Die Roten, welche diese Worte gehört hatten, blieben gleichgültig, die Weißen aber blickten sich erstaunt an.
«Ist das wahr? Ist das möglich?«fragte der Lord.
«Ich halte es für wahr, «antwortete Old Firehand.»Ob dieser Bericht lügt oder nicht, ist übrigens hier Nebensache. Hauptsache ist, daß nur ein Tramp so ein Blatt so lange und so weit mit sich herumschleppen kann. Dieses Papier ist der Grund, weshalb ich die fünf Männer für Tramps gehalten habe. Als wir hier ankamen und die Leichen sahen, wußten wir natürlich, daß ein Kampf stattgefunden habe. Wir untersuchten die Leichen und alle vorhandenen Spuren und stellten uns als Ergebnis folgende Thatsachen zusammen: Zwei Weiße kampierten hier, ein langer und ein kleiner. Dann kam ein dritter Weißer, der sich zu ihnen gesellte und den Rest ihres Mahles verspeiste. Es wurde ein Probeschießen abgehalten, bei welchem man zwei Geier tötete. Der dritte Weiße bewies, daß er ein guter Schütze sei und wurde in die Gesellschaft der beiden andern aufgenommen. Dann näherte sich ihnen ein Indianer in eiligem Laufe. Er befand sich auf der Flucht, vom Osage-nook her, und wurde von fünf Tramps verfolgt. Es stellte sich heraus, daß er ein Freund der Weißen sei; diese standen ihm bei und erschossen die fünf Verfolger. Dann stiegen die drei Bleichgesichter und der Indianer zu Pferde, um sich auf einem Umwege nach dem Osage-nook zu schleichen; sie wollten also die Tramps überfallen. Ich beschloß, ihnen zu helfen. Da es aber mittlerweile Nacht geworden war, so mußte ich bis zum Anbruche des Tages warten, da ich des Nachts den Spuren nicht zu folgen vermochte.«
«Warum überfiel uns mein weißer Bruder?«fragte der Häuptling.
«Weil ich euch für Tramps halten mußte.«
«Aus welchem Grunde?«
«Ich wußte, daß sich am Osage-nook viele Tramps befinden. Fünf von ihnen waren fortgeritten, um einen Indianer zu verfolgen. Sie wurden hier erschossen, kehrten also nicht zurück. Das mußte die Besorgnis der übrigen erwecken, und es lag sehr im Bereiche der Möglichkeit, daß man ihnen Hilfe nachsenden werde. Ich stellte darum Wachen aus, welche mir vorhin meldeten, daß sich ein Trupp von Reitern nähere. Da der Wind vom Osage-nook her wehte, so konnten wir eure Annäherung sehr früh bemerken. Ich ließ meine Leute zu den Waffen greifen und schlich mit Droll euch entgegen. Zwei stiegen ab, um uns zu beschleichen, und wir nahmen sie gefangen, um am Feuer ihre Gesichter anzusehen. Das übrige wißt ihr.«
«Mein Bruder hat wieder bewiesen, daß er der berühmteste Jäger unter den Bleichgesichtern ist. Was gedenkt er zu thun? Sind die Tramps seine persönlichen Feinde?«
«Ja. Ich verfolge den Roten, um mich seiner zu bemächtigen. Doch, was ich zu thun beschließen werde, das kann ich erst dann wissen, wenn ich erfahren habe, wie es am Osage-nook steht und was dort geschehen ist. Wollt Ihr es mir erzählen, Bill?«
Der Humply-Bill gehorchte dieser Aufforderung und stattete einen ausführlichen Bericht ab. Am Schlusse desselben fügte er hinzu:»Ihr seht also ein, Sir, daß wir schnell handeln müssen. Ihr werdet wohl gern aufsitzen, um mit uns sofort nach der Farm zu reiten.«
«Nein. Das werde ich nicht thun.«
«Warum? Wollt Ihr etwa unterwegs einen Kampf mit den Tramps aufnehmen?«
«Kann mir nicht einfallen. Aber ich bleibe hier, obgleich ich weiß, daß die Gefahr noch viel größer ist, als Ihr denkt.«
«Größer? Wieso?«
«Ihr meint, daß diese Kerls erst nachmittags aufbrechen?«
«Ja.«
«Und ich sage Euch, daß sie den Ritt schon am frühen Morgen beginnen werden!«
«Der Cornel hat es aber doch gesagt!«
«Er hat sich inzwischen anders besonnen, Bill.«
«Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken, Sir?«
«Wo waren die gefangenen Osagen angebunden?«
«In der Nähe des Feuers, an welchem der Rote saß.«
«Haben sie gehört, was gesprochen wurde?«
«Ja.«
«Auch daß Butlers Farm überfallen werden soll?«
«Auch das.«
«Nun, und jetzt sind sie entflohen. Muß da der Cornel nicht ganz notwendig auf den Gedanken kommen, daß sie zu Butler eilen werden, um ihn zu benachrichtigen?«
«Teufel, das ist richtig! Das versteht sich ja von selbst!«
«Allerdings. Um den Schaden, den ihnen das machen kann, möglichst zu verringern, werden sie also zeitiger aufbrechen. Ich wette, daß sie schon jetzt entschlossen sind, mit Tagesgrauen zu Pferde zu steigen.«
«Wetten?«rief der Lord.»Well, Ihr seid mein Mann, Sir! Ihr wettet, daß sie so früh aufbrechen? Gut, so behaupte ich, daß sie erst morgen abend den Osage-nook verlassen. Ich setze zehn Dollar, auch zwanzig und dreißig. Oder sind Euch fünfzig lieber?«
Er zog die eine Tasche nach vorn und öffnete sie, um Geld herauszunehmen.
