«Was?«
«Nich etwa mein guter Freund Humply-Bill sein!«
«Das werden wir am Feuer erfahren. Für den Augenblick sind wir sicher, daß uns niemand folgen wird. Ich möchte den Trupp auf wenigstens ein Dutzend Männer schätzen, die sich aber nicht von der Stelle bewegen werden, weil sie auf die Rückkehr dieser beiden zu warten haben.«
Das war alles so blitzschnell und geräuschlos vor sich gegangen, daß die Begleiter der beiden Ergriffenen trotz der großen Nähe, in der es von ihnen geschah, keine Ahnung davon hatten. Old Firehand — denn dieser war es — nahm seinen Gefangenen auf die Arme, und Droll zog den seinigen auf dem Rasen hinter sich her, um den Hügel. Jenseits desselben lagen müde Pferde, ein kleines Feuer brannte, und bei dem Scheine desselben konnte man über zwanzig Gestalten sehen, welche mit angelegten Gewehren bereit standen, einen etwaigen Feind mit ebenso vielen Kugeln zu begrüßen.
Als die beiden Männer ihre Gefangenen an das Feuer brachten, entfuhr jedem von ihnen ein Ruf der Verwunderung.
«Alle Wetter!«meinte Old Firehand.»Das ist ja Menaka schecha, der Häuptling der Osagen. Von dem haben wir nichts zu befürchten.«
«Sapperlot!«stimmte Droll ein.»Es is wirklich Bill, der Humply-Bill! Kerl, Freund, geliebtes Menschenkind, konnste mer denn das nich sage, als ich der an de Gurgel ging! Nu liegste da und kannst weder schnaufe noch rede! Schteh off, und fall mer in de Arme, Bruderherz! Ach so, der verschteht ja gar nich deutsch. Er wird mer doch nich etwa schterbe! Schpring doch endlich off, Herzensschatz! Ich hab' dich wirklich nich erwürge wolle, wenn's halbwegs möglich is!«
Der brave Altenburger stand in diesem Augenblicke fast mehr Angst aus als der Gewürgte, welcher mit geschlossenen Augen da lag, begierig nach Luft schnappte, dann endlich die Lider öffnete, einen langen, immer bewußter werdenden Blick auf den über ihn gebeugten Droll warf und nun mit heiserer Stimme fragte:»Ist's möglich! Tante Droll!«
«Gott sei Dank, ich habe dich nicht umgebracht!«antwortete der Gefragte jauchzend, nun in englischer Sprache.»Natürlich bin ich es. Warum hast du mir nicht gesagt, daß du es bist?«
«Konnte ich sprechen? Ich wurde so schnell gepackt, ohne jemand gesehen zu haben, daß ich — Himmel, Old Firehand!«
Er sah den Jäger stehen und der Anblick desselben gab ihm seine Bewegungsfähigkeit zurück. Der Druck von Firehands Fäusten war weit kräftiger gewesen als derjenige von Tante Droll. Der Häuptling lag mit geschlossenen Augen und bewegungslos am Boden.
«Ist er tot?«fragte Bill.
«Nein, «antwortete der Riese, indem er dem Kleinen die Hand reichte.»Er ist nur bewußtlos und wird bald zu sich kommen. Willkommen, Bill! Das ist eine freudige Überraschung. Wie kommt Ihr zu dem Häuptling der Osagen?«
«Ich kenne ihn schon seit Jahren.«
«So? Wer ist bei Euch? Vermutlich Indianer vom Stamme des Häuptlings?«
«Ja, vier Mann.«
«Nur? So habt Ihr ledige Pferde bei Euch?«
«Allerdings. Außerdem befinden sich der Gunstick-Uncle, den Ihr wohl auch kennt, und ein englischer Lord bei uns.«
«Ein Lord? Vornehme Begegnung also. Holt diese Leute herbei. Sie haben von uns und wir von ihnen nichts zu befürchten.«
Bill lief fort, doch legte er nur die Hälfte der Entfernung zurück und rief dann freudig:»Uncle, reitet immer vorwärts! Wir sind bei Freunden. Old Firehand und die Tante Droll sind da.«
Der Angerufene gehorchte diesen Worten. Die im Anschlage liegenden Rafters erhoben sich aus dem Grase, um die Ankömmlinge zu bewillkommnen. Wie erstaunten diese letzteren, als sie den Häuptling bewußtlos sahen und erfuhren, was geschehen war! Die Osagen standen, als sie von ihren Pferden gestiegen waren, von fern und betrachteten den berühmten Jäger mit ehrfurchtsvollen Blicken. Der Lord machte große Augen und näherte sich der Riesengestalt desselben mit langsamen Schritten; dabei machte er ein so dummes Gesicht, daß man über dasselbe hätte lachen können. Old Firehand sah dasselbe und die auf der einen Seite so dick angeschwollene Nase. Er reichte ihm die Hand und sagte:»Willkommen, Mylord! Ihr seid in der Türkei, in Indien, vielleicht auch in Afrika gewesen?«
«Woher wißt Ihr das, Sir?«fragte der Englishman.
