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«Ich urteile über meine Mitmenschen nur dann, wenn ich sie kennen gelernt habe.«

«Nun, so gestattet, daß wir Euch die Gelegenheit dazu geben!«

Die beiden waren abgestiegen und setzten sich mit an das Feuer. Sie hatten jedenfalls Hunger, denn sie warfen ziemlich sehnsüchtige Blicke nach dem Braten. Der gutmütige Jemmy schob ihnen einige Stücke desselben zu und forderte sie auf, zu essen, was sie sich nicht zweimal sagen ließen. Jetzt verbot es die Höflichkeit, Fragen an sie zu richten; darum wurde die Zeit, bis sie gesättigt waren, in Schweigen verbracht.

Der andre erwähnte Trupp, welcher sich dem Walde von der andern Seite näherte, bestand aus einer Schar von gegen zweihundert Indianern. Old Shatterhand war zwar auch auf dieser Seite gewesen, um zu rekognoszieren, aber er hatte, als er die dort sich öffnende Prairie überblickte, die heranreitenden Roten nicht sehen können, da sie sich zu dieser Zeit noch hinter einer vorspringenden Waldesecke befunden hatten. Auch sie mußten die Gegend genau kennen, denn sie hielten gerade auf den Ausgang des schmalen Waldpfades zu, durch dessen Eingang die Weißen nach der Blöße gekommen waren.

Die Roten befanden sich auf dem Kriegspfade, wie die grellen Farben bezeugten, mit denen sie ihre Gesichter angemalt hatten. Die meisten waren mit Schießgewehren und nur wenige mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. An ihrer Spitze ritt ein riesenhafter Kerl, welcher ein Häuptling war, denn er trug eine Adlerfeder im Schopfe. Sein Alter war nicht zu erkennen, da auch sein Gesicht ganz mit schwarzen, gelben und roten Linien bedeckt war.

Am Pfade angekommen, stieg er ab, um denselben zu untersuchen. Die vordersten Krieger des Zuges, welche hinter ihm hielten, sahen seinem Beginnen mit Spannung zu. Ein Pferd schnaubte. Er erhob warnend die Hand und der betreffende Reiter hielt dem Tiere die Nüstern zu. Da der Häuptling damit zur größten Stille aufforderte, mußte er etwas Verdächtiges bemerkt haben. Er ging langsam, Schritt für Schritt und den Oberkörper tief zum Boden niedergesenkt, eine kurze Strecke auf dem Pfade weiter in den Wald hinein. Als er dann zurückkehrte, sagte er leise in der Sprache der Utah, welche ein Glied der shoshonischen Abteilung des Sonorasprachstammes ist:»Ein Bleichgesicht war hier vor der Zeit, welche die Sonne braucht, um eine Spanne weit zu laufen. Die Krieger der Utah mögen sich mit ihren Pferden unter den Bäumen verbergen. Ovuts-avaht wird gehen, um das Bleichgesicht zu suchen.«

Der Häuptling, welcher fast noch länger, breiter und stärker als Old Firehand war, hieß also Ovuts-avaht, zu deutsch der große Wolf. Er schlich in den Wald zurück; als er nach vielleicht einer halben Stunde zurückkehrte, war keiner seiner Leute zu sehen. Er ließ einen leisen Pfiff hören und sofort kamen die Roten unter den Bäumen hervor, indem sie die Pferde dort zurückließen. Er gab einen Wink, auf welchen die Unteranführer, fünf oder sechs an der Zahl, zu ihm traten.

«Sechs Bleichgesichter lagern bei den Felsen, «sagte er ihnen.»Das sind wohl die sechs, welche gestern entkamen. Sie essen Fleisch, und ihre Pferde weiden bei ihnen. Meine Brüder mögen mir folgen, bis der Pfad zu Ende geht; dann teilen sie sich; die Hälfte schleicht nach rechts, die andern nach links, bis die Lichtung umstellt ist. Dann werde ich das Zeichen geben und die roten Krieger brechen hervor. Die weißen Hunde werden so erschrocken sein, daß sie sich gar nicht wehren. Wir werden sie mit den Händen greifen und nach dem Dorfe schaffen, um sie dort an den Pfahl zu binden. Fünf Leute bleiben hier, um die angebundenen Pferde zu bewachen. Howgh!«

Dieses letztere Wort ist ein Bekräftigungswort und hat ungefähr die Bedeutung unsers» Amen «oder» Pasta«,»abgemacht«! Wenn ein Indianer dies ausspricht, so hält er den Gegenstand für vollständig erschöpft besprochen und erledigt.

Ihren Häuptling voran, drangen die Roten auf dem Pfade in den Wald ein, leise, so leise, daß nicht eine Spur von Geräusch zu hören war. Als sie die Stelle erreichten, an welcher der Weg auf die Blöße mündete, gingen sie nach beiden Seiten auseinander, um den Platz zu umstellen. Ein Reiter hätte nicht in den Wald eindringen können; zu Fuße aber und für die gewandten Gestalten der Indianer war es möglich.

