Zwölftes Kapitel
Auf Tod und Leben
Die Roten schienen es recht eilig zu haben; sie ritten meist im Trabe und nahmen nicht die mindeste Rücksicht auf die beiden gefesselten Gefangenen, deren einer sogar lebensgefährlich verwundet war. Das Abziehen der Kopfhaut ist eine sehr schlimme Verletzung. Man trifft zwar hie und da einen Weißen, welcher skalpiert worden und entkommen ist, aber das sind äußerst seltene Ausnahmen, denn es gehört, abgesehen von allem andern, eine höchst robuste Konstitution dazu, eine solche Verwundung zu überleben.
Die Berge rückten immer näher, und gegen Abend wurden die ersten Ausläufer derselben erreicht. Die Roten lenkten in ein langes, schmales Querthal ein, dessen Seiten mit Wald bestanden waren. Später ging es durch mehrere Seitenthäler, immer bergan, und die Indianer fanden trotz der eingebrochenen Dunkelheit ihren Weg so leicht, als ob es heller Tag sei. Später ging der Mond auf und beleuchtete die dicht mit Bäumen bewachsenen Felsenhänge, zwischen denen die Reiter sich still und stetig fortbewegten. Erst gegen Mitternacht schien man sich in der Nähe des Zieles zu befinden, denn der Häuptling gab einigen seiner Leute den Befehl, vorauszureiten, um die Ankunft der Krieger zu melden. Schweigend ritten diese Boten davon, den Befehl auszuführen.
Dann kam man an einen ziemlich breiten Wasserlauf, dessen hohe Ufer, als man ihnen folgte, immer weiter auseinander traten, bis man sie trotz des hellen Mondenscheines nicht mehr zu erkennen vermochte. Der Wald, welcher erst zu beiden Seiten fast bis an das Wasser reichte, wich später zurück und öffnete eine grasige Savanne, auf welcher man in der Ferne die Feuer brennen sah.
«Uff!«ließ der Häuptling jetzt zum erstenmal während des Rittes seine Stimme hören.»Dort liegen die Zelte meines Stammes und da wird euer Schicksal entschieden werden.«
«Noch heute?«erkundigte sich Old Shatterhand.
«Nein. Meine Krieger bedürfen der Ruhe, und euer Todeskampf wird länger währen und uns größere Freude machen, wenn ihr euch vorher durch den Schlaf gekräftigt habt.«
«Das ist nicht übel!«meinte der dicke Jemmy in deutscher Sprache, um von den Roten nicht verstanden zu werden.»Unser Todeskampf! Er thut genau so, als ob wir dem Marterpfahle gar nicht entgehen könnten. Was sagst du dazu, alter Frank?«
«Zunächst noch gar keen Wort, «antwortete der kleine Sachse.»Reden werde ich erscht schspäter, wenn die kongressive Zeit dazu gekommen is. Niemand schtirbt vor seinem Tode und ich habe wirklich keene Lust, Ausnahme von dieser weltgeschichtlichen Regel zu machen. Nur will ich bemerken, daß es mir noch gar nich wie schterben zu Mute is. Warten wir also die Sache ab. Aber wenn ich etwa mit brutaler Gewalt so vorzeitig zu meinen Großvätern versammelt werden soll, so wehre ich mich meiner Haut, und ich weeß genau, daß an meinem schpätern Leichenschteene viele Witwen und Waisen derer klagen werden, die ich vorher in die Elise expediere.«
«Ins Elysium meinst Du wohl?«fragte der Dicke.
«Rede nich so albern! Wir reden jetzt doch deutsch und Elise is echt germanisch. Ich bin een guter Christ und mag also mit dem alten römischen Elysium nischt zu thun haben. Daß nun gerade immer diejenigen Menschen am klügsten thun, welche den kleensten Verschtand besitzen! Es is aber immer so gewesen, daß die größten Kartoffeln am seefigsten sind!«
Er hätte seinem Ärger über die erfahrene Verbesserung wohl noch ferner Luft gemacht, wenn er die Zeit dazu gehabt hätte. Die gab es aber nicht, denn der Augenblick des Empfanges war gekommen. Die Bewohner des Dorfes hatten sich aufgemacht, die zurückkehrenden Krieger zu begrüßen. Sie kamen ihnen in hellen Haufen entgegen, voran die Männer und Knaben, hinter diesen die Frauen und Mädchen, alle aus Leibeskräften schreiend und brüllend, daß es klang, als ob die Schar aus lauter wilden Tieren bestehe.
