«Empfangt ihn im Bureau, «sagte Old Firehand,»und sprecht dort so lange mit ihm, bis ich nachkomme. Ich werde den Zettel lesen.«
Der Ingenieur begab sich in sein Arbeitszimmer, und als Faller dort eingelassen worden war, ging Old Firehand hinaus an die Hausthür. Als er einen Blick hinter das Faß warf, sah er dort einen Stein liegen. Er hob denselben auf und fand das erwartete Papier; er faltete es auseinander und las die von dem Cornel geschriebenen Zeilen. Der Inhalt derselben stimmte genau mit dem Berichte des Humply-Bill überein. Er legte das Papier wieder unter den Stein und trat dann in das Bureau, in welchem Faller in ehrerbietiger Haltung vor dem Ingenieur stand. Der Tramp erkannte den Jäger, welcher den Leinenanzug trug, nicht und erschrak darum nicht wenig, als dieser ihm die Hand auf die Achsel legte und ihn in drohendem Tone fragte:»Wißt Ihr, wer ich bin, Master Faller?«
«Nein, «lautete die Antwort.
«So habt Ihr bei Butlers Farm die Augen nicht offen gehabt. Ich bin Old Firehand. Habt Ihr Waffen bei Euch?«
Er zog dem Tramp das Messer aus dem Gürtel und einen Revolver aus der Hosentasche, ohne daß der entsetzte Mann eine Bewegung machte, dies zu verhindern. Dann sagte er zu dem Ingenieur:»Bitte, Sir, geht hinauf zu dem Schreiber, und sagt ihm, daß Faller hier gewesen ist, aber weiter nichts. Dann kehrt Ihr hieher zurück.«
Der Beamte entfernte sich. Old Firehand drückte den Tramp auf einen Stuhl nieder und band ihn mit einer auf dem Schreibtische liegenden starken Schnur an die Lehne desselben fest.
«Sir, «meinte der erst nun von seinem Schreck sich erholende Mensch,»warum diese Behandlung? Warum bindet Ihr mich? Ich kenne Euch nicht!«
«Schweige jetzt!«gebot der Jäger, den Revolver ergreifend.»Wenn du einen Laut eher, als ich es dir erlaube, hören lässest, jage ich dir eine Kugel in den Kopf!«
Der Bedrohte wurde leichenblaß und wagte nun nicht mehr, die Lippen zu bewegen. Jetzt trat der Ingenieur wieder ein. Old Firehand winkte ihm, an der Thür stehen zu bleiben; er selbst stellte sich an das Fenster, doch so, daß er von draußen nicht gesehen werden konnte. Er war überzeugt, daß die Neugierde dem Schreiber nicht lange Ruhe lassen werde. Es währte auch kaum zwei Minuten, so sah er einen Vorderarm erscheinen, welcher hinter das Faß langte; der Besitzer dieses Armes war nicht zu sehen, da er dicht an der Thürpfoste stand. Firehand nickte dem Ingenieur zu, und dieser öffnete schnell die Thür, gerade als der Schreiber an derselben vorüberhuschen wollte.
«Master Haller, wollt Ihr nicht einmal hereinkommen?«fragte er ihn. Der Angeredete hielt das Papier noch in der Hand. Er steckte es schnell ein und folgte der an ihn ergangenen Aufforderung mit sichtlicher Verlegenheit. Was aber machte er erst für ein Gesicht, als er seinen Genossen an den Stuhl gebunden sah! Doch nahm er sich schnell zusammen, und es gelang ihm wirklich, eine ziemlich unbefangene Miene zu zeigen.»Was für ein Papier habt Ihr soeben eingesteckt?«fragte ihn Old Firehand.
«Eine alte Tüte, «antwortete der Tramp.
«So? Zeigt sie doch einmal her!«
Der Schreiber warf ihm einen erstaunten Blick zu und antwortete:»Wie kommt Ihr dazu, mir einen so unbegreiflichen Befehl erteilen zu wollen? Wer seid Ihr denn? Ich kenne Euch nicht. Sind meine Taschen etwa Euer Eigentum?«
«Ihr kennt ihn dennoch, «fiel der Ingenieur ein.»Es ist Old Firehand.«
«Old Fi—!«schrie der Tramp förmlich auf. Die zwei letzten Silben ließ der Schreck nicht aus seinem Munde. Seine Augen waren weit und starr auf den Genannten gerichtet.
«Ja, ich bin es, «bestätigte dieser;»hier habt Ihr mich wohl nicht vermutet! Und was den Inhalt deiner Taschen betrifft, so habe ich auf ihn wohl mehr Recht als du selbst. Zeig einmal her!«
Old Firehand nahm dem Tramp, ohne daß dieser zu widerstreben wagte, zuerst das Messer ab; dann holte er einen geladenen Revolver, welchen er zu sich steckte, aus der Tasche, und nun zog er ihm auch den Zettel aus derselben.
