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Als ich im Prognosengeschäft war, dachten viele Leute, die nicht gut informiert waren, ich wäre ein Meinungsforscher. Nein. Meinungsforscher arbeiten für mich, ein ganzes Bataillon gemieteter Gallups. Sie waren mir, was Müller dem Bäcker sind: Sie sonderten die Spreu vom Weizen, ich machte die Sieben-Schichten-Torte. Meine Arbeit war ein gewaltiger Schritt über die Meinungsforschung hinaus. Ich ging von einem Datenmaterial aus, das mit den üblichen quasi-wissenschaftlichen Methoden zusammengetragen worden war, und leitete daraus weitreichende Prognosen ab, machte intuitive Sprünge, kurz, ich riet und riet gut. In dem Geschäft steckte viel Geld, aber ich fühlte auch eine Art Ekstase. Wenn ich vor einem Berg mit Rohmaterial stand, aus dem ich eine größere Prognose extrahieren sollte, fühlte ich mich wie ein Taucher, der von einem hohen Felsen hinab ins glitzernde blaue Meer springt und nach einem Golddukaten sucht, der im weißen Sand tief unter den Wellen verborgen liegt: Mein Herz klopfte, in meinem Kopf wirbelte es. Körper und Geist vollzogen einen Quantensprung in einen höheren, intensiveren Energiezustand. Ekstase.

Was ich tat, war von hochentwickelter Intellektualität und sehr technisch, aber es war auch eine Art von Hexerei. Ich schwelgte in harmonischen Mitteln, unregelmäßigen Intervallen, reziproken Werten und Streuungsparametern. Mein Büro war ein Labyrinth von Schaubildern, Tabellen und Kurvendiagrammen. Eine Batterie von Computern ließ ich rund um die Uhr arbeiten, und was an meinem rechten Arm wie eine falsch angebrachte Armbanduhr aussah, war in Wirklichkeit ein Daten-Terminal, der selten stillstand. Aber höhere Mathematik und Hollywood-Technologie waren nur Aspekte der einleitenden Phasen meiner Arbeit, des Intake-Stadiums. Wenn es an die tatsächlichen Prognosen ging, konnte mir IBM nicht helfen. Allein mit meinem auf sich selbst verwiesenen Geist mußte ich meine Kunststücke vollführen. So stand ich dann allemal in furchtbarer Einsamkeit am Rande jenes Felsens, und obwohl Sonar mir die Formung des Meeresbodens verraten und General Electrics beste Transponder mir die Geschwindigkeit der Gezeitenströmung, die Temperatur des Wassers und den Trübungsindex mitteilen mochten, im entscheidenden Augenblick der Realisierung war ich ganz auf mich selbst gestellt. Mit zum Spalt verengten Augen würde ich das Wasser durchforschen, dann meine Knie beugen, mit den Armen ausholen und meine Lungen mit Luft füllen — und warten, bis ich sah, bis ich wahrhaft sah, und wenn ich dann diese wunderbare, zuversichtliche Erregung hinter meinen Augenbrauen spürte, ja, dann würde ich schließlich springen, kopfüber würde ich mich, auf der Suche nach jenem Dukaten, in die wogende See schnellen, nackt und ungeschützt und unfehlbar würde ich auf mein Ziel zuschießen.

6

Von September 1997 bis März 2000, also bis vor neun Monaten, war ich von der Idee besessen, Paul Quinn zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu machen.

Besessen. Das ist ein starkes Wort. Es schmeckt nach Sacher-Masoch, Krafft-Ebbing, nach rituellem Händewaschen und Gummi-Unterwäsche. Und doch glaube ich, daß es den Charakter meiner Beziehung zu Quinn und seinen Ambitionen genau beschreibt.

Haig Mardikian machte mich im Sommer des Jahres ‘95 mit Quinn bekannt. Haig und ich sind auf dieselbe Privatschule gegangen — Dalton, etwa 1980-82, wo wir zusammen viel Basketball spielten —, und wir haben seitdem unseren Kontakt bewahrt. Er ist ein raffinierter, luchsäugiger Anwalt, ungefähr drei Meter groß, der unter anderem — unter vielem anderen — der erste Justizminister der Vereinigten Staaten von armenischer Abstammung werden will und wahrscheinlich wird.

(Wahrscheinlich? Wie kann ich daran zweifeln?) An einem drückend heißen Augustnachmittag rief er mich an und sagte: »Sarkisian gibt heute Abend eine große Party. Es wird sensationell. Du bist eingeladen. Ich garantiere, für dich wird etwas Gutes dabei herauskommen.« Sarkisian ist ein Immobilienmakler, dem, so scheint es, beide Seiten des Hudson auf sechs- oder siebenhundert Kilometer Länge gehören.

»Wer wird denn da sein?« fragte ich. »Ich meine, außer Ephrikian, Missakian, Hagopian, Manoogian, Garabedian und Bhogosian.«

»Berberian und Khatisian«, sagte er. »Ferner…« Und Mardikian schnarrte eine glanzvolle, eine strahlende Liste großer Namen aus den Welten der Hochfinanz, Politik, Industrie, Wissenschaft und Kunst herunter, endend mit »… und Paul Quinn.« Bedeutungsschwerer Nachdruck auf diesem letzten Namen.