Old Shatterhand hatte erwartet, ein gewöhnliches Zeltdorf zu finden, mußte aber zu seiner Enttäuschung erkennen, daß er in einem Irrtum befangen gewesen war. Die große Anzahl der Feuer bewies, daß viel, viel mehr Krieger vorhanden waren, als die Zelte zu fassen vermochten. Es hatten sich die Bewohner vieler andrer Utahdörfer hier versammelt, um den Rachezug gegen die Weißen zu beraten. Die vorausgesandten Boten hatten erzählt, daß der Häuptling sechs Bleichgesichter mitbringe, und die Roten gaben jetzt ihrem Entzücken über diese Botschaft einen Ausdruck, dessen eben nur wilde Völkerschaften fähig sind. Sie schwangen ihre Waffen und schrieen aus Leibeskräften, indem sie die entsetzlichsten Drohungen ausstießen.
Als das Lager erreicht worden war, sah Old Shatterhand, daß dasselbe aus Büffelhautzelten und aus mittels Zweigen schnell errichteter Hütten bestand, welche einen weiten Kreis bildeten, in dessen Innerem der Zug halten blieb. Hier wurden die beiden Gefesselten von den Pferden losgebunden und auf die Erde geworfen. Das gräßliche Stöhnen des verwundeten Knox wurde von dem Geheul der Roten völlig verschlungen. Dann führte man die andern vier zu diesen beiden. Die Krieger bildeten einen weiten Kreis um sie, und dann traten die Frauen und Mädchen vor, um die Weißen kreischend zu umtanzen.
Das war eine der größten Beleidigungen, welche es gab. Es ist eine Mut- und Ehrlosigkeitserklärung, Gefangene von den Weibern umtanzen zu lassen. Wer sich das widerstandslos gefallen läßt, wird für tiefer stehend als ein Hund gehalten. Man hatte den vier Jägern bis jetzt die Waffen gelassen. Old Shatterhand rief seinen Gefährten einige Worte zu, worauf dieselben niederknieten und ihre Gewehre anlegten. Er selbst schoß den Bärentöter ab, dessen Knall das Geheul übertönte, und legte dann den Stutzen an die Wange. Sofort trat tiefes Schweigen ein.
«Was ist das?«rief er so laut, daß alle es hörten.»Sind wir gezwungen worden, mit euch zu reiten, oder haben wir es freiwillig gethan? Wie können die roten Männer uns als Gefangene behandeln? Ich habe mit dem» großen Wolfe «die Pfeife der Beratung geraucht und bin einverstanden gewesen, daß die Krieger der Utahs sich miteinander besprechen, ob wir als Feinde oder Freunde behandelt werden sollen. Diese Besprechung hat noch nicht stattgefunden. Selbst wenn die Utahs uns als Feinde betrachten wollten, sind wir doch nicht ihre Gefangenen. Und selbst wenn wir gefangen wären, würden wir nicht dulden, daß man die Frauen und Mädchen um uns wie um feige Coyoten tanzen läßt. Wir sind nur vier Krieger, und die Männer der Utahs zählen nach Hunderten; dennoch frage ich, welcher von euch es wagen will, Old Shatterhand zu beleidigen. Er mag vortreten und mit mir kämpfen, wenn ich ihn nicht für einen Feigling halten soll! Nehmt euch in acht! Ihr habt mein Gewehr gesehen und wißt, wie es schießt. Sobald es den Frauen einfällt, den Tanz der Beleidigung wieder zu beginnen, werden wir unsre Flinten sprechen lassen, und dieser Platz wird von dem Blute derer gerötet werden, welche so treulos sind, die Pfeife der Beratung, welche allen tapfern roten Kriegern heilig ist, nicht zu achten!«
Der Eindruck dieser Worte war ein großer. Daß der berühmte Jäger es wagte, einer solchen Übermacht gegenüber Drohungen auszusprechen, erschien den Roten ganz und gar nicht als ein wahnsinniges Beginnen; es imponierte ihnen. Sie wußten, daß seine Worte nicht leere Reden seien, sondern daß er sie zur Wahrheit machen werde. Die Frauen und Mädchen zogen sich, ohne einen Befehl dazu erhalten zu haben, zurück. Die Männer flüsterten einander halblaute Bemerkungen zu, wobei am deutlichsten die Worte» Old Shatterhand «und» das Gewehr des Todes «zu hören waren. Es traten einige mit Federn geschmückte Krieger zu dem» großen Wolfe «und sprachen mit ihm; dann näherte sich dieser der noch immer im Anschlage sich befindenden Gruppe der vier Jäger und sagte in der Sprache der Utahs, deren sich Old Shatterhand auch bedient hatte:»Der Häuptling der Yampa-Utahs ist nicht treulos; er achtet das Calumet der Beratung und weiß, was er versprochen hat. Morgen, wenn es Tag geworden ist, wird über das Schicksal der vier Bleichgesichter entschieden werden, und bis dahin sollen sie in dem Zelte bleiben, welches ich ihnen jetzt anweisen werde. Die beiden andern aber sind Mörder und haben mit meinem Versprechen nichts zu thun; sie werden sterben, wie sie gelebt haben — triefend vom Blute. Howgh! Ist Old Shatterhand mit diesen meinen Worten einverstanden?«