«Wo stehst du? Ich sehe dich nicht.«
«Ganz nahe an der Wand, gerade unter deinem Fenster.«
«Ist alles dunkel im Hause?«
«Alles. Ich habe mich zweimal um dasselbe geschlichen. Es ist kein Mensch mehr wach. Was hast du mir zu sagen?«
«Daß es nichts mit der hiesigen Kasse ist. Es gibt hier vierzehntägige Löhnung, und gestern ist Zahltag gewesen. Wir müßten also volle zwei Wochen warten, und das ist doch unmöglich. Es sind nicht ganz dreihundert Dollar in der Kasse; das ist nicht der Mühe wert.«
«Und das nanntest du vorhin eine herrliche, prächtige Nachricht? Dummkopf!«
«Schweig! Mit der hiesigen Kasse ist es freilich nichts; aber morgen, des Nachts, kommt ein Zug mit über viermalhunderttausend Dollar hier durch.«
«Unsinn!«
«Es ist wahr. Ich habe mich mit meinen eigenen Augen überzeugt. Der Zug kommt von Kansas City und geht nach Kit Karsen, wo das Geld für die neue Strecke verwendet werden soll.«
«Das weißt du gewiß?«
«Ja. Ich habe den Brief und auch die Depeschen gelesen. Dieser alberne Ingenieur hat ein Vertrauen zu mir, gerade wie zu sich selbst.«
«Was nützt uns das! Der Zug geht ja hier durch!«
«Esel! Er hält volle fünf Minuten hier.«
«Donner!«
«Und ich und du werden auf der Lokomotive stehen.«
«Alle Wetter! Du phantasierst.«
«Fällt mir nicht ein! Der Zug muß von einem Extrabeamten in Carlyle übernommen werden. Dieser Mann bleibt bis hier auf der Lokomotive und fährt dann sogar bis Wallace mit, um den Train dort zu übergeben.«
«Und dieser Extrabeamte sollst gerade du sein?«
«Ja. Und du sollst mit, oder vielmehr, du darfst mit.«
«Wieso?«
«Der Ingenieur hat mir erlaubt, mir noch einen zweiten auszusuchen, der bei mir sein soll, und als ich ihn fragte, wen er mir vorschlage, so antwortete er, daß er mir da keine Vorschriften mache; er werde meine Wahl billigen. Da versteht es sich ganz von selbst, daß ich dich wähle.«
«Du, ist ein so schnelles und großes Vertrauen nicht auffällig?«
«Eigentlich, freilich. Aber ich erkenne aus allem, daß er einen Vertrauten braucht und nie einen gehabt hat. Der famose Empfehlungsbrief hat natürlich auch viel geholfen. Und außerdem kann mich dieses allerdings rasche Vertrauen nicht nachdenklich machen, weil ein Aber dabei ist.«
«So! Welches denn?«
«Der Auftrag ist nicht ganz ungefährlich.«
«Ah! Das beruhigt mich vollständig. Ist etwa die Strecke leichtsinnig gebaut?«
«Nein, obgleich sie eigentlich jetzt nur eine Interimsstrecke ist, wie ich aus den Büchern und Plänen ersehen habe. Aber du kannst dir denken, daß bei einer so großen, neuen Bahn nicht genug geprüfte Beamte vorhanden sind. Es gibt Maschinisten, welche man noch nicht kennt, und es melden sich als Heizer Leute, deren Herkunft und Auftreten bedenklich ist. Denke dir nun einen Zug, welcher fast eine halbe Million Dollar bei sich führt, von so einem Maschinisten und Heizer geleitet. Wenn die zwei Kerle darüber einig werden, können sie ihn leicht irgendwo auf der Strecke stehen lassen und sich mit dem Gelde davon machen. Darum muß ein Beamter bei ihnen sein, und da sie zwei Personen sind, hat derselbe noch einen Gehilfen zu sich zu nehmen. Verstanden, es ist eine Art Polizeiposten. Wir werden jeder, du und ich, einen geladenen Revolver in der Tasche haben, um die Kerle, sobald sie eine verbrecherische Absicht verraten, sofort niederzuschießen.«
«Du, das ist spaßhaft. Wir, und das Geld bewachen! Wir werden die Kerle unterwegs zwingen, anzuhalten, und uns dann die Dollars nehmen.«
«Das geht nicht; denn außer dem Maschinisten und dem Heizer ist noch der Kondukteur vorhanden, und auch ein Kassenbeamter aus Kansas City, welcher das Geld in einem Koffer mit sich führt. Beide sind gut bewaffnet. Diese zwei würden, wenn wir auch die ersten beiden zwingen könnten, den Zug halten zu lassen, sofort Verdacht schöpfen und ihre Wagen verteidigen. Nein, das muß auf ganz andre Weise geschehen. Man muß mit Übermacht angreifen, und zwar an einem Orte, wo so etwas gar nicht zu vermuten ist, also hier.«
