Pierre runzelte die Stirn. »Wahrhaftig! Das wird keine leichte Aufgabe sein, diese beiden Forts ohne Geschütz und Leitern zu erobern!« rief er. »Entweder vollbringen wir Wunder an Tapferkeit, oder wir werden so geschlagen, daß wir für lange Zeit genug haben!«
»Auch der Weg zum Berg ist ja ganz unzugänglich gemacht worden«, sagte der Korsar. »Sieh nur die Palisaden und Batterien, die wir nehmen müssen, und zwar unterm Feuer der Forts!«
»Und der Sumpf vor uns!«
»Ja, unsere Leute werden gezwungen sein, fliegende Brücken zubauen!«
»Wenn sich der Sumpf nur umgehen ließe, und wir von der Ebene aus angreifen könnten! Aber was sehe ich? Die Ebene ist ja überschwemmt... Und sieh nur, wie schnell das Wasser steigt!«
»Wir haben einen Kommandanten vor uns, der alle Kriegslisten kennt, Pierre. Was gedenkst du zu tun?«
»Unser Heil zu versuchen. Gibraltar bietet reiche Ernte. Und was würde man von uns denken, wenn wir zurückwichen! Man würde kein Vertrauen mehr zu unserer Führung haben.«
»Das ist wahr. Unser Korsarenruhm hätte ein Ende.«
»Außerdem soll doch dein Todfeind mein Gefangener werden! Ich will dir und dem Basken die Führung unserer Haupttruppen übergeben! Bringt sie über den Sumpf, und erzwingt so den Weg zum Berge! Ich werde indessen, hinter dem Buschwerk versteckt, um den Sumpf herumgehen. So hoffe ich ungesehen über die Mauern des ersten Forts zu gelangen.«
»Aber wo nimmst du die Leitern her?«
»Ich habe meinen Plan. Lenkt nur die Aufmerksamkeit der Spanier auf euch! Das übrige überlaßt mir! Wenn in drei Stunden Gibraltar nicht in unsern Händen ist, bin ich nicht mehr der Olonese. Nehmen wir Abschied voneinander, denn wer weiß, ob wir uns lebend wiedersehen!«
Die beiden tapferen Korsaren umarmten sich. Dann verließen sie den Hügel.
Die Flibustier kampierten gerade am Rande des Waldes vor dem Sumpf, der sie am Vormarsch hinderte. Am äußersten Ende des Sumpfes hatten sie auf einem isolierten Hügel eine mit zwei Kanonen bewaffnete Schanze entdeckt.
Carmaux und Stiller machten sich mit den Kameraden daran, die Beschaffenheit des Schlammbodens genauer zu untersuchen. Sie überzeugten sich, daß er unter ihren Füßen sank und alle zu verschlingen drohte.
Dieses unvorhergesehene Hindernis hatte selbst bei denen, die noch Begeisterung empfanden, einigermaßen abkühlend gewirkt. Immerhin wagte niemand von einem Rückzug zu sprechen.
Die Ankunft der beiden Korsaren und ihre Befehle, unverzüglich den Kampf aufzunehmen, hatten sie jedoch wieder ermutigt, da sie blindes Vertrauen zu ihren Führern besaßen.
»Mut, Seeleute!« rief der Olonese ihnen zu. »Hinter diesen Forts sind größere Schätze zu erwarten als in Maracaibo! Zeigen wir unsern Feinden, daß wir stets unbesiegbar sind!«
Er gab das Kommando zur Bildung zweier Kolonnen, empfahl jedem, vor keinem Hemmnis zu schrecken, und der Vormarsch begann.
Der Schwarze Korsar hatte sich, in Begleitung des Basken, an die Spitze der größeren Abteilung gestellt, während der Olonese sich mit seinen Leuten am Waldesrande entlangbewegte, um unbemerkt die Mauern des Forts zu erreichen.
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Die Einnahme von Gibraltar
Die Abteilung, die der Schwarze Korsar und der Baske durch den von der feindlichen Batterie verteidigten Sumpf zu führen hatte, bestand aus dreihundertundachtzig Leuten. Diese waren nur mit einem kurzen Säbel und einigen Pistolen bewaffnet, letztere mit geringer Munition. Gewehre mit sich zu führen hielten sie für unnötig, da sie ihnen im Kampf gegen die Forts nur von geringem Nutzen und im Handgemenge sogar hinderlich erschienen.
Diese dreihundertundachtzig Mann waren aber wie Dämonen, kampffreudig, zu allem entschlossen und bereit, mit starkem Siegeswillen allem zu begegnen.
Beim Kommando der Führer setzten sie sich sofort in Bewegung. Jeder von ihnen führte Holzbündel und Baumstämme mit sich, mit denen sie eine Brücke über den Sumpf zu schlagen gedachten.
