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Inzwischen war es der »Fólgore«, die in eine Bucht eingelaufen war, gelungen, ein anderes spanisches, mit acht Kanonen bewaffnetes Schiff aufzustöbern und nach kurzem Widerstand zu kapern.

Nach Besichtigung der beiden eroberten Schiffe stellte sich heraus, daß das größere eine kostbare Ladung, teils aus wertvollen Waren, teils aus Silberbarren, mit sich führte. Das zweite hatte Pulver und Gewehre an Bord, die für die spanische Garnison von San Domingo bestimmt waren.

Die beiden Mannschaften wurden an der Küste abgesetzt, da man keine Gefangenen an Bord haben wollte. Nachdem die Schäden an den Masten beseitigt waren, segelte das Geschwader gegen Abend in der Richtung nach Jamaika weiter.

Die »Fólgore« war als bester Segler wieder vorangeeilt und hielt Entfernung von vier bis fünf Meilen von den andern.

Der Schwarze Korsar befürchtete, daß irgend ein spanisches Schiff das Geschwader entdeckte und seine Nähe dem Gouverneur von Maracaibo oder dem Admiral Toledo verriete. Um das Meer immer überblicken zu können, verließ er fast nie die Kommandobrücke und schlief auch daselbst auf einem Bambusstuhl im Freien, in seinen Mantel gehüllt.

Drei Tage nach der Eroberung der beiden Schiffe sichtete die »Fólgore« beim Auftauchen der Küste Jamaikas das bei Maracaibo von ihr eroberte Linienschiff, das während des Sturms auf der Insel Schutz gesucht hatte. Es war noch ohne Großmast, aber die Mannschaft hatte den Hintermast und den Fockmast verstärkt und alle an Bord befindlichen Wechselsegel gespannt. Es eilte nach der Tortuga, um nicht von einem spanischen Schiff überrascht zu werden.

Der Kommandant ließ sich vom Zustand der Verwundeten berichten, die er in den Gängen des Schiffes untergebracht hatte. Dann setzte er seine Fahrt nach Süden fort, um so bald wie möglich in den Golf von Maracaibo einzulaufen.

Da das Meer unverändert ruhig lag, vollzog sich die Fahrt durch das Karibische Meer ohne Zwischenfälle. Vierzehn Tage, nachdem das Geschwader die Tortuga verlassen hatte, sichtete der Kapitän die Spitze von Paraguana, die ein kleiner Leuchtturm bezeichnete, der den Seefahrern den Weg in den Kleinen Golf zeigen sollte.

»Endlich!« rief Ventimiglia mit flammenden Augen. »Vielleicht wird morgen schon der Mörder meiner Brüder nicht mehr unter den Lebenden weilen!«

Er rief Morgan zu sich, der gerade auf Deck die Wache hatte: »Der Olonese hat befohlen, es solle kein Licht heute nacht an Bord angezündet werden. Die Spanier dürfen nichts von unserer Anwesenheit ahnen, sonst finden wir morgen keinen Piaster in der ganzen Stadt.«

»Sollen wir am Eingang des Golfs bleiben?«

»Nein, das ganze Geschwader soll bis in die Mündung des Sees vorrücken und morgen bei Tagesanbruch Maracaibo überfallen.«

»Sollen unsere Leute landen?«

»Ja, mit den Bukaniern des Olonesen! Während die Flotte die Forts vom Meer aus bombardiert, werden wir sie von der Landseite angreifen, damit der Gouverneur nicht nach Gibraltar entfliehen kann. Bis zum Morgengrauen müssen alle Landungsboote bereit und mit den einpfündigen kleinen Kanonen bewaffnet sein!«

»Gut, Kapitän!«

»Übrigens werde auch ich auf der Brücke sein«, fügte der Korsar hinzu.

Er verließ das Deck und stieg in den Wohnraum hinunter, um seine Kriegsrüstung anzulegen. Eben wollte er die Tür seiner Kabine öffnen, als ein feiner, wohlbekannter Geruch ihm entgegenströmte.

»Seltsam«, murmelte er und blieb verwundert stehen. »Wenn ich nicht die Flämin auf der Tortuga gelassen hätte, bei meiner Seele würde ich schwören, daß sie hier sei.«

Er blickte sich um. Aber alles war finster, da die Lichter ausgelöscht werden mußten. Nur in einer Ecke des Wohnraums hob sich eine weiße Gestalt ab, die an einem der breiten Kajütenfenster lehnte.

Der Korsar war tapfer, doch, wie alle seine Zeitgenossen, ziemlich abergläubisch. Als er die Gestalt unbeweglich in jener Ecke stehen sah, bedeckte sich seine Stirn mit Schweiß.

»Sollte es das Gespenst meines Bruders sein?« dachte er. »Will er mich an meinen Eid erinnern ... Ist seine Seele aus dem Meeresgrund emporgestiegen?«

Diese Gedanken gingen im Fluge durch ein Hirn. Doch sofort schämte er sich dieser abergläubischen Anwandlung und ging mit gezücktem Dolche vor.