Die Weißen hatten soeben ihr Mahl verzehrt. Hobble-Frank schob sein Bowiemesser in den Gürtel und sagte, natürlich in englischer Sprache, um von den beiden Neuangekommenen verstanden zu werden:»Jetzt haben wir gegessen und die Pferde sind ausgeruht; nun können wir wieder aufbrechen, um noch vor Nacht an unser heutiges Ziel zu gelangen.«

«Ja, «stimmte Jemmy bei.»Aber vorher ist es notwendig, daß wir uns kennen lernen und wissen, wohin wir beiderseits gehen.«

«Das ist richtig, «nickte Knox.»Darf ich also erfahren, welches Ziel Ihr heute noch erreichen wollt?«

«Wir reiten nach den Elkbergen.«

«Wir auch. Das trifft sich ausgezeichnet. Da können wir ja zusammenreiten.«

Old Shatterhand sagte kein Wort. Er gab Jemmy einen verstohlenen Wink, das Examen fortzusetzen, denn er wollte erst dann sprechen, wenn er seine Zeit gekommen sah.

«Mir soll es recht sein, «antwortete der Dicke.»Aber wo wollt ihr dann weiter hin?«

«Das ist noch unbestimmt. Vielleicht nach dem Greenriver hinüber, um nach Bibern zu suchen.«

«Da werdet ihr wohl nicht viele finden. Wer Dickschwänze fangen will, muß weiter nördlich gehen. So seid ihr also Trapper, Biberjäger?«

«Ja. Ich heiße Knox und mein Gefährte Hilton.«

«Aber wo habt Ihr denn Eure Biberfallen, Master Knox, ohne welche Ihr keinen Fang machen könnt?«

«Die sind uns da unten am San Juanflusse von Dieben, vielleicht von Indianern, gestohlen worden. Vielleicht treffen wir ein Kamp, wo es welche zu kaufen gibt. Ihr meint also, daß wir uns euch zunächst bis nach den Elkbergen anschließen dürfen?«

«Habe nichts dagegen, wenn meine Gefährten es zufrieden sind.«

«Schön, Master! So dürfen wir nun wohl eure Namen erfahren?«

«Warum nicht! Mich nennt man den dicken Jemmy; mein Nachbar rechts ist der — «

«Der lange Davy wohl?«fiel Knox schnell ein.

«Ja. Ihr erratet es wohl?«

«Natürlich! Ihr seid ja weit und breit bekannt, und wo der dicke Jemmy sich befindet, da braucht man nicht lange nach seinem Davy zu suchen. Und der kleine Master hier an Eurer linken Seite?«

«Den nennen wir Hobble-Frank; ein famoses Kerlchen, den Ihr schon noch kennen lernen werdet.«

Frank warf einen warmen, dankbaren Blick auf den Sprecher, und dieser fuhr fort:»Und der letzte Name, den ich Euch zu nennen habe, ist Euch jedenfalls noch besser bekannt, als der meinige. Ich denke doch, daß Ihr von Old Shatterhand gehört habt.«

«Old Shatterhand?«rief Knox aufs freudigste überrascht.»Wirklich? Ist's wahr, Sir, daß Ihr Old Shatterhand seid?«

«Warum sollte es nicht wahr sein, «antwortete der Genannte.

«Dann erlaubt mir, Euch zu sagen, daß ich mich unendlich freue, Euch kennen zu lernen, Sir!«

Er streckte bei diesen Worten dem Jäger die Hand entgegen und warf dabei Hilton einen Blick zu, welcher diesem sagen sollte:»Du, freue dich auch, denn nun sind wir geborgen. Wenn wir bei diesem berühmten Mann sind, haben wir nichts mehr zu befürchten. «Old Shatterhand aber that, als ob er die ihm angebotene Hand gar nicht bemerkte und entgegnete in kaltem Tone:»Freut Ihr Euch wirklich? Dann ist es schade, daß ich Eure Freude nicht zu teilen vermag.«

«Warum nicht, Sir?«

«Weil ihr Leute seid, über welche man sich überhaupt nicht freuen kann.«

«Wie meint Ihr das?«fragte Knox, ganz betroffen über diese Offenheit.»Ich nehme an, daß Ihr scherzet, Sir.«

«Ich spreche im Ernste. Ihr seid zwei Schwindler und vielleicht gar etwas noch viel Schlimmeres.«

«Oho! Meint Ihr, daß wir eine solche Beleidigung auf uns sitzen lassen?«

«Jawohl, das meine ich, denn was könnt ihr andres thun?«

«Kennt Ihr uns etwa?«