«Und du denkst, daß es gelingt?«
«Natürlich! Es ist nicht das geringste Bedenken dabei, und keinem von uns wird ein Haar gekrümmt werden. Ich bin so überzeugt davon, daß ich dich jetzt fortschicke, um den Cornel zu unterrichten.«
«Der Ritt ist bei der jetzigen Finsternis unmöglich, denn ich kenne die Gegend nicht.«
«So magst du bis gegen Morgen warten; aber das ist die allerspäteste Zeit, denn ich muß bis Mittag Nachricht haben. Sporne dein Pferd tüchtig an, und wenn du es totreiten solltest.«
«Und was soll ich sagen?«
«Was du jetzt von mir gehört hast. Der Zug trifft Punkt drei Uhr des Nachts hier ein. Wir beide stehen auf der Lokomotive und werden, sobald er hält, den Maschinisten und den Heizer auf uns nehmen. Nötigenfalls schießen wir sie nieder. Der Cornel muß sich mit den Unsrigen heimlich an der Bahn aufgestellt haben und augenblicklich die Wagen besteigen. Bei einer solchen Übermacht werden die etwa wachen Bewohner von Sheridan und die drei oder vier Beamten, mit denen wir es zu thun haben, so verblüfft sein, daß sie gar keine Zeit zur Gegenwehr finden.«
«Hm, der Plan ist nicht übel. Eine erschreckliche Summe! Wenn jeder von uns gleichviel bekommt, so entfallen auf den Mann zweitausend Dollar. Hoffentlich geht der Cornel auf deinen Vorschlag ein.«
«Er wäre geradezu verrückt, wenn er es nicht thäte. Sage ihm, daß ich in diesem Falle mich von ihm lossagen und mich entschließen werde, den Streich allein auszuführen. Das Wagnis würde freilich größer sein, aber es fiele mir im Falle des Gelingens auch die ganze Summe zu.«
«Habe keine Sorge! Mir fällt es gar nicht ein, diese prächtige Gelegenheit vorübergehen zu lassen. Ich werde den Plan so befürworten, daß der Cornel gar nicht dazukommen wird, Bedenken gegen denselben geltend zu machen. Ich bringe dir sicher eine zustimmende Antwort mit. Aber wie kann ich dir dieselbe übermitteln?«
«Das ist freilich eine heikle Frage. Wir müssen alles vermeiden, was Verdacht zu erregen vermag, was den Gedanken erwecken kann, daß wir Heimlichkeiten miteinander haben. Darum müssen wir es vermeiden, uns persönlich zu treffen. Auch weiß ich nicht, ob wir Zeit und die passende, unauffällige Gelegenheit dazu finden würden. Du mußt mich brieflich benachrichtigen.«
«Ist nicht gerade dieses am auffälligsten. Wenn ich dir einen Boten sende — «
«Einen Boten? Wer spricht davon!«unterbrach ihn der Schreiber.»Das wäre die größte Dummheit, welche wir begehen könnten. Ich kann noch nicht sagen, ob ich dazu kommen werde, das Haus einmal zu verlassen; also mußt du mir alles aufschreiben und den Zettel in der Nähe desselben verstecken.«
«Und wo?«
«Hm! Ich muß einen Ort wählen, zu welchem ich gelangen kann, ohne auffällig zu werden und viel Zeit dazu zu gebrauchen. Ich weiß schon, daß ich am Vormittag tüchtig zu arbeiten haben werde; es sind lange Lohnlisten auszufüllen, wie mir der Ingenieur sagte. Jedenfalls aber finde ich einmal Zeit, wenigstens an die Hausthüre zu treten. Hart neben derselben steht ein Regenfaß, hinter welches du den Zettel verstecken kannst. Wenn du ihn mit einem Stein beschwerst, so wird ihn kein Unberufener entdecken.«
«Wie aber erfährst du es, daß der Zettel an dem Ort liegt? Du kannst doch nicht öfters und umsonst zu dem Fasse gehen.«
«Auch das läßt sich machen. Ich habe dir doch zu sagen oder sagen zu lassen, daß du mit mir den Geldzug besteigen sollst. Das werde ich schon am Vormittag thun. Ich lasse nach dir suchen, und das wirst du bei deiner Rückkehr sofort erfahren. Du kommst dann, um zu fragen, weshalb ich nach dir verlangt habe. Dabei verbirgst du den Zettel, und ich weiß, daß er an seinem Orte liegt. Bist du einverstanden?«
«Ja. Sind wir fertig, oder hast du noch weitere Mitteilungen?«
«Ich habe nichts mehr zu sagen. Also dringe ja darauf, daß mein Plan angenommen wird, und zwar möglichst ohne Änderungen, denn dieselben würden der Vorbereitungen bedürfen, zu denen wir keine Zeit fänden. Und spute dich unterwegs. Nun gute Nacht!«