Schicksal von dem Erfolge derselben abhängig war; dann kündete ein allgemein und laut gerufenes» Howgh!«den Schluß der Sitzung an. Die Weißen wurden geholt; sie mußten in das Innere des Kreises treten, um dort ihr Schicksal zu vernehmen. Der» große Wolf «erhob sich von der Erde, um ihnen dasselbe zu verkündigen:»Die vier Bleichgesichter haben bereits gehört, weshalb wir die Kriegsbeile ausgegraben haben; ich will es ihnen nicht wiederholen. Wir haben geschworen, alle Weißen, welche in unsre Hände geraten, zu töten, und ich dürfte mit euch keine Ausnahme machen. Ihr seid mir hierher gefolgt, damit über euch beraten werde, und habt mir versprochen, keine Gegenwehr zu leisten. Wir wissen, daß ihr die Freunde der roten Männer seid, und darum sollt ihr nicht das Schicksal der andern Bleichgesichter, welche wir fangen werden, teilen. Diese kommen sofort an den Marterpfahl; ihr aber sollt um euer Leben kämpfen dürfen.«
Er machte eine Pause, welche Old Shatterhand zu der Frage benutzte:»Mit wem? Wir vier Personen gegen euch alle? Gut, ich bin einverstanden. Meine Todesflinte wird viele von euch in die ewigen Jagdgründe senden!«
Er erhob den Stutzen. Der Häuptling vermochte nicht ganz seinen Schreck zu verbergen; er machte eine schnelle, abwehrende Bewegung und antwortete:»Old Shatterhand irrt sich, jeder von euch soll einen Gegner haben, mit welchem er kämpft, und der Sieger hat das Recht, den Besiegten zu töten.«
«Damit bin ich einverstanden. Wer aber hat das Recht, unsre Gegner zu wählen, wir oder ihr?«
«Wir. Ich werde eine Aufforderung ergehen lassen, auf welche sich Freiwillige melden.«
«Und wie oder mit welchen Waffen soll gekämpft werden?«
«So, wie derjenige von uns, welcher sich meldet, bestimmt.«
«Ach! Nach unsern Wünschen werdet ihr euch also da nicht richten?«
«Nein.«
«Das ist ungerecht.«
«Nein, das ist gerecht. Du mußt bedenken, daß wir im Vorteile vor euch sind und also auch einen Vorteil zu verlangen haben.«
«Im Vorteile? Wieso?«
«So viele gegen vier.«
«Pshaw! Was sind alle eure Waffen gegen meine Todesflinte! Nur derjenige, welcher sich fürchtet, verlangt einen Vorteil vor dem andern.«
«Sich fürchtet?«fragte der Wolf mit blitzenden Augen.»Willst du mich beleidigen? Willst du etwa behaupten, daß wir uns fürchten?«
«Ich sprach nicht von euch, sondern im allgemeinen. Wenn ein schlechter Läufer mit einem bessern um die Wette läuft, so pflegt er eine Vorgabe zu begehren. Indem du uns in das Nachteil versetzest, gibst du mir das Recht zu der Ansicht, daß du uns für bessere Krieger hältst, als ihr seid. Und das würde ich als Häuptling der Utahs nicht thun.«
Der» große Wolf «blickte eine ganze Weile vor sich nieder. Er konnte dem Jäger nicht unrecht geben, mußte sich aber hüten, ihm beizupflichten; darum sagte er endlich:»Wir haben euch schon so viel Nachsicht erwiesen, daß ihr keine weitere verlangen dürft. Ob wir uns vor euch fürchten, werdet ihr beim Kampfe erfahren.«
«Gut; aber ich fordere ehrliche Bedingungen.«
«Wie meinst du das?«