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Auch Carmaux hatte sich seines Kasacks und seiner Kopfbedeckung entledigt und beide Jacken an Baumzweige gehängt, die Mützen darüber.

Dann legten sie sich wieder ins Gras.

»Schlaukopf!« lachte der Neger.

»Wenn wir diese Hampelmänner dort nicht aufhängen, könnten der Korsar und der Spanier von den Pfeilen getroffen werden. So aber laufen sie wenigstens keine Gefahr.«

Ein Zischen ging durch die Luft, und drei bis vier Pfeile durchbohrten die Vogelscheuchen.

»Euer Gift ist diesmal unschädlich, meine Lieben«, murmelte Carmaux. »Ich warte nur, daß ihr euch zeigt, damit ihr meine Bleibonbons kostet.«

Als die Indianer sahen, daß keiner ein Lebenszeichen gab, schnellten sie wieder acht bis zehn Pfeile nach den Hampelmännern. Diesmal sprang der kühnste von ihnen aus dem Dickicht hervor und schwang seine furchtbare Keule.

Carmaux hatte das Gewehr erhoben und wollte gerade losdrücken, als plötzlich vier Schüsse, von schrecklichem Geheul gefolgt, mitten im Urwald knallten.

Der Indianer sprang blitzartig zurück und verschwand.

Der Korsar und der Spanier wachten von den Schüssen jäh auf. Sie glaubten, daß die Indianer das Lager angegriffen hätten. »Was war das?«

»Inmitten des Gehölzes wird gekämpft, Kapitän!« erklärte Stiller.

»Die Indianer müssen andere weiße Männer angegriffen haben.«

»Vielleicht den Gouverneur mit seinem Gefolge?«

»Wahrscheinlich!«

»Es ist durchaus nicht nach meinem Sinne, daß er von Indianern getötet wird!«

Wieder ertönte in der Ferne wütendes Geschrei, wie von einem ganzen Rothäutestamm. Dann schwieg alles.

»Der Kampf scheint beendet«, sagte der Spanier lauschend. »Für den Gouverneur würde ich nichts unternehmen, aber für meine Landsleute, die mir leid tun.«

»Ich möchte doch wissen, ob mein Todfeind noch lebt!« rief der Flibustier. »Du kennst ja den Weg, Katalone!«

»Die Nacht ist sehr dunkel, Herr, jedoch ...«

»Können wir nicht Gummibaumzweige anzünden?«

»Dann würden wir ja die Aufmerksamkeit der Indianer erregen.«

»Unser Kompaß kann uns doch führen!«

»Der zeigt nicht! Wie können wir die hunderttausend Hindernisse überwinden, die dieser dichte Wald bietet! ... Ich weiß einen Rat: Dort sehe ich Cucuyus! Komm mit, Mokko!«

Er begab sich zu einer Baumgruppe, in der große grüne Punkte leuchteten, die wie Phantome durch die Finsternis flogen. Dann machte er Sprünge, bald rechts, bald links, als ob er dieselben erjagen wollte.

Nach zwei Minuten kehrte der Spanier schon ins Lager zurück, die Mütze mit der Hand bedeckend. Er holte einige Insekten hervor, die ein schönes blaßgrünes Licht ausstrahlten und die Dunkelheit wirklich ein wenig erhellten.

»Binden wir immer zwei dieser Leuchtkäfer an den Beinen zusammen, wie es die Indianer machen! Wer hat einen Faden?«

»Ein Seemann hat immer Bindfaden«, sagte Carmaux. »Gib her!«

»Aber nicht zu fest!«

»Du hast ja noch Reserven, deine Mütze ist voll!«

Die Flibustier banden nun behutsam die Cucuyus an die Fußknöchel ihrer Gefährten. Diese nicht leichte Aufgabe erforderte eine gute halbe Stunde. Endlich waren alle mit den kleinen lebenden Kerzen versehen und schritten durch dichtes Gestrüpp und Lianengirlanden weiter. Sie glitten über riesige netzbildende Wurzeln hinweg und turnten über Baumstämme, die vom Alter oder Blitz gefällt worden waren.

Die Gewehrschüsse hatten aufgehört. In der Ferne jedoch vernahm man ab und zu Indianergeschrei. Zwischendurch Flötentöne und dumpfe Trommellaute.

Die Schlacht schien beendet.

Den Spanier drängte es, das Schicksal seiner Landsleute zu erfahren; er fürchtete, daß einige von ihnen lebend in die Hände der Menschenfresser gefallen wären.

Jetzt war das Geschrei nicht mehr weit. Da stolperte Carmaux über eine Masse und fiel zu Boden, wobei er die an seinen Füßen befindlichen Cucuyus zerdrückte.

