«Einen Schatz will er heben.«
«Einen Schatz? Soll sich denn einer dort befinden?«
«Ja, es sollen ungeheure Reichtümer dort vergraben oder versenkt sein, von alten Völkern und Zeiten her. Er hat einen genauen Plan des Ortes, an welchem man suchen muß.«
«Hast du diesen Plan gesehen?«
«Nein. Er zeigt ihn keinem Menschen.«
«Aber wir haben ihn doch ausgesucht und ihm alles abgenommen, ohne denselben bei ihm zu finden!«
«Er hat ihn jedenfalls zu gut versteckt. Ich glaube sogar, daß er ihn gar nicht bei sich trägt. Es war aus einer seiner Bemerkungen zu schließen, daß er ihn irgendwo vergraben hat.«
Die Aufmerksamkeit der Zuhörer war auf den Sprecher gerichtet, darum achtete niemand auf Droll und Fred, welche durch das, was sie da hörten, in eine nicht geringe Aufregung versetzt wurden. Droll starrte den Tramp an, als ob er dessen Worte nicht nur hören, sondern auch mit den weit geöffneten Augen verschlingen wolle, und Fred rief, als der Erzähler geendet hatte:»Der Cornel ist's, er ist's. Dieser Plan hat meinem Vater gehört!«
Jetzt richteten sich die Blicke aller auf den Knaben. Man bestürmte ihn mit Fragen, doch Droll wehrte energisch ab und sagte:»Jetzt nichts davon, Mesch'schurs! Ihr werdet später den Sachverhalt erfahren. Jetzt ist die Hauptsache, daß ich, wie nun die Verhältnisse stehen, erklären kann, daß ich mit Fred auf alle Fälle Old Firehand zu Diensten stehe.«
«Ich auch!«erklärte der alte Missourier in frohem Tone.»Wir sind da zwischen eine ganze Menge von Geheimnissen geraten, daß es mich wundern soll, wie wir dieselben auseinander wickeln werden. Ihr geht doch auch alle mit, Kameraden?«
«Ja, ja, natürlich ja!«ertönte es rund im Kreise der Rafters.
«Well!«sagte Old Firehand.»So wird morgen früh aufgebrochen. Wir brauchen uns um die Fährte des Cornels gar nicht zu kümmern, da wir den Ort kennen, an welchem er zu finden ist. Er wird gejagt durch die Wälder und Prairien, über Berg und Thal, und wenn es sein muß, sogar bis hinauf zum Silbersee. Es ist ein bewegtes Leben, welches unser wartet. Laßt uns gute Kameraden sein, Mesch'schurs!«
Fünftes Kapitel
Indianisches Meisterstück
Die Rollingprairie lag im Mittagssonnenglanze. Hügel auf Hügel, mit dichtem Grase, dessen Halme sich im leisen Winde bewegten, bewachsen, glich sie einem Smaragdsee, dessen Wellen plötzlich erstarren mußten. Eine dieser festgewordenen Wogen glich in Beziehung auf Länge, Gestalt und Höhe der andern, und wenn man aus einem der Wellenthäler in das andre kam, hätte man das letztere mit dem ersteren verwechseln können. Nichts, gar nichts rundum als Wellenhügel, so weit der Horizont reichte. Wer sich hier nicht nach dem Kompaß oder dem Stande der Sonne richtete, der mußte sich verirren, wie der Laie im kleinen Boote sich auf der weiten See verirrt. In dieser grünen Einöde schien es kein Lebewesen zu geben; nur droben, hoch in den Lüften, zogen zwei schwarze Hühnergeier, scheinbar ohne die Flügel zu bewegen, ihre Kreise. Sollten sie wirklich die einzigen Geschöpfe sein, die es hier gab? Nein, denn soeben ließ sich ein kräftiges Schnauben vernehmen, und hinter einem der Wellenberge kam ein Reiter hervor, und zwar ein höchst sonderbar ausgestatteter Reiter.
Der Mann war von gewöhnlicher Gestalt, weder zu groß noch zu klein, weder zu dick noch zu dünn, schien aber kräftig zu sein. Er trug lange Hose, Weste und kurze Jacke, welche Kleidungsstücke aus wasserdichtem Gummistoffe gefertigt waren. Auf dem Kopfe saß ein Korkhut mit Nackentuch, wie die englischen Offiziere in Ostindien und andern heißen Ländern zu tragen pflegen. Die Füße steckten in indianischen Mokassins.