Ein leiser, von dem Engländer unbemerkter Wink des Humply-Bill genügte für Old Firehand, zu wissen, daß er einen passionierten Wetter vor sich habe. Darum antwortete er:»Macht Eure Tasche getrost wieder zu, Sir; es kann mir nicht einfallen, das Wort vom Wetten wirklich im Ernste zu nehmen. So wichtige Sachen sind überhaupt zum Wetten nicht geeignet.«
«Aber ich wette nun einmal gern!«behauptete der Lord.
«Ich aber nicht!«
«Das ist schade, jammerschade! Ich habe so sehr viel Gutes und schönes über Euch gehört. Jeder wahrhaftige Gentleman wettet. Daß Ihr das nicht thut, zwingt mich beinahe, meine gute Meinung über Euch zu ändern.«
«Thut daß immerhin, wenn es Euch beliebt! Es kommt dann wohl rasch die Zeit, in welcher Ihr wieder zur früheren Ansicht zurückkehrt. Jetzt haben wir andres und Besseres zu thun, als Wetten einzugehen. Es steht das Eigentum und Leben vieler Menschen auf dem Spiele, und es ist unsre Pflicht, dieses Unheil abzuwenden. Das thut man nicht durch Wetten.«
«Ganz recht, Sir. Ich wette auch nur so nebenbei. Wenn es zu Thaten kommt, so werdet Ihr mich sicher auf meinem Platze finden, vielleicht ebenso fest und ruhig, wie Ihr auf dem Eurigen steht. Die körperliche Stärke thut es nicht allein. Merkt Euch das einmal!«
Er war in Zorn geraten und ließ einen beinahe beleidigenden Blick an der herkulischen Gestalt des Jägers herniederlaufen. Dieser schien einen Moment lang nicht zu wissen, woran er mit dem Engländer sei; sein Gesicht wollte sich verfinstern, hellte sich aber schnell wieder auf, denn er erriet die Gedanken des Lords. Darum antwortete er demselben:»Nur gemach, Sir. Bevor wir uns nicht kennen gelernt haben, wollen wir uns wenigstens keine Grobheiten sagen. Ihr seid noch neu zu Lande.«
Das Wort» neu «verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht, denn der Lord rief noch zorniger als vorher:»Wer sagt Euch das? Sehe ich etwa wie neu aus? Ich bin mindestens so ausgerüstet, wie die Prairie es erfordert; Ihr aber sitzt da, als ob Ihr soeben aus einem Klub oder gar aus einer Ladiesgesellschaft kämet!«
Also richtig, das war es! Old Firehand trug nämlich noch denselben eleganten Reiseanzug wie auf dem Dampfer. Er hatte ihn noch nicht ablegen können, da seine Jägerausrüstung auf Butlers Farm bereit lag. Dieser Anzug war zwar durch den Ritt zu den Rafters und dann hierher sehr mitgenommen worden, schien aber bei dem Scheine des kleinen, vom Regen niedergedrückten Feuers noch ganz neu zu sein. Der berühmte Mann wurde von dem Engländer nicht für voll angesehen. Er nickte lächelnd und sagte:»Kann Euch nicht ganz unrecht geben, Sir; aber vielleicht richte ich mich noch hier im alten Westen ein; auf alle Fälle aber wollen wir Freunde bleiben.«