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Am Strande unter großen Zelten oder im Schatten von Palmen hielten die Seeräuber ihr Festgelage, wobei sie die mitgebrachten Vorräte wie Nabobs verzehrten.

Wenn auch Tiger auf dem Wasser – auf dem Lande waren sie die fröhlichsten Bewohner der Antillen, dabei auch gastfreundlich und liebenswürdig. Sie luden stets zur ihren Festen die unglücklichen Spanier ein, die sie als Gefangene, in der Hoffnung auf hohes Lösegeld, zurückbehalten hatten, ebenso auch die weiblichen Gefangenen, denen sie höchst ritterlich begegneten, damit diese ihre traurige Lage vergessen sollten. Erhielten sie aber die geforderten Lösegelder nicht, so griffen sie zu grausamen Mitteln. Sie sandten dann einige Köpfe von Gefangenen an die spanischen Gouverneure, um sie zur Herausgabe der Gelder zu zwingen.

Als das Schiff landete, unterbrachen die Korsaren ihr Mahl, ihre Tänze und Spiele, um mit lärmenden Hurrarufen die Rückkehr des Schwarzen Korsaren zu begrüßen, der sich ähnlicher Beliebtheit wie der Olonese erfreute.

Alle hatten von dem verwegenen Plan gehört, daß er dem Gouverneur von Maracaibo den Roten Korsaren tot oder lebendig entreißen wolle. Da sie seine Tapferkeit kannten, hofften sie auch auf die Rückkehr der beiden Brüder.

Als sie jedoch die schwarze Fahne halbmast, als Zeichen der Trauer, wehen sahen, verstummten die Rufe mit einem Schlage. Schweigend versammelten sich die Männer am Strande, um Nachrichten über das Unternehmen einzuziehen.

Der Schwarze Korsar, der auf der Kommandobrücke stand, rief Morgan zu: »Sagt den Küstenbrüdern, daß der Rote Korsar ein ehrliches Grab in den Wellen des Großen Golfs gefunden habe und daß sein Bruder lebend zurückgekehrt sei, um die Rache vorzubereiten. Benachrichtigt auch den Olonesen, daß ich ihn heute abend aufsuchen werde, und überbringt dem Gouverneur meine Grüße! Später besuche ich auch ihn.«

Hierauf wartete er, bis die Segel gestrichen und die Achtertaue ausgeworfen waren. Dann stieg er zu der jungen Flämin hinunter, die sich schon zum Aussteigen gerüstet hatte.

»Herzogin«, sprach er, »ein Boot wartet, das Euch an Land bringen soll.«

»Ich bin Eurer Befehle gewärtig als Eure Gefangene, Herr!« erwiderte sie.

»Nein, Madame, Ihr seid frei.«

»Frei? Ich habe mein Lösegeld doch noch nicht bezahlt, Kapitän.«

»Es liegt bereits in der Mannschaftskasse.«

»Von wem bezahlt?« fragte sie erstaunt. »Ich habe bis jetzt weder den Marqués von Heredias noch den Gouverneur von Maracaibo von meiner Gefangenschaft in Kenntnis gesetzt.«

»Es wird sich wohl ein anderer gefunden haben«, erwiderte er lächelnd.

»Ihr vielleicht...?«

»Und wenn ich es gewesen wäre?« Der Kommandant blickte ihr tief in die Augen.

Die junge Flämin schwieg einen Augenblick errötend. Dann sagte sie bewegt: »Das ist eine Großmut, die ich bei den Flibustiern der Tortuga nicht zu finden glaubte; doch von Euch überrascht sie mich nicht!«

»Wieso, Madame?«

»Weil Ihr anders seid! In den wenigen Tagen, in denen ich mich am Bord dieses Schiffes befinde, hatte ich Gelegenheit, die edlen Eigenschaften des Herrn von Ventimiglia kennenzulernen. Ich bitte Euch jedoch, mir anzugeben, auf wie hoch mein Lösegeld sich beläuft!«

»So drängt es Euch, das Lösegeld zu bezahlen und die Tortuga zu verlassen?«

»Ihr irrt! Wenn der Augenblick da ist, wo ich diese Insel verlassen muß, so werde ich es vielleicht mit tiefem Bedauern tun ... Stets werde ich dem Schwarzen Korsaren dankbar sein und ihn nie vergessen!«

»Madame!« rief der Korsar, und seine Augen leuchteten.

