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Den ganzen Herbst hindurch hörte ich nichts von ihm oder über ihn. Die Legislative tagte, und Quinn war an seinem Pult in Albany; in den Augen der Leute von New York City könnte man ebenso gut auf dem Mars sein. In der City tobte der übliche gespenstische Zirkus, nur noch entfesselter als sonst, jetzt, wo die überpotente Freudsche Kraft, die Bürgermeister Gottfried verkörpert hatte, der Städtische Allvater mit dunkler Braue und langer Nase, der Beschützer der Schwachen und Kastrierer der Unbotmäßigen, von der Bühne entfernt worden war. Die Miliz der 125. Straße, eine neue, sich selbst befehligende Streitkraft der Schwarzen, die seit Monaten damit geprahlt hatte, daß sie von Syrien Panzer kaufe, enthüllte nicht nur auf einer lärmenden Pressekonferenz drei vollbewaffnete Ungeheuer, sondern schickte sie auch gleich auf eine Such- und Zerstör-Aktion über die Columbus Avenue ins Spanische Manhattan hinein, wo sie vier Häuserblocks in Flammen und Dutzende von Toten zurückließ. Im Oktober, als die Schwarzen den Marcus-Garvey-Tag begingen, rächten sich die Puertorikaner mit einem organisierten Überfall auf Harlem, der von zweien ihrer drei Israelischen Obersten persönlich geführt wurde. (Die Jungs aus dem barrio hatten die Israelis im Jahre ‘94 zur Ausbildung ihrer Truppen angeworben, kurz nachdem die »Gemeinsame Verteidigungsallianz« gegen die Schwarzen von den Puertorikanern und den Resten der jüdischen Bevölkerung der Stadt gebildet worden war.) Die Kommandos jagten bei ihrem Blitzangriff über die Lenox Avenue nicht nur die Panzergarage und alle drei Panzer in die Luft, sondern räumten auch fünf Spirituosengeschäfte und ein Computer-Zentrum aus, während eine kleinere Truppe zur Ablenkung westwärts eilte und das Apollo-Theater mit Feuerbomben belegte.

Einige Wochen später kam es auf dem Grundstück der Kernfusionsanlage in der 23. Straße zu einer Schießerei zwischen der Gruppe der Pro-Fusionisten, ›Energie Für Unsere Städte‹, und den Anti-Fusionisten, ›Besorgte Bürger Gegen Unkontrollierbare Technologie‹. Vier Sicherheitspolizisten von Con Edison wurden gelyncht, und bei den Demonstranten gab es zweiunddreißig Tote, einundzwanzig EFUS und elf BBGUT; unter den Toten waren auf beiden Seiten eine Reihe politisch engagierter junger Mütter und sogar einige Säuglinge; das verursachte einen Aufschrei des Entsetzens (selbst in New York kann man starke Emotionen aufrühren, wenn man während einer Demonstration auf Babys schießt), und Bürgermeister DiLaurenzio hielt es für ratsam, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der die ganze Frage der Errichtung von Kernfusionsanlagen im Stadtbereich noch einmal prüfen sollte. Da dies einem Sieg der BBGUT gleichkam, umstellte ein Kampftrupp der EFUS das Rathaus und begann, Protestminen in den Anlagen zu verlegen, wurde aber von einem Hubschrauber des Taktischen Kommandos der Polizei in die Flucht gejagt, der im Tiefflug das Feuer auf sie eröffnete; das kostete neun weitere Menschenleben. Die Times berichtete den Vorfall auf Seite 27.

Bürgermeister DiLaurenzio ließ sich aus seinem Provisorischen Rathaus irgendwo in der Ostbronx vernehmen — er hatte sich sieben Büros in auswärts gelegenen Bezirken eingerichtet, allesamt in italienischen Wohngegenden; ihre genauen Adressen waren ein sorgsam gehütetes Geheimnis — und forderte wiederholt Ruhe und Ordnung. Niemand in der Stadt jedoch schenkte dem Bürgermeister viel Aufmerksamkeit, teils, weil er so ein nebbich war, teils aber auch in überkompensierender Reaktion auf die Befreiung von der brütenden, finsteren, überwältigenden Gegenwart Gottfrieds des Gauleiters. DiLaurenzio hatte seine Verwaltung, vom Polizeichef bis hinab zum Hundefänger und Luftüberwacher, mit italienischen Kumpanen besetzt, was wahrscheinlich vernünftig war; denn die Italiener waren die einzigen in der Stadt, die Respekt für ihn hatten; und das auch nur, weil sie alle seine Vettern oder Neffen waren. Das bedeutete aber, daß der Bürgermeister seine einzige politische Unterstützung von einer ethnischen Minderheit bezog, die tagtäglich minderer wurde. (Selbst Little Italy war auf vier Blocks der Mulberry Street geschrumpft, Chinesen schwärmten durch die Nebenstraßen, und die neue Generation der paisanos hatte sich in Patchogue und New Rochelle in Sicherheit gebracht.) Ein Leitartikel des Wall Street Journal schlug vor, die nächste Bürgermeisterwahl auszusetzen und New York City unter eine Militärregierung zu stellen; ein cordon sanitaire müsse eingerichtet werden, damit der ansteckende New-Yorkismus nicht den Rest den Landes vergifte.