»Wer bist du? Sprich, oder ich bringe dich um!«

»Kapitän! Erkennt Ihr mich nicht?« erwiderte eine sanfte Stimme, die das Herz des Korsaren erzittern ließ.

»Honorata!« rief er zwischen Staunen und Freude. »Träume ich denn?«

»Es ist kein Traum!« entgegnete die junge Flämin bebend.

Der Kommandant stürzte vor, ließ den Dolch fallen und streckte die Arme nach ihr aus.

»Ihr hier, auf meinem Schiffe?«

»Ja, ich ... folgte Euch. Es drängte mich, Euch zu folgen!«

»So liebt Ihr mich?« fragte er jubelnd.

»Ja«, flüsterte sie.

»Jetzt kann ich dem Tod furchtlos ins Auge schauen!« rief er.

Dann zündete er mit einem Feuerzeug den Armleuchter an und stellte ihn so, daß sein Licht nicht aufs Meer fallen konnte.

Die Flämin stand noch immer am Fenster. Sie war in ein weites, weißes, mit Spitzen besetztes Gewand gehüllt. Die Hände hatte sie aufs Herz gedrückt, als ob sie dessen Schläge bändigen wollte. Das anmutige Haupt hielt sie gesenkt, schaute aber mit ihren schönen, schimmernden Augen zum Korsaren auf, der mit glücklichem Lächeln vor ihr stand. Beide blickten sich schweigend an, noch überrascht von dem Bekenntnis ihrer Liebe. Dann umfing er sie selig und führte sie an der Hand zu den beiden Sesseln, in deren Mitte der Armleuchter stand.

»Zuerst erzählt mir, durch welches Wunder Ihr hier seid? Ich wage noch nicht, an das Glück zu glauben.«

»Erst dann, wenn Ihr mir Euer Wort gebt, meinen Mitschuldigen zu verzeihen.«

»Euren Mitschuldigen?«

»Allein konnte ich doch nicht auf die ›Fólgore‹ kommen und mich hier vierzehn Tage verborgen halten!«

»Gut, weil sie mir eine so herrliche Überraschung bereitet haben, sei ihnen verziehn! Wer waren Eure Helfershelfer?«

»Stiller, Carmaux und der Neger!«

»Ich hätte es ahnen können!« rief der Korsar. »Wie habt Ihr nur deren Hilfe erlangt? Die Piraten, die den Befehlen ihrer Führer zuwiderhandeln, werden erschossen, wißt Ihr das?«

»Sie waren überzeugt, daß es ihrem Kommandanten nicht mißfallen würde, denn sie hatten heimlich bemerkt, daß Ihr mich liebt.«

»Aber wie habt Ihr Euch eingeschifft?«

»Nachts, als Matrose verkleidet, bin ich mit ihnen zusammen aufs Schiff gekommen.«

»Sie haben Euch also hier versteckt gehalten?« fragte er lächelnd.

»In der Kabine, die neben der Euren liegt. Von Zeit zu Zeit kamen sie, um mir Nahrung zu bringen, die sie der Speisekammer des Kochs entnahmen. Sie trotzten dem Tod, um ihren Anführer glücklich zu sehen.«

Er küßte ihre Hände und seufzte: »Wer weiß, wie lange das Glück dauernd wird!«

»Sprecht nicht so!« bat sie ängstlich.

»In zwei Stunden bricht der neue Tag an, dann muß ich Euch verlassen.«

»Kaum haben wir uns gesehen und gefunden«, rief sie schmerzlich.

»Wenn die Sonne am Horizont aufsteigt, wird im Golf eine Schlacht stattfinden, wie sie wohl kaum je die Korsaren der Tortuga geschlagen haben. Achtzig Kanonen sollen die Festung beschießen, die mein Todfeind verteidigt. Sechshundert Mann, entschlossen zu siegen oder zu sterben, werden zum Angriff vorgehen. Ich ihnen voran!«

»Und den Tod herausfordern!« schrie die Herzogin.

»Bedenkt, daß ich seit zwei Jahren den Augenblick ersehne, jenen Schurken zu bestrafen!«

»Was hat Euch nur der Mann getan, den Ihr mit so unversöhnlichem Hasse verfolgt?«

»Er hat mir drei meiner Brüder gemordet, und er beging einen furchtbaren Verrat.«

»Welchen?«

Der Korsar antwortete nicht. Er hatte sich erhoben und schritt mit finsterm Blick und zusammengepreßten Lippen auf und nieder, als ob er ihre Gegenwart vergessen hätte. Dann setzte er sich neben die Herzogin, die ihn mit ängstlichen Augen verfolgt hatte, und begann: »Hört mich an, und urteilt selbst, ob mein Haß gerechtfertigt ist! – zehn Jahre sind verflossen seit dem Erlebnis, aber ich erinnere mich an alles, als ob es gestern gewesen.