«Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Sie es hätten zum Kampfe kommen lassen!«
«Ganz gewiß nicht. Es hätte uns jedenfalls das Leben gekostet.«
«Oho! Wir hätten uns gewehrt. Und bei der Angst, welche die Roten vor dem Stutzen haben, hätten wir nicht zu verzweifeln gebraucht. Sie hätten es sicher nicht gewagt, uns nahe zu kommen.«
«Das ist wahrscheinlich; aber sie hätten uns ausgehungert. Ich habe zwar davon gesprochen, daß wir unsre Pferde verzehren würden, aber ich wäre lieber vor Hunger gestorben, als daß ich meinen Rappen getötet hätte.«
«Das hätten Sie gar nicht zu thun gebraucht. Bei der Eröffnung der Feindseligkeiten wäre es für die Roten das erste gewesen, unsre Pferde zu erschießen.«
«Aber gerade dadurch wären wir des besten Mittels, zu entkommen, beraubt gewesen.«
«Fort mit den Pferden! Wir selbst hätten uns gerettet. Zweihundert Mann rund um die Blöße! Die Roten stehen also nicht dicht bei- oder gar hintereinander. Wir hätten uns, sobald es dunkel wurde, von den Felsen fortgeschlichen, vier Personen gerade auf einen Punkt. Vielleicht wären wir auf eine Lücke gestoßen und durch dieselbe entkommen; keinesfalls aber hätten wir es mit mehr als einem oder höchstens zwei Roten zu thun gehabt — zwei Schüsse oder zwei Stiche und wir wären durchgebrochen.«
«Aber was dann? Du stellst dir die Sache ganz anders vor, als sie geworden wäre. Die Roten hätten rundum Feuer angebrannt und unsre Absicht, zu entfliehen, sofort bemerkt. Und selbst wenn es uns gelungen wäre, ihre Reihe zu durchbrechen, so hätten wir gar nicht sehr weit kommen können, ohne sie auf unsrer Spur zu haben. Wir hätten einige von ihnen töten müssen und dann nicht die mindeste Aussicht auf Schonung gehabt.«
«Das is sehr richtig, «stimmte der Hobble-Frank bei.»Ich weeß gar nich, wie es so eenem dicken Jemmy Pfefferkorn nur beikommen kann, gescheiter als unser Old Shatterhand sein zu wollen. Du bist immer und schtets das Gänseei, welches klüger als die Henne sein will. Old Shatterhand hat sein möglichstes gethan, und ich gebe ihm dafür die erschte Zensur mit der Eens und eenem Schternchen hintendran, und ich gloobe sehr beschtimmt, daß der Davy ganz derselbigen Ansicht is.«
«Das versteht sich ganz von selbst, «antwortete dieser.»Der Kampf hätte zu unserm sichern Untergang geführt.«
«Wozu aber führt es, daß wir mit ihnen ziehen?«fragte Jemmy.»Es ist doch anzunehmen, daß die Versammlung der Alten uns auch als Feinde behandelt.«
«Das wollt' ich ihnen nich geraten haben, «drohte Frank.»Bei der Geschichte habe ich doch ooch noch een Wörtchen mitzuschprechen. Mich bringt keener leicht an so eenen Marterpfahl. Ich wehre mich mit Haut und Haar dagegen.«
«Das darfst du ja nicht. Es ist geschworen worden. Wir müssen alles ruhig über uns ergehen lassen.«
«Wer hat denn das gesagt? Siehste denn wirklich nich ein, du trauriger Seefensieder, daß dieser Schwur seine Mucken und Parabeln hat. Es gehört doch wahrhaftig keen gastronomisches Spiegelteleskop dazu, einzusehen, daß sich unser berühmter Shatterhand da eene ganz allerliebste Hinterportiere offgelassen hat. Davon, daß wir alles über uns ergehen lassen müssen, schreibt Obadja nischt. Es heeßt, wie du gehörst hast, daß wir an keene Gegenwehr denken werden. Gut, das halten wir. Mögen sie beschließen, was sie wollen, wir werden nich mit tausendzentnerigen, eisernen Dampfkränen dreinschlagen; aber List, List, das is der wahre Jakob; das is keene Gegenwehr. Wenn uns der Sufflör zum Tode verurteelt, so verschwinden wir durch irgend eene Versenkung und tauchen jenseits des Hoftheatersch mit konzentrierter Grandifloria wieder off.«
«Grandezza, meinst du wohl, «verbesserte Jemmy.
