Droll stieg wieder auf den Tisch, von welchem natürlich das Speisegeschirr entfernt worden war, ergriff den Engländer mit beiden Händen an den Hüften, hob ihn empor, daß der Riemen aus dem Haken kam, und schwenkte ihn erst neben sich auf dem Tisch und dann hinab auf den Fußboden. Als er nachgesprungen war, legte er ihm die Hand auf die Schulter und fragte:»Nun, Sir, wie gefällt Euch die Tante?«
«Much, how much, too much — sehr, wie sehr, allzusehr!«antwortete der Gefragte, indem sein Blick noch immer dort hing, wo er selbst gehangen hatte.
«Dann also in den Sack mit dem alten Papiere!«
Er steckte die Noten und Nuggets in den Beutel und fuhr dann schmunzelnd fort:»Und bitte, Mylord, wenn Ihr wieder einmal wetten wollt, so wendet Euch getrost an mich! Ich mache immer mit.«
Er stellte die Teller, Flaschen und Gläser wieder auf den Tisch, wobei ihm von allen Seiten anerkennend zugenickt wurde. Der Lord aber setzte sich wieder nieder, betastete seine Arme, Beine und Hüften, um zu sehen, ob da vielleicht eine Schraube locker geworden sei, und als er sich überzeugt hatte, daß er sich ganz wohl befinde, gab er der Tante die Hand und sagte, indem er vergnügt lächelte:»Herrliche Wette. Nicht wahr? Sind doch prächtige Kerls, diese Westmänner? Man muß sie nur richtig behandeln!«
«Nun, ich denke, daß ganz im Gegenteile ich es bin, der Euch behandelt hat, Sir.«
«Auch richtig. Ihr seid wirklich stark. Das hat aber seinen guten Grund, denn Ihr stammt jedenfalls aus Oldengland?«
«O nein, Sir. Ich bin ein Deutscher, «antwortete die Tante bescheiden.
«Ein Deutscher? Dann aber doch sicher aus Pommern?«
«Falsch geraten! Dort wachsen die Pflanzen höher und breiter als ich bin. Ich stamme aus Altenburg.«
«Hm! Kleines Nest!«
«Deutsches Herzogtum, Sir! Dort kommen die besten Ziegenkäse her.«
«Kenne ich nicht.«
«Das ist jammerschade!«
«Rührt mich aber nicht zu Thränen. Ihr seid ein tüchtiger Kerl, Tante. Interessiere mich für Euch. Ihr seid doch nicht immer Westmann gewesen? Oder gibt es in Altenburg auch Trappers?«
«Zu meiner Zeit noch nicht. Es müßten sich vielleicht jetzt welche eingenistet haben.«
«Was war Euer Vater, und warum seid Ihr nach den Vereinigten Staaten gegangen?«
«Mein Vater war kein Lord, aber viel, viel mehr.«
«Pshaw, ist nicht möglich!«
«Sehr! Ihr seid nur Lord, wahrscheinlich weiter nichts. Mein Vater aber war vielerlei.«
«Nun, was denn?«drängte der Lord, welcher erwartete, eine sehr interessante Lebensgeschichte zu hören.
«Er war Hochzeits-, Kindtaufs- und Leichenbitter, Glöckner, Kirchner, Kellner und Totengräber, Sensenschleifer, Obsthüter und zugleich Bürgergardenfeldwebel. Ist das nicht genug?«
«Well, mehr als genug!«
«Richtig, denn wenn ich es kürzer fassen will, so war er ein braver Mann.«
«Er ist tot?«
«Schon längst. Ich besitze keine Verwandten mehr.«
«Und da seid Ihr aus Gram über das große Wasser gegangen?«
«Nicht aus Gram. Mein Dialekt hat mich herübergetrieben.«
«Euer Dialekt? Wie ist das möglich?«
«Um das zu verstehen, müßtet Ihr ein Deutscher sein, oder wenigstens deutsch sprechen können. Man sagt, daß ein jeder Mensch unsichtbar einen Engel und einen Teufel neben sich habe; nun, mein Teufel ist der Altenburger Dialekt gewesen. Er hat mich daheim, aus einem Hause in das andre, aus einer Straße in die andre, aus einem Orte in den andern und endlich gar über das Meer getrieben. Dann endlich ist mir dieser Satanas, da hier englisch gesprochen wird, abhanden gekommen. Ich sehne mich nach meinem Vaterlande, ich hätte auch die Mittel, mich da drüben dauernd zur Ruhe zu setzen, aber ich kann leider nicht hinüber, denn in Hamburg oder Bremerhaven steht dieser Teufel schon seit Jahren, um sich mir sofort nach der Landung wieder beizugesellen.«
«Das verstehe ich nicht.«
«Aber ich verstehe es, «fiel der schwarze Tom ein.»Droll spricht nämlich ein so schauderhaftes Deutsch, daß er sich drüben gar nicht hören lassen kann.«
«So muß er es besser lernen!«
«Geht nicht! Es ist von allen Seiten an ihm herumgepaukt worden, doch nur mit dem einzigen Erfolge, daß er immer konfuser geworden ist. Reden wir von andern Dingen; er liebt dieses Thema nicht.«
Jetzt kam Old Firehand wieder, um die Leute darauf aufmerksam zu machen, daß es geraten sei, jetzt zur Ruhe zu gehen, da man sehr früh schon wieder wach sein müsse. Die Männer gehorchten dieser Aufforderung mit löblicher Bereitwilligkeit und begaben sich in einen Raum, in welchem auf Holzrahmen gespannte Häute hingen, die den Bediensteten der Farm sowohl als Hängematten, wie auch als Schlafstellen dienten. Für Bequemlichkeit war durch weiche Unterlagen und Decken gesorgt. In diesen echt westlichen Bettstellen schliefen die Männer auf das prächtigste.