«Sir, «fragte der Schreiber jetzt in verbissenem Tone,»mit welchen Rechte thut Ihr das?«
«Zunächst mit dem Rechte des Stärkern und des Ehrlichen, und sodann hat Mr. Charoy, welcher die Polizeigewalt dieses Ortes vertritt, mir den Auftrag erteilt, in dieser Angelegenheit seine Stelle zu vertreten.«
«In welcher Angelegenheit? Was ich bei mir trage, ist mein Eigentum. Ich habe nichts Ungesetzliches gethan und muß unbedingt wissen, aus welchem Grunde Ihr mich wie einen Dieb behandelt!«
«Dieb? Pshaw! Wohl Euch, wenn es nur das wäre. Es handelt sich nicht nur um einen Diebstahl, sondern erstens um einen Mord und zweitens um etwas, was noch viel schlimmer ist, als einfacher Mord, nämlich um den Überfall und die Plünderung des Eisenbahnzuges, wobei voraussichtlich nicht nur ein einzelner Mensch sein Leben verlieren würde.«
«Sir, höre ich recht?«rief der Mann mit gut gespieltem Erstaunen.»Wer hat Euch eine solche Ungeheuerlichkeit vorgelogen?«
«Niemand. Wir wissen genau, daß diese Ungeheuerlichkeit in der That ausgeführt werden soll.«
«Von wem?«
«Von Euch!«
«Von mir?«lachte der Tramp auf.»Nehmt es mir nicht übel, Sir, aber wer da behaupten kann, daß ich, ein armer Schreiber, der hier ganz allein steht und diese That also ohne Helfershelfer ausführen müßte, einen Zug anhalten und berauben will, der muß geradezu verrückt sein!«
«Ganz richtig! Aber zunächst seid Ihr kein Schreiber, und sodann steht Ihr nicht so allein da, wie Ihr uns glauben machen wollt. Ihr gehört zu den Tramps, welche am Osage-nook die Osagen überfallen, dann Buttlers Farm angegriffen haben und nun hier eine halbe Million Dollar aus dem Bahnzuge holen wollen.«
Man sah den beiden Männern an, daß sie erschraken, doch nahm sich der vermeintliche Haller zusammen und antwortete im Tone eines vollständig unschuldigen Menschen:»Davon weiß ich kein Wort!«
«Und doch seid Ihr nur zu dem Zwecke hieher gekommen, um die Gelegenheit auszuspähen und Eure Verbündeten zu benachrichtigen!«
«Ich? Ich bin ja keinen Augenblick aus diesem Hause gekommen!«
«Ganz recht; aber Euer Kamerad hier hat den Boten gemacht. Was habt Ihr denn gestern Abend durch das geöffnete Fenster mit einander gesprochen? Ich habe über Euch auf dem Dache gelegen und jedes Wort gehört. Auf diesem Zettel steht die Antwort, welche Euch der rote Cornel sendet. Ich habe ihn noch nicht gelesen, kenne sie aber bereits und will Euch das beweisen. Die Tramps lagern drüben beim Eagle-tail. Sie wollen in der nächsten Nacht herüberkommen und sich außerhalb Sheridan an der Bahn lagern und ein Feuer anbrennen. Dieses letztere soll euch beiden den Ort andeuten, an welchem ihr den Maschinisten zwingen sollt, mit dem Zuge zu halten, aus diesem wollen sie sich dann das Geld holen.«
«Sir, «stieß der Schreiber, welcher jetzt seine Angst nicht mehr verbergen konnte, hervor,»wenn es wirklich Leute gibt, welche das unternehmen wollen, so ist es nur eine mir ganz unbekannte Folge von Umständen, welche mich mit diesen Verbrechen in Verbindung zu bringen scheinen. Ich bin ein ehrlicher Mann und — «
«Schweigt!«gebot Old Firehand.»Ein ehrlicher Mann mordet nicht.«
«Wollt Ihr etwa behaupten, daß ich gemordet habe?«
«Allerdings! Ihr beide seid Mörder. Wo ist der Arzt, und wo ist sein Gehilfe, welche Ihr mit dem roten Cornel verfolgt habt? Ist der erstere nicht erschossen worden, weil Ihr seinen Brief brauchtet, um Euch hier statt seiner als den Schreiber Haller vorzustellen und Euch auf diese Weise das Handwerk des Spions zu erleichtern? Habt Ihr etwa dem Arzte nicht sein ganzes Geld abgenommen?«
«Sir, ich weiß — kein — kein Wort von alledem!«stotterte der Tramp.
«Nicht? So werde ich Euch sofort überführen. Damit Ihr aber nicht auf den Gedanken kommt, Euch uns zu entziehen, werden wir uns Eurer Person versichern. Mr. Charoy, habt doch die Güte, diesem Kerl die Hände auf den Rücken zu binden. Ich werde ihn halten.«