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Markwell starrte ihn verblüfft an. »Verdammt noch mal, woher wissen Sie, wie’s mit Anna und mir gewesen ist? Und woher wissen Sie über Lenny Bescheid? Ich sehe Sie heute zum ersten Mal. Wie können Sie irgend etwas über mich wissen?«

Der Unbekannte ignorierte alle Fragen, stellte zwei Kissen ans gepolsterte Kopfende des Betts, legte seine nassen, schmutzigen Stiefel auf die Tagesdecke und streckte sich behaglich aus. »Auch wenn Sie sich wegen Lennys Tod Vorwürfe machen, sind Sie nicht daran schuld. Sie sind bloß Arzt -kein Wunderheiler. Aber daß Sie Anna verloren haben, ist Ihre Schuld. Und was Sie seither geworden sind - eine akute Gefahr für Ihre Patienten -, ist ebenfalls Ihre Schuld.«

Markwell schien widersprechen zu wollen; dann seufzte er jedoch und ließ den Kopf nach vorn sinken, bis sein Kinn die Brust berührte.

»Wissen Sie, wo’s bei Ihnen fehlt, Doktor?«

»Das erzählen Sie mir bestimmt gleich.«

»Ihr Manko ist, daß Sie niemals um etwas haben kämpfen, sich niemals haben durchbeißen müssen. Sie haben einen wohlhabenden Vater gehabt und deshalb alles bekommen, was Sie wollten: Privatschule, erstklassige Universität, einen guten Beruf. Und obwohl Sie beruflich erfolgreich waren, brauchten Sie das verdiente Geld nie - Sie hatten schließlich Ihre Erbschaft. Als Lenny dann an Kinderlähmung erkrankte, konnten Sie diesen Schicksalsschlag nicht verwinden, weil Sie keine Übung darin hatten. Ihnen hat die Schutzimpfung gefehlt; Sie hatten keine Widerstandskraft und sind deshalb einem akuten Anfall von Verzweiflung erlegen.«

Markwell hob den Kopf und blinzelte, bis er wieder klar sehen konnte. »Das verstehe ich nicht«, sagte er.

»Durch Ihr Leiden haben Sie etwas dazugelernt, Markwell, und wenn Sie lange genug nüchtern bleiben, um darüber nachzudenken, kommen Sie vielleicht wieder ins Gleis. Sie haben noch immer eine minimale Chance, Ihrem Leben eine Wende zu geben.«

»Vielleicht will ich ihm keine Wende geben.«

»Das könnte stimmen, fürchte ich. Ich glaube, daß Sie Angst vor dem Sterben haben, aber ich weiß nicht, ob Sie den Mut zum Weiterleben haben.«

Der Arzt merkte, daß sein Atem nach Pfefferminz und abgestandenem Whisky roch. Seine Kehle war wie ausgedörrt, seine Zunge schien geschwollen zu sein. Er sehnte sich nach einem Drink.

Markwell ruckte halbherzig an den Stricken, die seine Hände an den Stuhl fesselten. Er ärgerte sich darüber, wie jämmerlich winselnd seine Stimme klang, war jedoch außerstande, seine Würde zurückzugewinnen, als er jetzt fragte: »Was wollen Sie eigentlich von mir?«

»Ich will verhindern, daß Sie heute nacht ins Krankenhaus fahren. Ich will dafür sorgen, daß nicht Sie Janet Shane von ihrem Baby entbinden. Sie sind zu einem Pfuscher, einem potentiellen Killer geworden, dem diesmal das Handwerk gelegt werden muß.«

Markwell fuhr sich mit der Zungenspitze über seine trockenen Lippen. »Ich weiß noch immer nicht, wer Sie sind.«

»Und Sie werden’s auch nie erfahren, Doktor!«

Bob Shane hatte noch nie solche Angst gehabt. Aber er hielt seine Tränen aus dem abergläubischen Gefühl zurück, dieses offenkundige Eingeständnis seiner Angst könnte das Schicksal herausfordern und Janet und dem Baby den sicheren Tod bringen.

Er beugte sich auf dem Wartezimmerstuhl vor, senkte den Kopf und betete stumm: »Lieber Gott Janet hätte einen Besseren als mich verdient. Sie ist so hübsch, und ich bin ganz und gar durchschnittlich. Ich bin nur ein kleiner Geschäftsmann, und mein Lebensmittelladen an der Ecke wird niemals größere Gewinne abwerfen, aber sie liebt mich. Lieber Gott, sie ist gut, ehrlich, bescheiden ... sie hat’s nicht verdient, schon zu sterben. Vielleicht willst du sie zu dir holen, weil sie schon gut genug fürs Paradies ist. Aber ich bin noch längst nicht gut genug, und ich brauche ihre Hilfe, um ein besserer Mann werden zu können.«

Die Tür des Wartezimmers wurde geöffnet.

