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»Ehe wir diesen Wald verlassen, werdet ihr hoffentlich noch eine gute Tasse Milch genehmigen«, sagte der Spanier.

»Oh!« rief Carmaux vergnügt. »Hast du eine Kuhherde entdeckt?«

»Das nicht, aber den Milchbaum.«

»Gut! Melken wir den Milchbaum!«

Er ließ sich von Carmaux ein Fläschchen reichen und näherte sich einem etwa zwanzig m hohen Baume mit breiten Blättern und dickem, glattem Stamm, der auf kräftigen Wurzeln ruhte, die über der Erde lagen, als ob sie unter derselben nicht genügend Platz gefunden hätten. Mit einem Schwertstoß drang er tief ins Mark ein. Gleich darauf floß aus der Wunde eine weiße, dickliche Flüssigkeit, die in Farbe und Geschmack der Milch ähnelte.

Alle löschten erfreut ihren Durst, schritten aber dann sofort weiter, zwischen Bambusstauden hindurch, unter ohrenbetäubendem Lärm, den das schrille Pfeifen der Eidechsen verursachte.

Der Boden wurde immer weicher. Bei jedem Schritt drang Wasser hervor und bildete Pfützen, die sich rasch vergrößerten.

Scharen von Wasservögeln zeigten die Nähe eines großen Sumpfes an. Man sah Schwärme von Schnepfen und Anhingas, Vögel mit einem so langen und dünnen Hals, daß sie auch Schlangenvögel genannt werden. Sie hatten ein sehr kleines Köpfchen, einen geraden, scharfen Schnabel und seidige, silberschimmernde Federn. Auch Scharen kleinster Sumpfvögel erblickte man, kaum so groß wie Elstern, mit dunkelgrünem, am Rande dunkelviolettem Gefieder.

Der Spanier verlangsamte seinen Schritt aus Furcht, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ein Fallen und Gurgeln wurde hörbar.

»Aha! Wasser!« rief er aus.

Plötzlich ertönte ein rauher, langer Schrei, doch nicht aus unmittelbarer Nähe.

»Hast du das gehört?« fragte Carmaux erschrocken.

»Ja, den Schrei eines Jaguars!«

Sie blieben stehen, mit den Füßen auf Bambusrohr, das sie hingelegt hatten, um nicht im Schlamm zu versinken.

Das Gebrüll des Raubtiers ließ sich nicht mehr hören, wohl aber ein heiseres Murren, das seine Wut anzeigte.

»Vielleicht fischt das Tier gerade!« meinte der Spanier.

»Fischen? Soviel ich weiß, haben die Jaguare doch keine Angelhaken«, sagte Carmaux trocken.

»Aber Krallen und einen Schwanz!«

»Wozu soll denn der Schwanz dienen?«

»Nun, um die Fische anzuziehen!«

»Hängen sie sich vielleicht Würmer an die Schwanzspitze?«

»Nein. Sie bewegen mit den langen Haaren nur ganz sanft die Wasserfläche!«

»Und dann?«

»Nun, dann kommen die beutegierigen und auch die neugierigen Fische an die Oberfläche, wo sie der Jaguar mit einem Tatzenschlag geschickt fängt!«

Der Neger, der höher stand als die andern, hatte den Jaguar erblickt.

»Er steht am Ufer des Moors und scheint nach etwas auszuspähen!«

Der Korsar ging dem Neger nach, um das Raubtier zu beobachten.

»Seid vorsichtig, Herr!« riet der Spanier.

»Wenn er uns den Weg nicht verstellt, brauchen wir ihn ja nicht anzugreifen.«

Auch die andern schlichen, hinter hohem Röhricht versteckt, ganz leise vorwärts mit gezückten Schwertern.

Nach zwanzig Schritten gelangten sie an das Ufer des großen Moors, das sich inmitten des Urwaldes auszudehnen schien. Es war ein schlammiges, von den Abgängen des ganzen Waldes gebildetes Becken. Das Wasser war von den tausend und abertausend verfaulenden Pflanzen fast schwarz geworden und hauchte giftige Miasmen aus, die bei den Menschen tödliches Fieber hervorrufen. Überall wuchsen Wasserpflanzen jeder Art. Mucumucusträucher mit breiten, schwimmenden Blättern; Gruppen von Arum, dessen herzförmige Blätter aus einem Blütenstengel hervorsprießen; ferner Muricien, die an der Oberfläche des Wassers bleiben. Endlich entfaltete die größte unter den Wasserpflanzen, die herrliche Victoria regia, ihre oft eineinhalb Meter umfassenden Blätter, die wie ungeheure Teller aussahen. Ihre umgebogenen Ränder waren mit langen, spitzen Dornen bewaffnet. Inmitten der riesigen Blätter erhoben sich die prächtigen Blüten wie weißer Atlas mit rosa abgetönten Strichen von einzigartiger Schönheit.

