Der Yankee schlug die Augen nieder und antwortete beinahe stockend:»Nein. Ich bat ihn, sich mit mir zu verstecken; aber er wollte nicht.«
«So, hast du ihm gezeigt, daß die Mörder hinter euch her kamen?«
«Ja.«
«Und ihm auch gesagt, daß du dich hier verbergen wolltest?«
«Ja.«
«Warum hat er da den Mörder, als dieser nach dir fragte, ostwärts nach der Farm gewiesen?«
«Um ihn zu täuschen.«
«So hat er dich retten wollen und war ein wackerer Kamerad. Bist du seiner wert gewesen? Nur der große Manitou weiß alles; mein Auge kann nicht in dein Inneres dringen. Könnte es das, so würdest du dich vielleicht vor mir schämen müssen; ich will schweigen; dein Gott mag dein Richter sein. Kennst du mich?«
«Nein, «antwortete Hartley kleinlaut.
«Ich bin Winnetou, der Häuptling der Apachen. Meine Hand richtet sich gegen die bösen Menschen, und mein Arm schützt jeden, der ein gutes Gewissen hat. Ich werde nach deiner Wunde sehen; noch notwendiger als das aber ist, zu erfahren, warum die Mörder umgekehrt sind, um euch zu folgen. Weißt du es?«
Hartley hatte schon oft von Winnetou gehört. Nun er wußte, daß dieser berühmte Häuptling vor ihm stehe, antwortete er in doppelt höflichem Tone:»Ich habe es dir bereits gesagt. Sie wollten uns auf die Seite schaffen, damit wir nicht verraten konnten, daß sie mich beraubt haben.«
«Nein. Wäre es bloß das, so hätten sie euch sofort getötet. Es muß etwas andres sein, was ihnen erst später eingefallen ist. Hatten sie dich genau durchsucht?«
«Ja.«
«Und dir alles abgenommen? Auch deinem Gefährten?«
«Nein. Er sagte ihnen, daß er ein armer Flüchtling sei, und bewies es ihnen, indem er ihnen den Brief zeigte.«
«Einen Brief? Haben sie denselben behalten?«
«Nein; er bekam ihn zurück.«
«Wo steckte er ihn hin?«
«In die Brusttasche seines Rockes.«
«Da befindet er sich nicht mehr. Ich habe in alle Taschen des Toten gegriffen und keinen Brief gefunden; sie haben ihm denselben hier abgenommen. Also ist es dieses Schreiben, welches sie bewogen hat, umzukehren und euch einzuholen.«
«Schwerlich!«meinte Hartley kopfschüttelnd.
Der Indianer antwortete nicht darauf. Er holte die Leiche aus dem Gebüsch und untersuchte die Taschen noch einmal. Der Tote bot einen gräßlichen Anblick, nicht etwa zufolge der Kugelwunde, sondern weil man sein Gesicht mit Messern kreuz und quer zerschnitten hatte, so daß es ganz unkenntlich geworden war. Die Taschen waren leer. Natürlich hatte man auch sein Gewehr mitgenommen.
Der Indianer blickte sinnend in das Weite; dann sagte er im Tone tiefster Überzeugung:»Dein Kamerad wollte nach Sheridan; zwei von den Mördern sind nordwärts geritten, in der Richtung dieses Ortes; sie wollen auch dorthin. Warum haben sie ihm den Brief abgenommen? Weil sie denselben brauchen, sich desselben bedienen wollen. Warum haben sie das Gesicht des Toten entstellt? Damit man ihn nicht erkennen soll. Man soll nicht wissen, daß Haller tot ist; er darf nicht gestorben sein, weil einer der Mörder in Sheridan sich für Haller ausgeben will.«
«Aber zu welchem Zwecke?«
«Das weiß ich nicht, werde es aber erfahren.«
«So willst du auch hin, ihnen nach?«
«Ja. Ich wollte nach dem Smocky-hill-fluß, und Sheridan liegt in der Nähe desselben; wenn ich nach diesem Orte reite, wird mein Weg dadurch nicht viel größer und länger werden. Diese Bleichgesichter haben etwas Schlimmes vor, was sie dort ausführen wollen. Vielleicht ist es mir möglich, es ihnen zu nichte zu machen. Geht mein weißer Bruder mit?«
«Ich wollte eine nahe Farm aufsuchen, um meinen Arm zu pflegen. Freilich möchte ich noch lieber nach Sheridan. Vielleicht erhalte ich dort das geraubte Geld zurück.«
«So wirst du mit mir reiten.