Kaum hatte man den Saum des langgestreckten Stumpfes erreicht, als plötzlich die jenseits aufgestellten spanischen Geschütze aufflammten und ihren Kugelregen herüberschleuderten. Das war eine ernste Warnung. Sie schreckte jedoch die kühnen Seefahrer nicht.
Sie machten sich jetzt über den Morast her, rammten Pfähle ein und führten Stämme darüber hinweg, die sie mit Reisig belegten. Um die feindlichen Geschosse kümmerten sie sich nicht im geringsten. Diese folgten von Minute zu Minute schneller, wühlten Wasser, Schlamm und Äste auf, was auf die arbeitenden Seeleute spritzte und prasselte.
Je mehr sich die Flibustier vom Waldesrande entfernten, desto schwieriger gestaltete sich der Vormarsch. Die von Hölzern und Reisigen gefertigte Brücke war zu schmal und nicht widerstandsfähig genug, um alle aufzunehmen. Die Leute sanken bald rechts, bald links bis an den Gürtel in den Morast und waren nicht in der Lage, sich selbst zu befreien. Erst mit Hilfe ihrer Kameraden konnten sie wieder aus dem Schlamm herauskommen.
Zu allem Unglück reichte auch das mühsam herbeigeschleppte Material nicht aus, um die Brücke ganz hinüberzuführen. So war man gezwungen, Strecke für Strecke am hinteren Ende wieder aufzureißen und vorn anzusetzen. Und dies immer unter dem Feuer der feindlichen Batterie. Das war nicht nur eine ermüdende, sondern wegen der Bodenbeschaffenheit auch sehr gefährliche Arbeit.
Das Feuer der Spanier wurde inzwischen heftiger. Die Kugeln pfiffen unheimlich, erzeugten nicht nur eine Unmenge schlammiger Wasserspritzer, sondern trafen auch in die Reihen der Flibustier, die auf das tödliche Blei nicht antworten konnten.
Der Schwarze Korsar und der Baske bewahrten in dieser furchtbaren Lage eine erstaunliche Geduld. Sie ermutigten mit Worten und Beispielen; sie nahmen Anteil an den Schmerzen der Verwundeten, die sie verbanden. Sie eilten hin und her, um den Holzträgern zu helfen und geschütztere Stellen für den Weiterbau der Brücke zu suchen, um ihre Leute nach Möglichkeit dem unaufhörlichen Feuer zu entziehen.
Obgleich die Flibustier schon an einem Gelingen des schweren Unternehmens zu zweifeln begannen, verloren sie doch den Mut nicht und arbeiteten weiter.
Die Kugeln wirkten immer verheerender. Schon war eine Menge Korsaren getötet worden und im Moraste verschwunden. Doch keiner klagte. Im Gegenteil, sie riefen sich gegenseitig zu: »Vorwärts, Brüder! Rache für die, die für uns gestorben sind!«
Diese Zähigkeit, diese Kühnheit und dazu die Tapferkeit der Führer mußten schließlich über alle Hindernisse triumphieren. Als die letzte Strecke nach neuen Verlusten und unsäglichen Anstrengungen überwunden war, standen die Korsaren endlich auf festem Boden. Sich sofort formieren und wie ein Orkan auf die Batterie losstürmen, das war das Werk eines Augenblicks.
Niemand konnte diesen ungestümen, rachedürstenden Kämpfern Widerstand leisten. Keine Batterie, kein Geschütz konnte ihren Angriff hemmen.
Mit dem Säbel in der Rechten und der Pistole in der Linken stürzten sie auf die Schanze zu.
Eine Kartätschensalve schmetterte die ersten Reihen nieder. Da aber warfen sich die andern wie entfesselte Furien über die Soldaten her, metzelten die Kanoniere nieder und überfielen die Bedeckungsmannschaften, trotz des erbitterten Widerstandes, den diese leisteten.
Ein lautschallendes Hurra verkündete der Abteilung des seitlich marschierenden Olonesen die Überwindung des ersten, vielleicht schwierigsten Hindernisses.
Doch war ihre Freude nur von kurzer Dauer. Der Korsar und der Baske, die sich eiligst in die Ebene begeben hatten, um die Wege zu erkunden, entdeckten ein weiteres Hindernis, das ihnen den Anmarsch zum Berg versperrte.
Jenseits des Waldes hatten sie die Fahne Spaniens flattern sehen, und diese Standarte zeigte ihnen, daß dort Forts oder Feldschanzen angelegt waren.
»Donnerwetter!« schrie Michele, ganz außer sich. »Da gibt's noch eine harte Nuß zu knacken! Will uns denn der verdammte Kommandant von Gibraltar vernichten? Was meinst du, Cavaliere?«