«Ich vermute es, da Ihr noch jetzt den Rest des Bouton d'Alep an Eurer Nase tragt. Wer solche Reisen gemacht hat, wird sich wohl auch hier zurecht finden, obgleich — «
Er hielt inne und warf einen lächelnden Blick auf die Ausrüstung des Engländers, besonders auf den Bratapparat, welcher auf den Tornister desselben geschnallt war. In diesem Augenblicke kam der Häuptling zu sich. Die Augen öffnen, tief Atem holen, aufspringen und das Messer ziehen war bei ihm eins. Da aber fiel sein Blick auf den Jäger; er senkte die Hand mit dem Messer und rief:»Old Firehand! Warst du es, der mich ergriff?«
«Ja. Es war so dunkel, daß ich meinen roten Bruder nicht erkennen konnte.«
«So bin ich froh. Von Old Firehand besiegt zu sein, ist keine Schande. Wäre es aber ein andrer gewesen, so hätte die Schmach so lange auf meinem Haupte gelegen, bis ich ihn getötet hätte. Mein weißer Bruder will nach Butlers Farm?«
«Ja. Woher weißt du es?«
«Bleichgesichter sagten es.«
«Nach der Farm will ich später. Jetzt liegt mein Ziel am Osage-nook.«
«Wen sucht mein berühmter Bruder dort?«
«Einen Weißen, der sich Cornel Brinkley nennt, und seine Genossen, lauter Tramps.«
«So kann mein Bruder getrost nach der Farm mit uns reiten, denn der Rote kommt morgen hin, um sie zu überfallen.«
«Woher weißt du das?
«Er selbst hat es gesagt, und Bill hörte es. Die Tramps haben heute mich und meine Osagen überfallen, acht von ihnen getötet und mich mit den übrigen gefangen genommen. Ich entkam und holte Bill und den Uncle, welche mir mit diesem weißen Engländer halfen, meine roten Brüder zu befreien.«
«Du wurdest von fünf Tramps bis hierher verfolgt?«
«Ja.«
«Bill und der Uncle lagerten hier?«
«So ist es.«
«Und der Engländer war kurz vorher auf diese beiden getroffen?«
«Du sagst es; aber woher weißt du das?«
«Wir sind am schwarzen Bärenflusse aufwärts geritten und haben ihn heute früh verlassen, um an den Osage-nook zu kommen. Wir fanden hier die Leichen von fünf Tramps und — «
«Sir, «unterbrach ihn der Humply-Bill,»woher wißt Ihr, daß diese Männer Tramps gewesen sind? Niemand kann es Euch gesagt haben?«
«Dieses Stück Papier hat es mir verraten, «antwortete er.»Ihr habt diese Kerls ausgesucht, das Papier aber in der Tasche des einen stecken lassen.«
Er zog ein Stück Zeitung hervor, hielt es gegen das Feuer und las:»Ein Vergessen oder Versehen, welches man nicht für möglich halten sollte, ist jetzt durch den Kommissar des Landbureaus der Vereinigten Staaten an das Tageslicht gezogen worden. Dieser Beamte lenkte die Aufmerksamkeit der Regierung auf die erstaunliche Thatsache, daß es innerhalb der Vereinigten Staaten einen Landstrich gibt, größer als mancher Staat, der sich der Auszeichnung erfreut, ganz und gar nicht regiert und verwaltet zu werden. Dieses merkwürdige Stück Land ist ein ungeheures Viereck von 40 Meilen Breite und 150 Meilen Länge und enthält beinahe 4 Millionen Acres Land. Es liegt zwischen dem Indianerterritorium und New Mexiko, nördlich von Texas und südlich von Kansas und Colorado. Wie sich jetzt herausgestellt hat, ist dieses Land bei der öffentlichen Vermessung übersehen worden und verdankt den erwähnten Vorzug einem Fehler in der Bestimmung der Grenzlinien der benachbarten Territorien. Es ist infolgedessen keinem Staate und keinem Territorium zugeteilt, ohne Regierung irgend welcher Form, und also auch der Jurisdiktion keines Gerichtes unterworfen. Gesetz, Recht und Steuern sind dort unbekannte Dinge. In dem Berichte des Kommissars wird dieses Land als eine der schönsten und fruchtbarsten Gegenden des ganzen Westens angegeben, vortrefflich für Viehzucht und Ackerbau geeignet. Die wenigen Tausend freie Amerikaner, welche es bewohnen, sind aber nicht friedliche Ackerbauer oder Hirten, sondern sie bilden Banden von zusammengelaufenem Gesindel, Strolchen, Pferdedieben, Desperados und flüchtigen Verbrechern, welche sich aus allen Himmelsgegenden da zusammengefunden haben. Sie sind der Schrecken der benachbarten Territorien, in denen namentlich die Viehzüchter durch die Räubereien dieser Menschen viel zu leiden haben. Von diesen geplagten Nachbarn wird dringend verlangt, daß diesem freien Räuberstaate ein Ende gemacht werde, damit durch Einführung einer Regierungsoberhoheit dieses gesetzlose Treiben aufhören müsse.«