«Nun?«fragte Humply-Bill gespannt.
«Es war keine leichte Aufgabe, «antwortete die Tante.»Das Wasser ist uns nicht hinderlich, da es draußen auch nicht tiefer ist, als hier; aber die Finsternis, welche zwischen den Büschen und Bäumen herrscht, machte mir zu schaffen. Es war gar nichts zu sehen, und ich mußte mich geradezu mit den Händen fortgreifen. Nun ich aber orientiert bin, ist diese Dunkelheit unsre beste Verbündete.«
«Man muß doch, wenn man gegen unsre Feuer blickt, ziemlich deutlich sehen können!«
«Nicht vom Wasser, sondern vom Ufer aus, da das erstere tiefer liegt. Also die Tramps sitzen in einem Halbkreise, dessen Durchmesser der Fluß bildet, und innerhalb desselben, gar nicht weit vom Wasser, befinden sich die Gefangenen — «
«Welche Unvorsichtigkeit! Auf diese Art und Weise können sie bei der herrschenden Finsternis doch gar nicht genau beobachtet werden. Wie nun, wenn es ihnen gelänge, sich von den Banden zu befreien. Es wäre ihnen dann leicht, ins Wasser zu entkommen und, da jedenfalls wenigstens die beiden Männer schwimmen können, sich zu retten.«
«Unsinn! Es sitzt als besonderer Wächter einer der Tramps bei ihnen, der sie scharf beobachtet.«
«Hm! Der muß also fort. Aber wie?«
«Er wird ausgelöscht, es geht nicht anders und wird auch nicht schade sein um den Kerl.«
«So habt Ihr einen Plan?«
«Ja, die Gefangenen brauchen nicht in das Wasser zu gehen. Wir schaffen das Boot zur Stelle.«
«Das wird man sehen, da sich die Gestalt desselben von den schimmernden Wellen abhebt.«
«Hat sich sein Schimmern! Von dem gestrigen Regen ist das Wasser so getrübt, daß es, besonders unter den Bäumen am Ufer, gar nicht vom festen Erdboden zu unterscheiden ist. Also wir schaffen das Boot hin und binden es an; ihr bleibt bei demselben im Wasser stehen, und ich gehe allein an das Land, um dem Wächter das Messer zu geben und den Gefangenen die Bande zu lösen. Ich bringe sie zu euch; sie rudern sich in den Kanal, wo sie sicher sind, und wir setzen uns dann ganz gemütlich an die Stelle, wo die Gefangenen gesessen haben. Geben wir dann das Zeichen, den Geierschrei, so wird der Tanz sofort beginnen. Einverstanden?«
«Well, es kann nicht besser gemacht werden.«
«Und Ihr, Uncle?«
«Genau so, wie Ihr's ausgedacht — wird das famose Werk vollbracht, «antwortete der Gefragte in seiner poetischen Weise.
«Schön, also vorwärts!«
Sie banden das Boot los und schoben es aus dem Kanale in den Fluß. Droll, welcher das Terrain kannte, machte den Führer. Sich immer hart am Ufer haltend, bewegten sie sich langsam und vorsichtig weiter, bis er anhielt und die beiden andern bemerkten, daß er das Fahrzeug anband.
«Wir sind zur Stelle, «raunte er ihnen zu,»jetzt warten, bis ich wiederkomme!«
Das Ufer war hier nicht hoch. Er kroch leise hinauf. Jenseits der Büsche brannten an den beiden Mauerecken die Feuer, gegen die sich die Gegenstände in leidlich erkennbaren Umrissen abhoben. Höchstens zehn Schritte vom Ufer entfernt saßen vier Personen, die Gefangenen mit ihrem Wächter. Weiter zurück sah der Kleine die Tramps in allen möglichen Stellungen ruhen. Er kroch, ohne das Gewehr wegzulegen, weiter, bis er sich hinter dem Wächter befand. Nun erst legte er es weg und griff zum Messer. Der Tramp mußte sterben, ohne einen Laut ausstoßen zu können. Droll zog die Knie unter dem Leib heran, schnellte sich rasch auf, ergriff den Mann mit der Linken von hinten fest bei der Kehle und stieß ihm mit der Rechten die Klinge so kunstgerecht und genau in den Rücken, daß sie das Herz durchschnitt. Sich dann rasch wieder niederlassend zog er den Tramp neben sich auf den Boden. Das war so blitzschnell gegangen, daß die Gefangenen es gar nicht bemerkt hatten. Erst nach einiger Zeit sagte das Mädchen:»Pa'a, unser Wächter ist ja fort!«
«Wirklich? Ah, ja; das wundert mich; aber bleib still sitzen; jedenfalls will er uns auf die Probe stellen.«
«Leise, leise!«flüsterte Droll ihnen zu.»Niemand darf einen Laut hören. Der Wächter liegt erstochen hier im Grase; ich bin gekommen, euch zu retten.«
«Retten? Heavens! Unmöglich! Ihr seid der Wächter selbst!«
«Nein, Sir; ich bin Euer Freund. Ihr kennt mich vom Arkansas her. Droll, den sie die Tante nennen.«
«Mein Gott! Ist's wahr?«
«Leiser, leiser, Sir! Old Firehand ist auch da, und der schwarze Tom und noch viele andre. Die Tramps wollten die Farm plündern; wir aber haben sie zurückgeschlagen. Wir sahen, daß sie Euch ergriffen, und ich habe mich mit zwei tüchtigen Boys hergeschlichen, um Euch zunächst herauszuholen. Und wenn Ihr mir noch nicht traut, da Ihr mein Gesicht nicht sehen könnt, so will ich Euch die Wahrheit meiner Worte beweisen, indem ich Euch losbinde. Gebt Eure Fesseln her!«
Einige Schnitte mit dem Messer, und die drei Leute befanden sich wieder im freien Gebrauche der Glieder.