«Aber meine Verwundung!«
«Ich werde sie untersuchen. Auf der Farm hat mein weißer Bruder zwar Pflege, aber keinen Arzt; in Sheridan aber wird es einen solchen geben. Auch versteht sich Winnetou auf Behandlung der Wunden. Er kann zersplitterte Knochen wieder fest machen und besitzt ein ausgezeichnetes Mittel gegen das Wundfieber. Zeige mir jetzt deinen Arm!«
Schon der Schreiber hatte dem Yankee den Frackärmel aufgetrennt; es fiel also dem letzteren nicht schwer, seinen Arm zu entblößen. Winnetou untersuchte denselben und erklärte, daß die Wunde nicht so schlimm sei, als es den Anschein habe. Die Kugel hatte, da der Schuß aus so großer Nähe abgegeben worden war, den Knochen nicht zersplittert, sondern glatt durchschlagen. Der Rote holte eine getrocknete Pflanze aus seiner Satteltasche, befeuchtete sie und legte sie auf die Wunde; dann schnitt er zwei Holzschienen zurecht und verband mit Hilfe derselben den Arm so kunstgerecht, wie ein Wundarzt es mit den gegebenen Mitteln auch nicht besser fertig gebracht hätte. Dann erklärte er:»Mein Bruder kann getrost mit mir reiten. Das Fieber wird gar nicht kommen, oder doch erst dann, wenn er sich längst in Sheridan befindet.«
«Aber wollen wir nicht erst zu erfahren suchen, was der dritte Mörder thut?«fragte Hartley.
«Nein. Er sucht nach dir, und wenn er deine Spur findet, so wird er umkehren und den beiden andern folgen. Vielleicht thut er das nicht, sondern er hat noch andre Verbündete, welche er vorher aufsucht, um mit ihnen nach Sheridan zu reiten. Ich komme aus bewohnten Gegenden und habe erfahren, daß sich in Kansas viele von den Bleichgesichtern, welche Tramps genannt werden, zusammenziehen. Es ist möglich, daß die Mörder zu diesen Leuten gehören, daß die Tramps einen Streich gegen Sheridan beabsichtigen. Wir dürfen keine Zeit verlieren; wir müssen schnell hin, um die dortigen Weißen zu warnen.«
«Aber wenn dieser dritte Feind nach hier zurückkehrt, wird er unsre Spur finden und aus ihr ersehen, daß wir seinen Freunden gefolgt sind? Muß er da nicht Verdacht schöpfen?«
«Wir folgen ihnen nicht. Winnetou weiß, wohin sie wollen, und braucht also ihre Fährte nicht. Wir reiten einen andern Weg.«
«Und wann werden wir nach Sheridan kommen?«
«Ich weiß nicht, wie mein Bruder reitet.«
«Nun, ein Kunstreiter bin ich freilich nicht. Ich habe noch wenig im Sattel gesessen, aber abwerfen lasse ich mich nicht.«
«So dürfen wir nicht stürmen, werden das aber durch Stetigkeit einholen. Wir reiten von jetzt an die ganze Nacht hindurch und werden am Morgen am Ziele sein. Diejenigen, denen wir folgen, werden des Nachts Lager machen und also später als wir ankommen.«
«Und was geschieht hier mit der Leiche des armen Haller?«
«Wir werden sie begraben, und mein Bruder mag dann ein Gebet sprechen.«
Die Erde war locker, und so wurde, obgleich nur die Messer gebraucht werden konnten, recht bald eine leidlich tiefe Grube fertig, in welche die beiden den Toten legten, um ihn dann mit der aufgeworfenen Erde zu bedecken. Hierauf nahm der Yankee den Hut ab und faltete die Hände. Ob er dabei wirklich betete, war zu bezweifeln. Der Apache blickte ernst in die untergehende Sonne. Es war, als ob sein Auge jenseits des Westens die ewigen Jagdgründe suche. Er war ein Heide, aber er betete ganz gewiß. Dann schritten sie zu den Pferden.
«Mein weißer Bruder mag mein Tier nehmen, «sagte der Rote» Es hat einen sanften Gang, gleich und eben wie ein Kanoe im Wasser. Ich nehme das ledige.«
Sie stiegen auf und ritten fort, erst eine Strecke westlich, um dann nach Norden einzubiegen. Die Pferde hatten gewiß schon einen weiten Weg gemacht, schritten aber so munter und rüstig aus, als ob sie eben erst von der Weide gekommen seien. Die Sonne sank tiefer und tiefer; endlich verschwand sie hinter dem Horizonte; die kurze Dämmerung ging schnell vorüber, und dann wurde es finstere Nacht. Das machte den Yankee bange.