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Anders als Jason, Thelma, Laura und Chris war Stefan in dieser Zeit nicht zu Hause: ein Mensch, der eigentlich nicht dazu bestimmt war, in dieser Gegenwart zu leben; die Jahre seit den großen Kriegen waren seine Zukunft - und zugleich die Vergangenheit dieser Menschen; deshalb kannte er die Zukunft, die einst sein hätte sollen, und die Zukunft, die an ihre Stelle getreten war. Die anderen konnten sich jedoch an keine andere Welt als an die erinnern, in der sich keine Supermächte feindlich gegenüberstanden, keine riesigen Kernwaffenarsenale zur Vernichtung der Menschheit bereitlagen, die Demokratie auch in Rußland blühte und Frieden und Überfluß herrschten.

Das Schicksal bemüht sich, ursprünglich vorgesehene Entwicklungslinien durchzusetzen. Aber manchmal gelingt ihm das zum Glück nicht.

Laura und Thelma blieben in Schaukelstühlen auf der Veranda sitzen und beobachteten, wie ihre Männer ans Meer hinuntergingen und dem Strand folgend nach Norden verschwanden.

»Bist du glücklich mit ihm, Shane?«

»Er ist ein Melancholiker.«

»Aber ein lieber Mensch.«

»Wie Danny wird er nie sein.«

»Aber Danny lebt nicht mehr.«

Laura nickte. »Er behauptet, ich hätte ihn erlöst«, sagte sie.

»Ein großes Wort, nicht wahr?«

Schließlich sagte Laura: »Ich liebe ihn.«

»Ich weiß«, sagte Thelma.

»Ich hätte nie geglaubt, daß ich’s noch mal tun würde ... Einen Mann auf diese Art zu lieben, meine ich.«

»Was für ‘ne Art ist das, Shane? Redest du von irgendeiner verrückten neuen Stellung? Du bist bald eine Frau mittleren Alters, Shane; in nicht allzu vielen Monden wirst du vierzig - wär’s da nicht Zeit, deine libidinösen Gewohnheiten abzulegen?«

»Du bist unverbesserlich!«

»Ich gebe mir Mühe, es zu sein.«

»Wie steht’s mit dir, Thelma? Bist du glücklich?«

Thelma tätschelte ihren angeschwollenen Bauch. Sie war im siebten Monat schwanger. »Sehr glücklich, Shane. Hab’ ich’s dir schon erzählt - vielleicht Zwillinge?«

»Ja, das hast du mir erzählt.«

»Zwillinge«, sagte Thelma, als erfülle diese Aussicht sie mit ehrfürchtiger Scheu. »Stell dir vor, wie Ruthie sich für mich freuen würde!«

Zwillinge.

Das Schicksal bemüht sich, ursprünglich vorgesehene Entwicklungslinien durchzusetzen, dachte Laura. Und manchmal gelingt ihm das zum Glück.

Sie saßen eine Weile in geselligem Schweigen da, atmeten die gesunde Seeluft und hörten den Wind sanft in den Pinien und Zypressen Montereys seufzen.

Nach einiger Zeit fragte Thelma: »Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem ich zu dir in die Berge kam und du hinter dem Haus auf Zielscheiben geballert hast?«

»Ja, ich erinnere mich.«

»Du hast auf diese Mannscheiben geballert, mit knurrend hochgezogenen Lefzen, die ganze Welt zum Kampf herausfordernd, dein Haus ein Waffenlager. Damals hast du mir erklärt, du habest dein Leben damit zugebracht, alles zu erdulden, was das Schicksal dir zugedacht habe, aber nun seist du entschlossen, nicht länger zu erdulden - du würdest kämpfen, um Chris und dich zu beschützen. An diesem Tag bist du sehr zornig gewesen, Shane, und sehr verbittert.«

»Ja.«

»Hör zu, ich weiß, daß du noch immer eine Dulderin bist. Und ich weiß, daß du nach wie vor eine Kämpferin bist. Die Welt ist noch immer voller Tod und Tragödien. Aber trotzdem bist du irgendwie nicht mehr verbittert.«

»Nein.«

»Willst du mich in dein Geheimnis einweihen?«

»Ich habe eine dritte große Lektion gelernt, das ist alles. Als Kind habe ich Dulden gelernt. Nachdem Danny ermordet worden war, habe ich Kämpfen gelernt. Jetzt bin ich noch immer eine Dulderin und Kämpferin - aber ich habe auch Akzeptieren gelernt. Das Schicksal ist.«

»Klingt sehr nach fernöstlich-mystischem-transzendentalem Scheiß. Jesus, Shane! Das Schicksal ist. Als nächstes verlangst du, daß ich ‘ne Mantra runterleiere und Nabelschau betreibe.«

»Mit Zwillingen vollgestopft wie jetzt«, sagte Laura, »kannst du deinen Nabel nicht mal sehen.«

»O doch, das kann ich - wenn ich mich vor den Spiegel stelle.«

Laura lachte. »Ich liebe dich, Thelma.«

»Ich liebe dich, Schwesterherz.«

Sie schaukelten in ihren Stühlen.

Unten am Strand kam die Flut herein.