Kaum hatten die Flibustier einen Blick auf das Moor geworfen, als sie ganz nahe ein dumpfes Knurren vernahmen.

»Der Jaguar!« rief der Spanier erschrocken. »Da steht er am Ufer – auf der Lauer!«

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Jaguar und Krokodil

Fünfzig Schritte von ihnen entfernt stand am Rand eines Gehölzes ein prachtvolles, tigerähnliches Tier, in einer Haltung gleich den Katzen, wenn sie auf Mäusefang ausziehen. Es war fast zwei Meter lang, also wohl eines der größten seiner Art, mit einem über achtzig Zentimeter langen Schweif und einem kurzen, dicken Hals wie dem eines jungen Stiers. Seine kräftigen muskulösen Tatzen waren mit mächtigen Krallen versehen.

Sein dichtes, weiches Fell war von außerordentlicher Schönheit, gelblich-rötlich gefärbt, mit schwarzen, rot umränderten Flecken, die an den Seiten kleiner und auf dem Rücken größer und häufiger waren und dort einen breiten Streifen bildeten.

Die Flibustier erkannten in diesem Tier sofort einen Jaguar, das mächtigste Raubtier Amerikas, weit gefährlicher als der Kuguar oder die großen, grauen Bären der Rocky Mountains.

Diese Tiere, die man von Patagonien bis zu den Vereinigten Staaten findet, sind der Schrecken Amerikas, so furchtbar wie der Tiger, aber auch so behend, kräftig und wild wie diese.

Meist wohnen sie in den feuchten Wäldern und an den Ufern der Moore und riesigen Flüsse, vor allem des Rio de la Plata, des Amazonenstroms und des Orinocos, da sie, was bei den Katzen seltsam ist, das Wasser lieben.

Die Verwüstungen, die diese Tiere anrichten, sind schrecklich. Da sie einen phänomenalen Appetit besitzen, greifen sie jedes Wesen an, das ihnen begegnet. Die Affen können sich nicht retten; denn die Jaguare klettern so behend auf die Bäume wie die Katzen. Die Büffel und Pferde auf den Faktoreien können sich wohl mit Hörnern und Hufen verteidigen, fallen ihnen aber doch zum Opfer; denn die blutdürstigen Räuber springen mit einem blitzartigen Satz auf ihre Rücken und zerschmettern ihnen mit einem einzigen Tatzenschlag die Wirbelsäule. Nicht einmal die Schildkröten können entkommen, obwohl sie einen sehr widerstandsfähigen Körper besitzen. Die mächtigen Krallen der Raubtiere dringen durch den doppelten Panzer der Aruaschildkröte hindurch und ziehen das schmackhafte Fleisch heraus.

Gegen die Hunde hegen sie eine tiefe Abneigung. Wenn sie auch ihr Fleisch nicht schätzen, so holen sie sie doch am hellichten Tage aus den Indianerdörfern heraus.

Auch die Menschen werden nicht verschont. Viele arme Indianer zahlen jährlich ihren Tribut an den blutgierigen Räuber. Auch wenn sie anfangs nur verwundet sind, sterben sie an den tiefen Rissen, die ihnen die Krallen dieser Tiere beibringen.

Der Jaguar, der am Rande des Moors lauerte, schien die Nähe der Flibustier gar nicht bemerkt zu haben; denn er zeigte keine Spur von Unruhe. Unentwegt starrte er auf das schwärzliche Gewässer des großen Sumpfs, als ob er eine Beute unter den breiten Blättern der Victoria regia erspähen wolle.

Er kauerte im Röhricht nieder, doch so, daß er jeden Augenblick losspringen konnte.

Seine Schnurrhaare bewegten sich leise vor Ungeduld und Zorn, und sein langer Schweif strich lautlos über die Spitzen des Rohrs.

»Worauf wartet das Tier?« fragte der Korsar, der van Gould und dessen Eskorte ganz vergessen zu haben schien.

»Es späht nach einer Beute«, antwortete der Spanier.

»Vielleicht nach einer Schildkröte?«

»Nein!« rief der Neger. »Es wartet auf einen ebenbürtigen Gegner. Schaut dorthin, nach den Blättern der Victoria regia! Seht Ihr da nicht ein Maul auftauchen?«