»Sollte der mir bekannt sein, Haig?«

»Er sollte; aber zur Zeit kennst du ihn wahrscheinlich noch nicht. Er sitzt als Abgeordneter im Parlament des Staates New York. Wahlkreis Riverdale. Von dem Mann wird man in der Politik noch viel hören.«

Es war mir nicht sonderlich viel daran gelegen, meinen Samstagabend in Gesellschaft irgendeines ehrgeizigen jungen Politikers irischer Abstammung zu verbringen, der mir die Ohren mit seinen Plänen für die Neuordnung der Milchstraße vollblasen würde; andererseits hatte ich für Politiker schon einige Male prognostische Arbeit geleistet, da war viel Geld drin, und Mardikian hatte ein feines Gespür dafür, was gut für mich war. Und die Liste der Geladenen war unwiderstehlich. Außerdem verbrachte meine Frau den Monat August als Gast einer vorübergehend unterbesetzten Sechsergruppe in Oregon, und ich malte mir hoffnungsvoll aus, wie ich von der Party mit einer leidenschaftlichen dunklen Armenierin nach Hause käme.

»Um wie viel Uhr?« fragte ich.

»Um neun«, sagte Mardikian.

Also hinüber zu Sarkisians Wohnung: ein Penthouse aus drei ineinander verschachtelten Einheiten auf dem Dach eines neunzigstöckigen, runden Wohnturms aus Alabaster und Onyx, der sich auf einer Plattform im Hudson vor der Lower West Side erhob. Wächter mit ausdruckslosen Gesichtern, die ebenso gut aus Metall und Plastik hätten sein können, prüften meine Identität, durchsuchten mich nach Waffen und ließen mich ein. Die Luft im Innern war ein blauer Dunst. Der säuerlich-würzige Geruch pulverisierter Knochen lag über allem: In jenem Jahr rauchten wir gedoptes Kalzium. Ovale Kristallfenster liefen gleich riesigen Bullaugen rund um das gesamte Apartment. In den Räumen, die nach Osten gingen, war die Aussicht von den zwei monolithischen Pfeilern des World Trade Centers verstellt, ansonsten aber bot Sarkisian ein sehr anständiges 270-Grad-Panorama des New Yorker Hafens, von New Jersey, dem West Side Expressway und wohl auch einem Stück Pennsylvania. Nur in einem der riesigen, keilförmigen Zimmer waren die Bullaugen undurchsichtig, und als ich in den benachbarten Keil ging und in einem spitzen Winkel zum Fenster hinausschaute, fand ich den Grund: Jener Teil des Turms lag dem noch erhaltenen Stumpf der Freiheitsstatue gegenüber, und Sarkisian wollte offenbar vermeiden, daß der Anblick seine Gäste bedrückte. (Es war, wie Sie sich erinnern mögen, der Sommer des Jahres ‘95, einem der gewalttätigsten Jahre des Jahrzehnts, und alle zitterten noch von den ständigen Bombenanschlägen.)

Die Gäste! Wie versprochen, war es ein aufsehenerregender Schwarm von Opernsängerinnen, Astronauten, Footballspielern und Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Abendgarderobe reichte von förmlich bis extravagant, und es gab die zu erwartende Darbietung von Brüsten und Genitalien; aber auch, von Seiten der Avantgarde, die ersten Andeutungen der fin-de-sie-cle-Vorliebe für verhüllende Kleidung, hohe Kragen und enge Stirnbänder. Ein halbes Dutzend Männer und einige Frauen täuschten mit ihrer Garderobe geistliches Gewand vor, und ich glaube, es gab mindestens fünfzehn Pseudogeneräle, deren Ordensbrüste einen afrikanischen Diktator vor Neid hätten erblassen lassen. Ich war, wie ich mir einbildete, ziemlich schlicht gekleidet, nämlich in einen faltenlosen, strahlgrünen Trikotanzug mit einer dreireihigen Perlenkette. Obwohl die Räume mit Besuchern dicht gefüllt waren, war doch der Fluß der Geselligkeit keineswegs chaotisch; ich erkannte acht oder zehn große, dunkelhäutige, eifrige Männer in unauffälliger Kleidung, wichtige Mitglieder von Haig Mardikians allgegenwärtiger Armenischer Mafia, die wie Torpfosten, wie Slalomstäbe, wie Orientierungstürme in regelmäßigen Abständen über den größten Raum verteilt waren, jeder auf vorherbestimmter, fester Position, und sehr tüchtig und effizient Rauchwaren und Getränke anboten, Gäste einander vorstellten und gewisse Leute unauffällig zu anderen dirigierten, deren Bekanntschaft zu machen für sie nützlich und wünschenswert sein konnte. Ich hatte keine Schwierigkeit, in diese feinen Strömungen einzutauchen und mich von ihnen befördern zu lassen, schüttelte Hände mit Ara Garabedian oder Jason Komurjian oder vielleicht George Missakian und fand mich schließlich in einer Kreisbahn auf Kollisionskurs mit einer sonnengesichtigen, goldhaarigen Frau namens Aurumn, die nicht Armenierin war und mit der ich viele Stunden später tatsächlich nach Hause ging.