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»Mir fehlen sechzig Mann! Dreißig mußte ich auf dem erbeuteten Linienschiff lassen, und die andern dreißig verlor ich im Kampfe.«

»Nun, wir werden andere finden! Alle reißen sich ja darum, mit der ›Fólgore‹ zu fahren!«

»Obwohl ihr Kommandant im Rufe steht, ein Meergeist zu sein.«

»Weil du so finster bist wie ein Gespenst! Aber mit deiner Herzogin bist du wohl anders?«

»Wer weiß!« antwortete der Korsar.

Er hatte sich erhoben.

»Auf Wiedersehen, Pierre! Heute abend werde ich mich wieder hier einfinden, wenn auch etwas später.«

»Gib nur acht, daß die Augen der Flämin dich nicht behexen!« rief der Olonese ihm nach.

Der Korsar war aber schon weit fort. Er hatte einen andern Weg genommen und zwar durch den Wald, der sich, einen Hauptteil der Insel einnehmend, hinter der Zitadelle ausdehnte. Herrliche, Maximilianen genannte Palmen, riesenhafte Mauritien mit großen, fächerartigen Blättern schlangen ihr Laubwerk um palmenähnliche Baumkolosse, deren harte Blätter wie Zink aussahen. Darunter wuchsen kostbare Agaven in Fülle, die jenes süßliche Getränk hergeben, das an den Ufern des mexikanischen Golfs Wasserhonig und in gegorenem Zustand Mezcal genannt wird. Auch wilde Vanillenbüsche, langer Pfeffer und Gewürz wurden von den gezackten Blättern der Jupatien und Bosso beschattet. Der Schwarze Korsar kümmerte sich aber nicht um die wunderbare Vegetation.

Nach einer halben Stunde gelangte er an eine Zuckerrohrplantage. Das hohe, gelblich rote Rohr hatte bei den Strahlen der untergehenden Sonne eine purpurne Färbung angenommen. Die langen, bis zur Erde hängenden Blätter legten sich um einen schlanken Stiel, der in einem Federbusch endete und in bläulichen und gelblichen Farben schimmerte. Die Pflanzen waren schon zur Reife gediehen.

Der Kapitän verweilte einen Moment horchend, ehe er die Plantage durchschritt. Dann stand er vor einem reizenden Häuschen, das im Schatten einiger Palmengruppen lag.

Es war eine Villa mit drei Stockwerken, wie sie noch heute in Mexiko gebaut werden, mit rotbemalten Wänden, Porzellankacheln und einer großen, voll mit Blumentöpfen besetzten Dachterrasse.

Eine riesige Kürbispflanze mit breiten Blättern, dicken, blaßgrünen Früchten, kugelrund und groß wie Melonen, die, wenn sie leer sind, den Indianern als Gefäße dienen, bedeckte das Haus vollständig bis zur Terrasse hinauf.

Gemütlich vor der Tür saß Mokko, der Neger, und rauchte eine alte Pfeife, wohl ein Geschenk seines weißen Freundes. Er erhob sich mit einem Ruck, als er den Kommandanten auf sich zukommen sah.

»Wo sind Carmaux und Stiller?«

»Nach dem Hafen gegangen. Sie wollten fragen, ob Ihr Befehle für sie habt.«

»Was macht die Herzogin?«

»Sie ist im Garten.«

»Allein?«

»Mit ihren Dienerinnen und Pagen. Sie schmückt den Tisch für Euch zum Abendessen.«

»Für mich?« fragte der Korsar, und seine umwölkte Stirn erhellte sich plötzlich.

»Ja, sie erwartet Euch.«

Er öffnete die Tür, durchschritt den mit duftenden Blumenvasen bestellten Flur und trat auf der andern Seite des Hauses in den großen, von hohen, festen Mauern umgebenen Garten hinaus.

Ebenso entzückend wie das Haus, so malerisch war auch der Garten. Wunderschöne Alleen von Bananenbäumen, die mit ihren großen dunkelgrünen Blättern für Kühlung sorgten und schon leuchtende Früchte trugen, die riesigen Trauben glichen, dehnten sich nach allen Seiten hin aus und teilten den Boden in Beete, die mit tropischen Blumen bewachsen waren. Hier und da an den Ecken erhoben sich prächtige Perseen mit grünen, zitronengroßen Früchten, die, mit Sherry und Zucker gemischt, von ausgezeichnetem Wohlgeschmack sind. Ferner Passifloren mit köstlichen Früchten, groß wie Enteneier, die eine gallertartige, gut schmeckende Substanz enthalten. Auch zierliche Cumaru mit purpurroten, süß duftenden Blüten und Zwergpalmkraut, das schon stachelig aus kolossalen Mandeln hervorwächst und eine Länge von sechzig und sogar von achtzig cm erreicht.

