Die Rafters ließen sich mit den Osagen an zwei langen Tafeln nieder und griffen sofort wacker zu. Der Westmann gibt und nimmt nicht gern unnötige Komplimente. Dabei hatte es sich wie ganz von selbst gemacht, daß die Elite der Gesellschaft an einen entfernten Tisch zu sitzen gekommen war. Dort hatte zuerst der Lord Platz genommen und den Humply-Bill und den Gunstick-Uncle neben sich gewinkt; dann war Tante Droll mit Fred Engel und dem schwarzen Tom zu ihnen gekommen, und endlich hatte sich auch Blenter, der alte Missourier, zu ihnen gemacht.
Nun ging es ans Essen und Trinken, daß es eine Art hatte. Der Lord schien der Ansicht zu sein, daß er, wenn er sich unter Wölfen befand, mit denselben heulen müsse, denn er hatte alle seine Standeswürde abgelegt und benahm sich nicht besser und nicht schlimmer als die Nachbarn, welche bei ihm saßen.
Später kam Old Firehand mit der Dame des Hauses, welche ihre Gäste auf das freundlichste willkommen hieß, herein. Sie erklärte dem Englishman, daß ein besonderes Zimmer für ihn bereit stehe, er aber verzichtete auf dasselbe und auf jeden Vorzug vor seinen Kameraden, da er jetzt nichts andres als ein Westmann sei. Dieses Verhalten erfreute die andern so, daß sie ihm ihre laute und aufrichtig gemeinte Anerkennung zuriefen. Old Firehand teilte dann mit, daß die Kameraden für heute nacht nicht in Anspruch genommen werden, sondern sich ausruhen sollten, um morgen frisch auf dem Platze sein zu können; es seien Knechte und Hirten genug da, mit deren Hilfe er die nötigen Vorbereitungen treffen werde.
Der Lord konnte den Blick nicht von ihm wenden, denn der berühmte Jäger hatte in kurzer Zeit seinen» zivilisierten «Anzug ab- und sein Jägerkostüm angelegt. Er trug ausgefranste, nur bis an die Knie reichende und an den beiden Seiten reich gestickte Leggins, deren Säume in den weit heraufgezogenen Aufschlagestiefeln steckten, eine Weste von weichem, weißgegerbtem Rehleder, eine kurze hirschlederne Jagdjacke und darüber einen starken Rock von Büffelbauch. Um die kräftigen Lenden hatte er einen breiten Ledergürtel geschnallt, in welchem die kurzen Waffen steckten, und auf dem Kopfe saß ein Biberhut mit sehr breiten Krempen und hinten herabhängendem Biberschwanz, welcher wohl weniger dazu bestimmt war, dem riesigen Manne ein abenteuerliches Aussehen zu geben, als vielmehr dazu, seinen Nacken gegen den Hieb eines hinterlistigen Feindes zu schützen. Um seinen Hals hing eine lange Kette, welche aus den Zähnen des grauen Bären bestand, und an ihr die Friedenspfeife mit einem meisterhaft geschnittenen Kopfe aus dem heiligen Thone. Sämtliche Nähte des Rockes waren mit Grislykrallen verbrämt, und da ein Mann wie Old Firehand sicherlich nicht fremde Beute trug, so konnte man aus diesem Schmucke und der Pfeifenkette ersehen, wie viele dieser furchtbaren Tiere seiner sichern Kugel und seiner starken Faust zum Opfer gefallen waren. Als er sich dann mit der Dame entfernt hatte, meinte der Englishman zu den andern:»Nun glaube ich gern alles, was man von ihm erzählt. Dieser Mann ist ja der richtige Gigant!«
«Pshaw!«antwortete Droll.»Nicht nach der Gestalt allein will ein Westmann beurteilt sein; der Geist hat weit höhern Wert. Es ist höchst selten, daß solche Riesen Mut besitzen. Bei ihm ist freilich beides beisammen. Old Shatterhand ist nicht so lang und breit, und Winnetou, der Apache, ist noch weit schmächtiger; aber beide stehen ihm in jeder Beziehung gleich.«
«Auch in Betreff der Körperstärke?«
«Ja. Ich habe gesehen, daß Old Shatterhand mit einem Arme einen Mustang dreimal auf und nieder riß. Wer weiß, ob Old Firehand ihm das nachzumachen versteht. Die Muskeln des Westmannes werden nach und nach wie Eisen und die Flechsen wie Stahl, auch wenn er nicht die Gestalt eines Riesen besitzt.«