Siebentes Kapitel
Im Kampf um Butlers Farm
In früher Morgenstunde wurden die Verteidiger der Farm wieder geweckt. Der Tag schien ein warmer, ja heißer Sonnentag werden zu wollen und im freundlichen Morgenlichte nahm sich das gestern so düstere Gebäude heute ganz anders aus. Es war für viele Bewohner eingerichtet, aus Backsteinen gebaut, sehr lang und tief, und bestand aus dem Parterre und einem oberen Stockwerke mit plattem Dache. Die Fenster waren sehr hoch, doch so schmal, daß ein Mensch nicht hindurchkriechen konnte. Diese Vorsichtsmaßregel war in einer Gegend, welche oft von räuberischen Indianern durchzogen wird, sehr geboten. In jenen Gegenden kommt, oder wenigstens kam es oft vor, daß ein einsames Haus, eine Farm, mehrere Tage lang von den Bewohnern gegen solches Gesindel verteidigt werden mußte.
Ebenso praktisch für diesen Zweck erwies sich auch der große, weite Hofraum, welcher von einer hohen, mit Schießscharten versehenen Adobesmauer umgeben war. Zwischen den Schießscharten waren breite Mauerbänke angebracht, auf welche man steigen konnte, wenn über die Mauer hinweggeschossen werden sollte.
Unweit des Hauses rauschte der Fluß vorüber, durch dessen Furt man gestern gekommen war. Sie konnte von der Mauer aus sehr bequem mit Büchsenkugeln bestrichen werden, und war während der Nacht auf Befehl Old Firehands durch Verhaue unzugänglich gemacht worden. Als zweite und sehr notwendige Vorsichtsmaßregel hatte der Genannte die Herden Butlers nach den Weideplätzen des nächsten Nachbars treiben lassen, auch schon während der Nacht. Und sodann war ein Bote in die Gegend von Fort Dodge gesandt worden, um die beiden Brüder Butler zu warnen, falls diese sich etwa bereits auf dem Heimwege befinden sollten; sie durften nicht in die Hände der Tramps fallen.
Old Firehand führte die Gefährten auf das Dach des Hauses, von welchem aus man eine sehr weite Aussicht hatte, gegen Osten und Norden auf die wellige Grasprairie, gegen Süden und Westen auf umfangreiche und wohl angebaute Mais- und andre Felder.
«Wann werden die erwarteten Indianer kommen?«fragte Droll.
«Nach der Berechnung, welche der Häuptling gestern machte, könnten sie nun bald eintreffen, «antwortete Firehand.
«Darauf rechne ich nicht. Diese Roten müssen erst, vielleicht von weither, zusammengeholt werden, und treten einen Kriegszug niemals an, bevor ihren alten Gebräuchen genügt worden ist. Wir wollen froh sein, wenn sie zur Mittagszeit hier eintreffen. Dann aber können sich die Tramps auch schon in der Nähe befinden. Ich traue diesen Sheyennes und Arapahoes nicht viel zu.«
«Ich auch nicht, «stimmte Bill bei.»Beide Stämme sind sehr klein und haben seit langer, langer Zeit kein Kriegsbeil in den Händen gehabt. Wir können uns nicht auf sie verlassen; starke Nachbarn gibt es auch nicht, und so können wir uns auf eine lange Belagerung gefaßt machen.«
«Die ist nicht zu fürchten, denn die Keller bergen große Vorräte, «berichtete Old Firehand.