Lautlos durchschritt der Korsar eine der Alleen und näherte sich einer aus einem Riesenkürbis gebildeten Laube, die von einer wunderbaren Palme beschattet wurde, deren Blätter über elf Meter lang waren.

Lichtstrahlen fielen durch die Blätter, und ein silbernes Lachen ertönte.

Der Korsar war stehengeblieben. Er blickte durch das dichte Laubwerk und sah einen Tisch mit schneeweißem flandrischem Linnen bedeckt. Herrliche Blumen waren mit künstlerischem Geschmack geordnet um Armleuchter und Obstpyramiden.

Ananas, Bananen, grüne Kokosnüsse und Pfirsiche schmückten die Tafel.

Die junge Herzogin ordnete selbst die Blumen und Früchte, unterstützt von ihren Dienerinnen.

Sie trug ein duftiges Spitzengewand, das ihre zarte Haut noch mehr hervorhob. Die blonden Haare waren wieder in Zöpfen um den Kopf geschlungen. Den weißen Hals umschloß eine Perlenkette.

Der Korsar verfolgte mit flammenden Augen jede ihrer Bewegungen. Diese nordische Schönheit hatte es ihm angetan. So blieb er eine Weile, um den Zauber nicht zu brechen.

Er mochte sich wohl durch Blätterrascheln verraten haben, denn die junge Flämin wandte sich um. Da trat er vor und begrüßte sie. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen, als er ihr galant die Hand küßte.

»Ich erwartete Euch schon«, sagte sie freudig. »Seht, der Tisch ist gedeckt, und alles ist zum Abendessen vorbereitet! Ich habe selbst die Zubereitung der Speisen überwacht.«

»Ihr selbst, Herzogin?«

»Ja, die flämischen Frauen pflegen ihren Gästen und Gatten eigenhändig das Mahl zu bereiten!«

»Habe ich Euch denn gesagt, daß ich hier in mein Haus zum Abend zurückkommen werde?«

»Nein, aber bisweilen errät das Herz der Frauen die Absicht der Männer, und meines sagte mir, daß Ihr heute abend hierher kämet«, sprach sie lächelnd.

Der Korsar schloß für einen Moment die Augen, um die Glücksempfindung, die Honoratas Worte in ihm auslösten, nicht zu zeigen.

»Ich habe zwar meinem Freunde versprochen, mit ihm zu essen; aber ich ziehe Eure Gegenwart vor. Wer weiß, vielleicht ist es das letzte Mal, daß wir zusammen sind!«

Sie fuhr erschrocken auf. »Wollt Ihr so schnell aufs Meer zurück? Eben erst heimgekehrt, wollt Ihr schon wieder auf neue Abenteuer ausgehen?«

»Es ist mein Schicksal, und ich muß ihm folgen.«

»Nichts hält Euch zurück?« fragte sie zitternd.

»Nichts!« erwiderte er seufzend.

»Weder Liebe noch Freundschaft?«

Er antwortete nicht.

Sie hatten sich an die Tafel gesetzt, und die Dienerinnen trugen auf silbernen Platten Seefische und am Spieß gebratene Vögel auf.

Während des Mahls zeigte sich der sonst so schweigsame Korsar nicht nur als vollendeter Kavalier, sondern auch als ausgezeichneter Gesellschafter. Er erzählte der Herzogin von den Sitten und Gebräuchen der Piraten und Ochsenjäger und von ihren verwegenen Taten, wie sie immer wieder aus Seeschlachten, Schiffbrüchen und gefährlichen Abenteuern, selbst bei menschenfressenden Rassen, siegreich hervorgegangen. Aber von dem bevorstehenden Unternehmen mit dem Olonesen und dem Basken erwähnte er nichts.

Die Flämin hörte ihm aufmerksam zu, ohne den Blick von seinem Antlitz zu wenden. Ein bestimmter Gedanke beherrschte sie.

Sie war wißbegierig, den Zweck der neuen Expedition zu erfahren, aber sie fühlte, daß er jenes Gespräch vermied.

Es war schon lange dunkel geworden. Der Mond war bereits seit zwei Stunden hinter den Bäumen aufgegangen, als der Korsar sich erhob. Erst jetzt erinnerte er sich, daß ihn der Olonese und der Baske erwarteten, um mit ihm über die Bemannung seines Schiffs zu sprechen.

»Die Zeit ist mir in Eurer Nähe entflohen, so daß ich fast meine Angelegenheiten vergessen hätte. Ihr übt eine geheimnisvolle Macht aus!«

»Der süße Genuß der Ruhe in Eurem Hause nach so vielen Meeresfahrten wird Euch gefesselt haben!«