«So seid wohl auch Ihr von Stahl und Eisen, Master Droll?«
Es klang etwas wie Hohn in seinem Tone, doch der Kleine antwortete freundlich lächelnd:»Wollt Ihr das wissen, Sir?«
«Yes, sehr gern.«
«Es scheint aber, Ihr zweifelt daran?«
«Allerdings! Eine Tante, und stählerne Muskeln und Flechsen! Wollen wir wetten?«
«Was und wie?«
«Wer stärker ist, ich oder Ihr.«
«Warum nicht?«
Jetzt endlich hatte der Englishman einen gefunden, der ihn nicht zurückwies. Er sprang erfreut auf und rief:»Aber, Tante Droll, ich habe manchen geworfen, der sich bücken mußte, um Euch nur zu sehen! Wollt Ihr's wirklich wagen?«
«Versteht sich!«
«Um fünf Dollar?«
«Well!«
«Ich werde sie Euch borgen.«
«Danke! Droll borgt nie.«
«So habt Ihr Geld?«
«Für das, was Ihr gewinnen könnt, reicht es gewißlich aus, Sir.«
«Auch zehn Dollar?«
«Auch das.«
«Oder zwanzig?«
«Warum nicht!«
«Vielleicht sogar fünfzig?«rief der Lord in seiner Herzensfreude.»Einverstanden! Aber nicht mehr, denn ich will Euch nicht um Euer Geld bringen, Sir.«
«Wie? Was? Den Lord Castlepool um sein Geld bringen! Seid Ihr wahnsinnig, Tante? Heraus mit dem Gelde! Hier sind fünfzig Dollar.«
Er zog die an dem starken Hüftriemen hängende eine Tasche nach vorn, entnahm derselben zehn Fünfdollarnoten und legte sie auf den Tisch. Droll fuhr mit der Hand in das herabhängende Ärmelende seines Sleeping-gown und brachte einen Beutel zum Vorscheine. Als er denselben geöffnet hatte, zeigte es sich, daß er mit lauter haselnußgroßen Nuggets gefüllt war. Er legte fünf derselben auf den Tisch, steckte den Beutel wieder ein und sagte:»Ihr habt Papier, Mylord? Fie! Die Tante Droll macht nur in echtem Gold. Diese Nuggets sind mehr als fünfzig Dollar wert. Und nun kann's losgehen, aber wie?«
«Macht mir's vor, und ich mach's nach; dann umgekehrt.«
«Nein. Ich bin nur eine Tante; Ihr aber seid ein Lord. Ihr habt also den Vortritt.«
«Gut! Steht also fest, und wehrt Euch; ich hebe Euch da auf den Tisch!«
«Versucht's einmal!«
Droll spreizte die Beine auseinander, und der Lord packte ihn bei den Hüften, um ihn zu heben; aber die Füße der Tante verließen den Boden um keines Zolles Höhe. Es war, als ob Droll von Blei sei. Der Engländer mühte sich vergeblich ab und mußte endlich eingestehen, daß er außer stande sei, sein Vorhaben auszuführen, doch tröstete er sich selbst mit den lauten Worten:»Brachte ich Euch nicht hinauf, dann bringt Ihr's mit mir erst recht nicht zuwege.«
«Wollen sehen, «lachte Droll, indem er den Blick zur Decke hob, an welcher gerade über dem Tische ein starker Eisenhaken zum Aufhängen einer zweiten Lampe angebracht war. Die andern, welche diesen sahen und die drollige Tante, welche wirklich eine sehr ungewöhnliche Körperstärke besaß, kannten, stießen sich heimlich an.
«Nun, vorwärts!«drängte der Lord.
«Also bloß bis auf den Tisch?«fragte Droll.
«Wollt Ihr mich vielleicht noch höher bringen?«
«So hoch, wie es hier möglich ist. Paßt auf, Sir!«
Er stand trotz der Unbeholfenheit seiner Kleidung mit einem einzigen Sprunge auf dem Tische und ergriff den Lord bei den Achseln. Dieser flog so schnell, daß er gar nicht bemerken konnte, in welcher Weise es geschah, empor, hoch über den Tisch hinauf und hing einen Augenblick später mit dem bereits erwähnten Hüftriemen an dem Haken. Droll aber sprang herab und fragte lachend:»Nun, seid Ihr oben, Sir?«
Der Englishman schlug mit Armen und Beinen um sich und rief:»Himmel, wo bin ich! Woe to me, an der Decke! Nehmt mich herab, nehmt mich herab! Wenn der Haken nachgibt, breche ich den Hals!«
«Sagt erst, wer gewonnen hat!«
«Ihr natürlich, Ihr.«
«Und der zweite Teil der Wette, den nun ich Euch vormachen soll?«
«Den erlasse ich Euch. Nehmt mich nun herab! Schnell, schnell!«