»Ich glaube, eine UN-Friedenstruppe wäre eine bessere Idee«, sagte Sundara. Es war Anfang Dezember, am Abend des ersten Schneesturms der Saison. »Das ist keine Stadt mehr, das ist ein Schlachtfeld für alle aufgestauten rassischen und ethnischen Feindseligkeiten der letzten dreitausend Jahre.«

»Das stimmt nicht«, sagte ich. »Niemand kümmert sich hier einen Dreck um alte Differenzen. In New York schlafen Hindus mit Pakistani, Türken und Armenier werden Geschäftspartner und machen Lokale auf. In dieser Stadt erfinden wir neue ethnische Spannungen. New York ist nichts, wenn es nicht Avantgarde ist. Das würdest du verstehen, wenn du dein ganzes Leben lang hier gelebt hättest, wie ich.«

»Es kommt mir so vor, als hätte ich das.«

»Sechs Jahre machen aus dir noch keine Einheimische.«

»Sechs Jahre inmitten ständigen Guerilla-Kriegs fühlen sich länger an als dreißig Jahre irgendwo anders«, sagte sie.

Oh-oh. Ihre Stimme klang verspielt, aber in ihren dunklen Augen funkelte es böse. Sie köderte mich, ihr zu parieren, zu widersprechen, sie herauszufordern. Mir kam es vor, als ob die Luft um mich herum fiebrig glühte. Unversehens waren wir in das Ich-hasse-New-York-Gespräch gestolpert, das stets Klüfte zwischen uns aufriß, und bald würden wir allen Ernstes streiten. Wer in New York geboren ist, kann die Stadt in Liebe hassen; eine Außenseiterin wie meine Sundara — und sie würde hier immer Außenseiterin sein — lädt sich mit Spannungen und schwerer Energie auf, indem sie diese wahnsinnige Stadt, in der zu leben sie gewählt hat, verdammt, und schwillt und wird ganz mordgierig vor lauter unverdientem Zorn.

Um der Entwicklung die Spitze zu nehmen, sagte ich: »Also gut, ziehen wir nach Arizona.«

»He, das ist mein Satz!«

»Tut mir leid. Ich muß mein Stichwort verpaßt haben.«

Die Spannung war gewichen. »Die Stadt ist aber auch schrecklich, Lew.«

»Dann versuch’s mit Tucson. Die Winter sind dort viel milder. Möchtest du rauchen, Schatz?«

»Ja, aber nicht wieder das Knochenzeugs.«

»Schlichtes altes prähistorisches Hasch?«

»Bitte«, sagte sie. Ich holte das Päckchen. Die Luft zwischen uns war rein und liebevoll. Vier Jahre lang waren wir zusammen gewesen, und trotz einiger unvermeidlicher Dissonanzen in dieser Zeit war jeder doch immer noch des anderen bester Freund. Als ich die Joints drehte, massierte sie sanft meine Halsmuskeln; in weiser Absicht drückte sie auf die Verspannungspunkte und ließ das zwanzigste Jahrhundert aus meinen Wirbeln und Bändern rutschen. Ihre Eltern stammten aus Bombay, sie aber war in Los Angeles zur Welt gekommen; und doch spielten ihre geschmeidigen Finger Radha mit meinem Krishna, als wäre sie eine padmini aus der Morgendämmerung des Hinduismus, eine Lotosfrau, die in den erotischen Shastras und den Sutras des Fleisches meisterhaft bewandert war; und das war sie auch in Wahrheit, wiewohl sie sich selbst unterrichtet hatte und keine Schülerin der Geheimakademie von Benares war.

Die Schrecken und Alpträume New Yorks schienen fast unanständig fern, als wir vor unserem langen Kristallfenster standen. Dicht beieinander, starrten wir in die mondhelle Winternacht und sahen doch nur unser eigenes Spiegelbild: den großen, blonden Mann und die schlanke, dunkle Frau, Seite an Seite, Seite an Seite, Verbündete gegen die Dunkelheit.

Tatsächlich hielt keiner von uns beiden das Leben in der City wirklich für eine Plage. Als Mitglieder der wohlhabenden Minderheit waren wir vor einem Großteil des städtischen Irrsinns geschützt: zu Hause wohlgeborgen in unserem Maximal-Schutz-Apartment auf dem Hügel, von Filtern und Schutzwänden umgeben, wenn wir die Pendler-Hubschrauber nach Manhattan nahmen, und in unseren Büros auf gleiche Weise behütet. Wenn wir Sehnsucht nach einer hautnahen Konfrontation mit urbaner Wirklichkeit hatten, einer Konfrontation per Fuß und Auge in Auge, ohne Gefühlsduselei, so konnten wir sie haben, und wenn nicht, so gab es genug wachsame Sicherheitsdienste, uns vor Schaden zu bewahren.