Выбрать главу

Ich registrierte keine Todesschwingungen für ihn, und das sagte ich ihm.

Und ich sagte auch: »Aber ich wünschte, du würdest es nicht tun, Paul. Ich bin nicht unfehlbar, und du bist nicht unsterblich.«

»Wenn in New York ein Kandidat nicht mehr zu den Wählern gehen kann«, erwiderte Quinn, »können wir die Stadt ebenso gut als Testgelände für eine Z-Bombe verwenden.«

»Erst vor zwei Jahren wurde hier ein Bürgermeister umgebracht.«

»Gottfried haben alle gehaßt. Wenn es einen Faschisten vom Eisernen Kreuz gab, dann war er einer. Warum sollte jemand mir gegenüber solche Gefühle haben, Lew? Ich werde hinausgehen.«

Quinn ließ sich nicht abhalten und schüttelte Hände. Vielleicht half es. Er gewann den größten Wahlsieg in der Geschichte New Yorks, 88 Prozent aller Wählerstimmen. Am ersten Januar des Jahres 1998, einem für die Jahreszeit unpassend milden, fast floridahaften Tag, drängten sich Haig Mardikian, Bob Lombroso und wir anderen aus dem inneren Kreis dicht auf den Stufen zum Rathaus und sahen zu, wie unser Mann den Amtseid leistete. Eine vage Unruhe regte sich in mir. Was fürchtete ich? Ich könnte es nicht sagen. Vielleicht eine Bombe. Ja, eine schimmernde, runde, schwarze Comic-Strip-Bombe, die mit zischender Zündung durch die Luft pfiff und uns alle zu Mesonen und Quarks zerfetzte. Keine Bombe wurde geworfen. Warum so ein Schwarzseher, Nichols? Frohlocke! Ich blieb gereizt. Schultern wurden geklopft, Wangen wurden geküßt. Paul Quinn war Bürgermeister von New York, und allen ein glückliches 1998.

10

»Wenn Quinn gewinnt«, sagte Sundara eines Abends im Spätsommer ‘97, »wird er dir dann einen Job in seiner Verwaltung anbieten?«

»Wahrscheinlich.«

»Wirst du annehmen?«

»Ausgeschlossen«, sagte ich ihr. »Einen Wahlkampf zu leiten, macht Spaß. Tagtägliche Stadtpolitik ist entsetzlich langweilig. Ich werde zu meinen regulären Kunden zurückgehen, sobald die Wahl vorüber ist.«

Drei Tage nach der Wahl ließ Quinn mich holen und bot mir den Posten eines Sonderberaters der Stadtregierung an, und ich akzeptierte, ohne zu zögern, ohne einen einzigen Gedanken an meine Kunden oder Angestellten oder an mein elegantes Büro mit all den datenverarbeitenden Maschinen.

Hatte ich Sundara also an jenem Sommerabend angelogen? Nein, derjenige, den ich getäuscht hatte, war ich selbst. Meine Prognose war fehlerhaft, weil meine Selbsterkenntnis unvollkommen war. Was ich zwischen August und November lernte, war, daß Nähe zur Macht süchtig macht. Mehr als ein Jahr lang hatte ich von Paul Quinn Vitalität bezogen. Wenn man soviel Zeit in solcher Nähe so großer Kraft verbringt, wird man von dem Energiefluß abhängig, man wird ein Saft-Junkie. Man trennt sich nicht mehr aus freien Stücken von dem Dynamo, der einen gespeist hat. Als Quinn mich zu Beginn seines Wahlkampfs anstellte, sagte er, er brauchte mich, und das konnte ich ihm abnehmen, aber es entsprach der Wahrheit mehr, daß ich ihn brauchte. Quinn setzte zu einem gewaltigen, mitreißenden Sprung an, zu einem strahlenden, kometenhaften Flug durch die dunkle Nacht amerikanischer Politik, und meine Sehnsucht war es, mitzufliegen, etwas von seinem Feuer einzufangen und davon gewärmt zu werden. Das war die einfache und demütigende Wahrheit. Es stand mir frei, mir einzubilden, daß ich in Quinns Diensten der Menschheit diente, daß ich an einem grandiosen, erregenden Kreuzzug zur Rettung der großartigsten aller Städte teilnahm, daß ich mithalf, die moderne städtische Zivilisation vom Abgrund zurückzuzerren und ihr wieder Sinn und Lebenskraft zu geben. Das konnte sogar stimmen. Was mich aber zu Quinn zog, war die Lockung der Macht, Macht in der Abstraktion, Macht um ihrer selbst willen, die Macht, zu formen, zu gestalten, zu verwandeln. Die Rettung New Yorks war nicht das Entscheidende; auf den Wogenkämmen der Kraft zu reiten, das war es, wonach ich gierte.