Bob hob den Kopf.

Dr. Carlson und Dr. Yamatta kamen in ihren grünen Arztkitteln herein.

Ihr Anblick erschreckte Bob, der jetzt langsam aufstand. Yamattas Blick war trauriger als je zuvor.

Carlson war ein großer, stattlicher Mann, dem es gelang, sogar in schlechtsitzender Krankenhauskleidung würdevoll zu wirken. »Mr. Shane ... ich bedauere, ich bedauere es sehr, aber Ihre Frau ist bei der Entbindung gestorben ...«

Bob stand wie versteinert da, als habe die Schreckensnachricht ihn zur Salzsäule erstarren lassen. Er bekam nur Teile der Ausführungen Carlsons mit.

». starke Gebärmutterverengung ... ein seltener Fall von anlagebedingter Gebärunfähigkeit. Sie hätte eigentlich nie schwanger werden dürfen. Tut mir schrecklich leid ... alles getan, was wir konnten ... starke Blutungen ... aber das Baby .«

Das Wort »Baby« ließ Bob aus seiner Erstarrung erwachen. Er trat zögernd einen Schritt auf Carlson zu. »Was haben Sie über das Baby gesagt?«

»Es ist ein Mädchen«, antwortete Carlson. »Ein gesundes Mädchen.«

Bob hatte befürchtet, alles sei verloren. Jetzt starrte er Carl-son an und wagte vorsichtig zu hoffen, daß ein Teil Janets nicht gestorben und er somit doch nicht ganz allein auf der Welt zurückgeblieben war. »Wirklich? Ein Mädchen?«

»Richtig«, bestätigte Carlos. »Ein außergewöhnlich hübsches Baby mit auffallend vollem dunkelbraunem Haar.«

Bob starrte Yamatta an, flüsterte: »Mein Baby lebt!«

»Ja«, sagte Yamatta. Ein wehmütiges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Und dafür können Sie sich bei Doktor Carlson bedanken. Ihre Frau hat nie eine Chance gehabt, fürchte ich. Unter weniger erfahrenen Händen wäre vielleicht auch das Baby nicht durchgekommen.«

Bob wagte noch immer nicht recht, die gute Nachricht zu glauben, als er sich jetzt an Carlson wandte. »Meine ... meine Tochter lebt, und dafür muß man schon dankbar sein, nicht wahr?«

Die beiden Ärzte standen verlegen schweigend vor ihm. Dann legte Yamatta, der zu spüren schien, daß dieser Kontakt ihn trösten würde, Bob Shane eine Hand auf die Schulter.

Obwohl Bob zehn Zentimeter größer und 15 Kilogramm schwerer war als der zierliche Arzt, lehnte er sich gegen Yamatta. Er begann zu schluchzen, und Yamatta hielt ihn an sich gedrückt.

Der Unbekannte blieb noch eine Stunde bei Markwell, schwieg aber hartnäckig und beantwortete keine von Markwells Fragen. Er lag auf dem Bett, starrte die Zimmerdecke an, war offenbar so sehr in Gedanken vertieft, daß er sich kaum bewegte.

Als der Arzt wieder nüchtern wurde, begannen ihn bohrende Kopfschmerzen zu quälen. Wie gewöhnlich verstärkte sein Kater das Selbstmitleid, das ihn zum Trinker gemacht hatte.

Schließlich schaute der Eindringling auf seine Uhr. »Viertel vor zwölf. Ich muß weiter.« Er stand vom Bett auf, kam an den Stuhl und zog erneut sein Messer unter der Jacke hervor.

Markwell beobachtete ihn nervös.

»Ich schneide Ihre Fesseln jetzt halb durch, Doktor. Zwanzig, dreißig Minuten Anstrengung müßten Ihnen genügen, um sich zu befreien. Das läßt mir Zeit genug, um zu verschwinden.«

Als der Mann hinter den Stuhl trat und sich an die Arbeit machte, rechnete Markwell damit, im nächsten Augenblick das Messer zwischen die Rippen zu bekommen.

Aber der Unbekannte steckte sein Messer nach weniger als einer Sekunde weg und ging zur Schlafzimmertür. »Sie haben wirklich eine Chance, Ihrem Leben eine Wende zu geben, Doktor. Ich halte Sie für zu schwach dafür, aber ich hoffe, daß ich mich täusche.«

Er verließ den Raum.

Während Markwell sich zu befreien versuchte, hörte er etwa zehn Minuten lang rätselhafte Geräusche aus dem Erdgeschoß. Offenbar suchte der Eindringling nach Wertgegenständen. Obwohl er den Geheimnisvollen gespielt hatte, war er vielleicht doch nur ein Einbrecher mit äußerst merkwürdiger Arbeitsweise.