«Jetzt glauben wir Euch, Sir, «flüsterte der Farmer, welcher bis jetzt geschwiegen hatte.»Ihr sollt sehen, wie ich Euch danke. Jetzt aber wohin?«
«Leise hinunter in den Kahn. Wir sind durch den Kanal gekommen und haben das Boot mitgebracht. Ihr steigt mit der kleinen Miß hinein und retiriert nach dem Kanal, den Ihr ja kennt, um zu warten, bis der Tanz vorüber ist.«
«Der Tanz? Welcher Tanz?«
«Der eben beginnen soll. Hier auf dieser Seite haben die Tramps den Fluß und gegenüber die Mauer, zwei Hindernisse, welche sie nicht beseitigen können. Rechts von uns hält Old Firehand mit einer Anzahl von Rafters und Jägern, und links wartet der Osagenhäuptling» gute Sonne «mit einer Schar von Roten nur auf mein Zeichen zum Angriffe. Sobald ich es gebe, wissen diese Leute, daß Ihr Euch in Sicherheit befindet, und dringen auf die Tramps ein, welche, von rechts und links angegriffen, und von dem Flusse und der Mauer eingeschlossen, wenn auch nicht vollständig aufgerieben, aber doch so große Verluste erleiden werden müssen, daß sie nicht daran denken können, die Feindseligkeiten fortzusetzen.«
«Ach, steht es so. Und da sollen wir uns im Boote in Sicherheit bringen?«
«Ja. Es stand ja zu befürchten, daß die Kerle, sobald wir sie angriffen, kurzen Prozeß mit Euch machen würden. Darum kamen wir, um vor allen Dingen erst Euch herauszuholen.«
«Das ist ebenso brav wie kühn von Euch, und Ihr habt Euch das Recht auf unsre größte Dankbarkeit erworben; aber glaubt Ihr denn wirklich, daß mein Bruder und ich solche Memmen sind, daß wir die Hände in den Schoß legen, während ihr andern für uns kämpft und euer Leben wagt? Nein, Sir, da irrt Ihr Euch!«
«Hm, schön! Ist mir lieb zu hören! Das gibt zwei Männer mehr für uns. Thut also, was Euch gefällt. Aber die kleine Miß darf nicht da bleiben, wo die Kugeln fliegen werden; die wenigstens müssen wir fortschaffen.«
«Allerdings. Habt die Güte, sie im Boote nach dem Kanale zu bringen! Wie aber steht es mit den Waffen? Man hat uns die unsrigen abgenommen. Könnt Ihr uns nicht wenigstens einen Revolver, ein Messer ablassen?«
«Ist nicht nötig, Sir. Was wir haben, brauchen wir selber; aber hier liegt der Wächter, dessen Armatur für einen von euch hinreicht. Für den andern werde ich dadurch sorgen, daß ich mich gleich an einen Tramp schleiche, um ihm — pst, still, da kommt einer! Jedenfalls einer der Anführer, welcher sich überzeugen will, daß Ihr gut bewacht werdet. Laßt mich nur machen!«
Gegen das Feuer blickend, sah man einen Mann kommen, welcher die Stellung der Tramps abschritt, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. Er kam langsam herbei, blieb vor den Gefangenen stehen und fragte:»Nun, Collins, ist etwas vorgekommen?«