Unser Wahlkampfteam ging geschlossen in die neue Stadtregierung ein. Quinn ernannte Haig Mardikian zum stellvertretenden Bürgermeister und Bob Lombroso zu seinem Kämmerer. George Missakian wurde Medienkoordinatur und Ara Ephirikian Leiter der städtischen Planungskommission. Dann setzten wir fünf uns mit Quinn zusammen und verteilten die restlichen Posten. Ephrikian nannte die Anwärter, Missakian, Lombroso und Mardikian beurteilen die Qualifikationen, ich gab intuitive Einschätzungen, und Quinn traf die endgültige Entscheidung. Auf diese Weise fanden wir die übliche Zusammenstellung von Schwarzen, Puertorikanern, Chinesen, Italienern, Iren, Juden usw. als Chefs des Sozialreferats, des Amts für Wohnungswesen und Sanierung, der Umweltschutzbehörde, des Kulturreferats und der anderen großen Behörden. Diskret pflanzten wir dann viele unserer Freunde, einschließlich einer ungehörigen Zahl von Armeniern und Sephardischen Juden, in die Kommandopositionen der niederen Ränge. Die besten Leute aus der Verwaltung DiLaurenzios behielten wir — viele waren es nicht — und holten einige von Gottfrieds bulligen, aber kompetenten Amtsleitern in ihre Positionen zurück. Es war ein berauschendes Gefühl, eine Regierung für New York City zu bestellen, abgenutzte Gäule und Opportunisten davonzujagen und sie durch schöpferische und wagemutige Männer und Frauen zu ersetzen, die zufällig, nur zufällig, auch der ethnischen und geographischen Mischung entsprachen, die das Kabinett des Bürgermeisters von New York auf weisen muß.

Mein eigener Job war amorph, schwer zu definieren: Ich war privater Berater, Orakel, Störungssucher, die nebelhafte Präsenz hinter dem Thron. Mit meinen intuitiven Fähigkeiten sollte ich dafür sorgen, daß Quinn der Katastrophe immer um ein paar Schritte voraus war, und das in einer Stadt, wo die Wölfe über den Bürgermeister herfallen, wenn das Wetterbüro einen unerwarteten Schneesturm in die Stadt schlüpfen läßt. Ich fand mich mit einer Einkommenseinbuße ab, die sich ungefähr auf die Hälfte dessen belief, was ich als privater Berater verdient hätte. Aber das Gehalt, das ich von der Stadt bekam, war immer noch mehr, als ich wirklich brauchte. Und die Sache gewährte noch eine andere Befriedigung: das Wissen, daß, wie Quinn stieg, ich mit ihm steigen würde.

Geradewegs ins Weiße Haus.

Daß eine Präsidentschaft Quinns sich anbahnte, hatte ich schon an jenem Abend des Jahres ‘95, auf Sarkissians Party, gefühlt, und Haig Mardikian hatte es schon lange zuvor gespürt. Die Italiener haben ein Wort, papabile, mit dem sie einen Kardinal beschreiben, der sehr wohl Papst werden könnte. Im Hinblick auf das Präsidentenamt war Quinn papabile. Er war jung, gutaussehend, energiegeladen, unabhängig, ein klassischer Kennedy-Typ, und seit vierzig Jahren hatten Kennedy-Typen eine mystische Gewalt über die Wählerschaft gehabt. Gewiß, er war außerhalb New Yorks ein Unbekannter, aber das machte nicht viel aus: In einer Zeit, in der allüberall städtische Krisen um 250 Prozent intensiver schwelten als eine Generation zuvor, wird jeder, der beweist, daß er eine Großstadt regieren kann, automatisch zu einem potentiellen Präsidenten; und wenn New York Quinn nicht bräche, so wie es Lindsay in den Sechzigerjahren brach, dann würde er in ein oder zwei Jahren im Lande bekannt sein. Und dann…

Und dann…