»Donnerwetter!« schrie er, sich langsam wieder erhebend. »Was ist denn das? Ein Toter?«

Ein langer Indianer, die Hüften mit einem dunkelblauen Röckchen bekleidet, den Kopf mit Arafedern geschmückt, lag zwischen getrockneten Blättern und Wurzeln. Ein Schwertstoß schien ihm den Schädel gespalten und eine Kugel die Brust durchbohrt zu haben. Er mußte erst vor kurzem getötet worden sein, denn aus der Wunde strömte noch Blut.

»Hier hat ein Zusammenstoß stattgefunden!« sagte Stiller. »Da liegen ja auch Keulen und Pfeile.«

Statt der Landsleute fand der Spanier noch einen anderen Indianer im Dickicht. Zwei Kugeln hatten ihn durchbohrt.

Die Verfolger setzten ihren Weg fort. Immer näher kamen die Indianerstimmen, und die Flibustier berechneten, daß es nur noch eine Viertelstunde bis zum Lager der Menschenfresser sein konnte.

Die Arawaken schienen wirklich einen Sieg zu feiern, denn heitere Flötentöne mischten sich in das Geschrei.

Da sah man ein helles Licht durch das Laubwerk. Es loderte eine Flamme auf.

»Sollten das die Indianer sein?« fragte der Korsar und blieb stehen.

»Ja!« sagte der Spanier. »Aber wen mag man da auf dem Feuer braten?«

»Vielleicht einen Gefangenen?«

»Ich fürchte!«

»Kanaillen!« murmelte der Korsar, den unwillkürlich schauderte. »Kommt, Freunde, wir wollen sehen, ob van Gould dem Tode entronnen ist oder ob ihn die Strafe für seine Missetaten ereilt hat!«

Ein entsetzliches Bild bot sich den Flibustiern, als sie sich den Bäumen näherten, die das Lager der Indianer umgaben.

Eine Schar Arawaken saß um ein Kohlebecken und röstete an einem langen Spieß ihre Speise. Wenn es sich um ein Stück Wild, einen Jaguar oder einen Tapir gehandelt hätte, würden die Flibustier sich nicht beunruhigt haben, aber der Braten bestand aus menschlichen Kadavern, aus zwei weißen Männern, wahrscheinlich von van Goulds Eskorte.

Den beiden Unglücklichen waren soeben die Eingeweide herausgenommen worden, was einen ekelhaften Geruch verbreitete.

»Hölle und Teufel!« rief Carmaux schaudernd. »Ist es möglich, daß es Menschen gibt, die sich von ihresgleichen nähren! Puh! – Diese Bestien!«

»Es sind zwei unserer Soldaten, ich täusche mich nicht, obwohl die Bärte schon verbrannt sind!«

Er sah den Kapitän flehend an.

»Du möchtest sie gern diesen Ungeheuern entreißen und ihnen ein ehrliches Grab geben? – He, Carmaux, Stiller, ihr seid gute Schützen, verfehlt euer Ziel nicht! Feuer!« befahl der Korsar.

Zwei Schüsse knallten. Der eine Indianer fiel über den Braten, und der zweite, der die große Gabel hielt, sank mit zerschmettertem Schädel hintenüber.

Die andern waren hastig aufgesprungen. Aber sie mußten wohl von dem plötzlichen Überfall so erschreckt worden sein, daß sie nicht gleich an eine Verteidigung dachten. Der Spanier und Mokko machten sich diese Verwirrung zunutze und feuerten mitten in die Schar hinein.

Als die Arawaken ihre Leute fallen sahen, wandten sie sich zur Flucht, ohne sich weiter um ihre Speise zu kümmern.

Der Spanier hatte mit wuchtigem Schlag den Bratspieß umgestoßen, während Stiller das Feuer löschte. Mokko und Carmaux hatten sich zweier Schaufeln bemächtigt und gruben hastig in dem weichen, feuchten Erdboden ein Loch, in das sie die Kadaver legten. Indessen hielt der Korsar am Rande des Gehölzes Wache.

Da sich kein Indianer mehr hören noch sehen ließ, befahl der Korsar, den Marsch fortzusetzen. Der dichte Wald bestand hauptsächlich aus Miritenpalmen mit riesigen Stämmen, an denen scharfe Dornen saßen, welche die Kleider der Flibustier zerrissen, und aus Kandelaberbäumen. Die Vögel wurden seltener, und Affen fehlten ganz.

Nach mehreren Wegstunden erhielt der Wald ein anderes Aussehen. Statt der Palmen Rohrgebüsch, Bombax, Käsebäume – nach ihrem weißen, käsigen Holz benannt –, dazu Orchideen, Farn und Passifloren. Der bisher trockene Boden war jetzt mit Wasser vollgesogen und die Luft voller Feuchtigkeit.