Er wollte rasch auf sie zutreten, besann sich aber und sagte traurig: »Vielleicht bin ich dann schon der schlimmste Feind Eurer Freunde; wer weiß, ob Ihr mich dann noch leiden könnt.«

Mit schnellen Schritten durchquerte er den Wohnraum, blieb plötzlich vor Honorata stehen und fragte sie unvermittelt: »Kennt Ihr den Gouverneur von Maracaibo?«

Die Herzogin zitterte bei diesen Worten, und ihre Blicke verrieten Angst.

»Ja«, entgegnete sie zögernd. »Warum fragt Ihr?«

»Nehmt an, ich hätte es nur aus Neugierde getan!«

»O Gott!«

»Was habt Ihr?« fragte der Korsar erstaunt. »Ihr seid blaß und erregt...?«

»Warum diese Frage?« wiederholte Honorata mit erstickter Stimme.

Ehe der Korsar antworten konnte, wurde an die Tür geklopft, und Morgan trat ein.

»Kommandant, Pierre Nau erwartet Euch in seiner Wohnung und hat Euch wichtige Mitteilungen zu machen. Ich glaube, daß Eure Pläne zustande kommen und daß alles für das Racheunternehmen bereit ist.«

»Ah!« rief der Korsar mit flammenden Augen. »Ist es schon so weit gediehen?«

Er wandte sich an die junge Flämin, die ihn noch immer erschrocken anstarrte.

»Madame! Darf ich Euch Gastfreundschaft in meinem Hause anbieten? Dasselbe steht Euch ganz zu Eurer Verfügung! Mokko, Carmaux und Stiller werden Euch dorthin begleiten und zu Euren Diensten sein!«

»Noch ein Wort wegen des Lösegelds«, stammelte die Herzogin.

»Davon sprechen wir später!«

Ohne sie weiter anzuhören, ging der Korsar, von Morgan gefolgt, mit kurzem Gruß hinaus.

Eine von sechs Mann besetzte Schaluppe harrte seiner an Backbord. Er setzte sich ans Steuer, fuhr aber anstatt nach dem Strande, wo die Piraten noch immer ihre Orgien feierten, nach einer kleinen Bucht im Osten des Hafens, wo sich ein Palmenwald erhob.

Da stieg er an Land, winkte seinen Leuten, bei dem Boot zurückzubleiben, und bahnte sich allein einen Pfad durch den dichten Hain. Er war schon ziemlich weit vorgedrungen, als ihn eine vergnügte Stimme, die einen leicht spöttischen Ton hatte, aus seinen Betrachtungen riß.

»Ich schwor schon, daß die Kariben mich fressen sollten, wenn du es nicht seist. Die Lustigkeit, die auf der Tortuga herrscht, schreckt dich wohl so, daß du auf dem Waldweg in mein Haus kommst! So traurig, Emilio? Du bist ja wie ein Totengräber! ...«

Aus einer Baumgruppe trat ihm ein Mann von ziemlich kleiner, kräftiger Gestalt, groben Gesichtszügen und durchdringenden Blicken entgegen. Er mochte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein, war wie ein einfacher Seemann gekleidet und mit Pistolen und Entersäbel bewaffnet.

»Ah, du bist es, Pierre?« sagte der Korsar.

»Ich bin's, der Olonese!«

Es war der berühmte Pirat, der kühnste Seefahrer und fürchterlichste Feind der Spanier, der schon viel Blutvergießen angerichtet hatte.

Gebürtig in Olone (Poitou), war er zuerst Schmuggler an der Küste Spaniens gewesen. Als er eines Nachts von Zollwächtern überrascht wurde, büßte er seine Barke ein. Während sein Bruder dabei das Leben verlor, wurde er selbst so schwer verwundet, daß er lange zwischen Leben und Tod schwebte. Als er geheilt war, befand er sich im größten Elend. Darum verkaufte er sich als Sklave, um seiner alten Mutter zu helfen, für vierzig Taler an Montbars, den großen »Vernichter«. Zunächst wurde er der Gehilfe der Bukanier, dann Flibustier, und da er über einen ganz besonderen Mut und große Geistesgegenwart verfügte, erhielt er endlich vom Gouverneur von Tortuga ein kleines Schiff.

Mit diesem Fahrzeug vollbrachte der kühne Mann wahre Wunder. Er schädigte die spanischen Kolonien auf jede Weise und wurde dabei kräftig von drei Korsaren, dem Schwarzen, Roten und Grünen, unterstützt.

Eines Tages jedoch hatte er, fast unter den Augen der Spanier, an der Küste von Campeche durch Sturm Schiffbruch erlitten. Alle seine Gefährten wurden niedergemetzelt. Nur ihm allein gelang es, sich zu retten, indem er bis zum Halse in einen Morast untertauchte und sich sogar das Gesicht mit Schlamm bedeckte, um nicht erkannt zu werden.