«Schprichste mir schon wieder über den Schnurrbart weg!«zürnte der Kleine.»Wenn nur du nich reden wolltst! Ich werde schon wissen, wie ich mich im Konvexationslexikon zu benehmen habe! Grandezza! Gran is een Apothekergewicht von zwölf Pfund, und dezza, dezza, das is gar nischt, verschtanden! Aber Grand heeßt groß und Floria bedeutet, sich in Flor, im Glück, in der Blüte befinden. Wenn wir also in Grandifloria offtauchen, so wird jeder genügend komfortable Mensch wissen, was ich damit gemeent und angedeutet habe. Mit dir aber darf man gar nich durch die Blume schprechen; schöne Redewendungen verschtehste nich, und alles Höhere is dir Wurscht und Schnuppe. Ich bin dein treuer Busenfreund; aber wenn ich dich so da vor mir schtehen sehe, grad so protokollarisch, wie du dicke bist, so schteigen mir die Wehmutsthränen in die Wimpern und ich möchte mit dem toten Cäsar rufen: ›Ooch du, mein Sohn, schwimmst mitten drin im Teiche!‹ Bessere dich also, Jemmy, bessere dich, solange du dich noch bessern kannst! Du verbitterscht mir das Leben. Wenn ich dann schpäter 'mal die Oogen geschlossen habe, aus dem edleren Dasein geschwunden und um das bessere Leben gebracht durch deine pupillarisch-servilitätische Impertinenz, so wirscht du mit Bedauern auf zu meinen Geistern schauen und dir die Finger wund ringen aus Gram und Herzeleed darüber, daß du mir hier unten im irdischen Daseinsformat so oft und chronologisch widerschprochen hast!«
Das war nicht etwa im Scherz gesagt; die gegenwärtige Lage der vier Männer war ja überhaupt keine zum Scherzen geeignete. Er meinte es sehr ernst, der kleine, eigentümliche Mensch. Jemmy wollte ihm eine vielleicht ironische Antwort geben, aber Old Shatterhand winkte ihm ab und sagte:»Frank hat mich verstanden. Ich habe auf Gegenwehr verzichtet, aber nicht auf List. Doch würde es mir lieb sein, wenn ich nicht zu einer so spitzfindigen Auslegung meines Versprechens gezwungen wäre. Ich hoffe, daß uns noch andre und ehrlichere Hilfsmittel zu Gebote stehen werden. Jetzt haben wir es zunächst mit der Gegenwart zu thun.«
«Und da fragt es sich vor allen Dingen, «fiel Davy ein,»ob wir den Roten trauen dürfen. Wird der» große Wolf «Wort halten?«
«Ganz gewiß. Niemals hat ein Häuptling den Schwur gebrochen, bei welchem er das Calumet rauchte. Bis zur Beratung können wir uns den Utahs getrost schlafend anvertrauen. Laßt uns hinab- und zu Pferde steigen. Die Roten rüsten sich zum Aufbruche.«
Knox und Hilton waren von den Indianern auf ihre Pferde gebunden worden. Der erstere, welchen noch tiefe Ohnmacht umfangen hielt, lag lang auf dem Pferde, um dessen Hals man seine Arme gezogen hatte. Die Utahs verschwanden einer hinter dem andern in der Enge des Pfades. Der Häuptling war der letzte; er wartete auf die Weißen, um sich ihnen anzuschließen. Das war ein gutes Zeichen, denn es war das gerade Gegenteil der erwarteten feindseligen Behandlung. Die Jäger hatten geglaubt, daß man sie in die Mitte nehmen und auf das strengste bewachen werde. Nun aber war anzunehmen, daß der» große Wolf «kein Mißtrauen hege, sondern dem Versprechen Old Shatterhands vollen Glauben schenke.
Als er mit ihnen den engen Indianerpfad zurückgelegt hatte und am Rande des Waldes angekommen war, hatten die Roten ihre Pferde schon unter den Bäumen hervorgeholt und stiegen auf. Der Zug setzte sich in Bewegung. Die vier Weißen blieben mit dem Häuptlinge am Ende desselben, während die Spitze von einigen Indianern gebildet wurde, welche Knox und Hilton zwischen sich genommen hatten. Das war Old Shatterhand lieb, denn die Roten ritten im Gänsemarsche, weshalb der Zug so lang wurde, daß am Ende desselben das Jammern des nun wieder ins Bewußtsein zurückgekehrten Skalpierten nicht gehört werden konnte.
Jetzt, wo sich die Prairie wieder öffnete, gab es eine weite Fernsicht bis zu den Elk-Mountains hin, bis zu deren Fuß sich die Ebene erstreckte. Old Shatterhand fragte den Häuptling nicht, aber er sagte sich selbst, daß zwischen diesen Bergen das Ziel des heutigen Rittes liege. Es wurde überhaupt nicht gesprochen. Die Weißen beobachteten sogar gegeneinander ein tiefes Schweigen, denn alles Reden wäre unnütz gewesen. Man mußte warten, bis man am Lagerplatz der Utah angekommen war; dann erst konnte ein Entschluß gefaßt, ein Rettungsplan erdacht werden.