Die Haltung dieses Mannes war diejenige eines geübten Reiters; sein Gesicht — ja, dieses Gesicht war eigentlich ein sehr sonderbares. Der Ausdruck desselben war geradezu dumm zu nennen, und zwar nicht etwa ausschließlich durch die Nase, welche zwei ganz verschiedene Seiten hatte. Auf der linken Seite war sie weiß und hatte die leicht gebogene Gestalt einer gewöhnlichen Adlernase; auf der rechten Gesichtsseite war sie dick, wie geschwollen und von einer Farbe, welche man weder rot noch grün noch blau nennen konnte. Eingerahmt wurde dieses Gesicht von einem Kehlbarte, dessen lange dünne Haare vom Halse aus bis über das Kinn hervorstarrten. Der Bart wurde gestützt durch zwei riesige Vatermörder, deren bläulicher Glanz verriet, daß der Reiter es in der Prairie vorzog, Gummiwäsche zu tragen.
An die Steigbügelriemen war rechts und links je ein Gewehr, dessen Kolben neben dem Fuße des Reiters auf dem schuhartigen Bügel stand, geschnallt. Quer vor dem Sattel hing eine lange Blechrolle oder Kapsel, deren Zweck wohl kaum zu erraten war. Auf dem Rücken trug der Mann einen Ledertornister mittlerer Größe und darauf einige blecherne Gefäße und sonderbar geformte Eisendrähte. Der Gürtel war breit, auch von Leder, und glich einer sogenannten Geldkatze. Vor ihm hingen mehrere Beutel nieder, vorn blickten die Kolben oder Griffe eines Messers und mehrerer Revolver heraus, und hinten waren zwei Taschen, welche man für Patronenbehälter halten mußte, daran befestigt.
Das Pferd, war ein gewöhnlicher Gaul, nicht zu gut und nicht zu schlecht für die Strapazen des Westens; es war an ihm gar nichts Besonderes zu bemerken, als daß er als Schabracke eine Decke trug, welche sicherlich viel Geld gekostet hatte.
Der Reiter schien anzunehmen, daß sein Pferd mehr Prairieverstand besitze als er, wenigstens bemerkte man nicht, daß er demselben die Richtung gab, er ließ es laufen, wie und wohin es ihm beliebte. Es schritt durch einige Wellenthäler, kletterte dann einen Hügel hinauf, trollte drüben wieder hinab, fiel einmal freiwillig in Trab, ging wieder langsamer, kurz, der Mann mit dem Korkhelme und dem erzdummen Gesichte schien kein bestimmtes Ziel, aber viel Zeit und Muße zu haben.
Plötzlich blieb das Pferd stehen; es spitzte die Ohren, und der Reiter schreckte leicht zusammen, denn vor ihm, es war nur nicht zu sehen, woher eigentlich, ließ sich eine scharfe, befehlende Stimme hören:»Stop, keinen Schritt weiter, oder ich schieße! Wer seid Ihr, Master?«
Der Reiter blickte auf, vor sich, hinter sich, nach rechts und nach links; es war kein Mensch zu sehen. Er verzog keine Miene, zog den Deckel von der langen, rollenförmigen Blechkapsel, welche vorn quer über den Sattel hing, schüttelte ein Fernrohr heraus, schob die Glieder desselben auseinander, so daß es wohl fünf Fuß lang wurde, kniff das linke Auge zu, hielt das Rohr vor das rechte und richtete es gegen den Himmel, den er eine Weile ganz ernsthaft und angelegentlich beguckte, bis dieselbe Stimme sich lachend vernehmen ließ:»Schiebt doch Eure Sternenröhre wieder zusammen! Ich sitze nicht auf dem Monde, der auch gar nicht zu sehen ist, sondern hier unten auf der alten Mutter Erde. Und nun sagt mir, woher Ihr kommt!«
Der Reiter schob, dem Befehle gehorchend, das Rohr zusammen, steckte es in die Kapsel, verschloß dieselbe sorgfältig und langsam, als ob er gar keine Eile habe, deutete dann mit der Hand hinter sich und antwortete:»Von daher!«
«Das sehe ich, mein alter Boy! Und wo wollt Ihr hin?«
«Dorthin!«antwortete der Gefragte, indem er mit der Hand nun vorwärts zeigte.
«Ihr seid wirklich ein köstlicher Junge!«lachte der noch immer unsichtbare Inquirent.»Da Ihr Euch aber nun einmal auf dieser gebenedeiten Prairie befindet, vermute ich, daß Ihr die Gebräuche derselben kennt. Es treibt sich hier so viel fragwürdiges Gesindel umher, daß ein ehrlicher Mann gezwungen ist, jede Begegnung etwas scharf zu nehmen. Zurück könnt Ihr in Gottes Namen reiten, wenn es Euch gefällig ist. Wollt Ihr aber vorwärts, wie es allen Anschein hat, so müßt Ihr uns Rede und Antwort stehen, und zwar der Wahrheit gemäß. Also heraus damit! Woher kommt Ihr?«
«Von Schloß Castlepool, «antwortete der Mann im Tone eines Schulknaben, welcher sich vordem strengen Gesichte des Lehrers fürchtet.
«Das kenne ich nicht. Wo ist dieser Ort zu finden?«