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Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres, als von einer Riesin geküsst zu werden. Jill fand das auch, aber fünf Minuten später war sie schon eingeschlafen.

Den ganzen Abend und die ganze Nacht hindurch fiel ein gleichmäßiger Regen. Er klatschte gegen die Fenster des Schlosses, doch Jill schlief fest und hörte es nicht. Sie verschlief die Abendessenszeit und auch um Mitternacht schlief sie noch. Und dann kamen die leblosesten Stunden der Nacht und nichts außer Mäusen rührte sich im Haus der Riesen. Zu dieser Stunde hatte Jill einen Traum.

Es schien ihr, als wachte sie im gleichen Zimmer auf und sähe das weit heruntergebrannte und rot glühende Feuer und im Schein des Feuers das große hölzerne Pferd. Das Pferd kam von allein, rollte auf seinen Rädern über den Teppich und blieb bei ihrem Kopf stehen. Und jetzt war es kein Pferd mehr, sondern ein Löwe, so groß wie das Pferd. Und dann war es kein Spielzeuglöwe mehr, sondern ein richtiger Löwe, der Löwe, geradeso, wie sie ihn auf dem Berg hinter dem Ende der Welt gesehen hatte. Und ein Duft von allen köstlich riechenden Dingen der Welt erfüllte den Raum. Doch in Jill war ein Kummer, den sie sich nicht zu erklären vermochte, und die Tränen strömten über ihr Gesicht und nässten das Kissen. Der Löwe befahl ihr die Zeichen zu wiederholen und sie stellte fest, dass sie alles vergessen hatte. Da überkam sie ein großer Schrecken. Aslan hob sie in seinem Maul hoch (sie konnte seine Lippen und seinen Atem spüren, aber nicht die Zähne), trug sie zum Fenster und ließ sie hinausschauen. Der Mond leuchtete hell; und da stand über der Welt oder dem Himmel (welches von beiden es war, wusste sie nicht) in großen Buchstaben geschrieben: UNTER MIR. Danach verblasste der Traum, und als sie sehr spät am nächsten Morgen erwachte, wusste sie nicht einmal mehr, dass sie geträumt hatte.

Sie war aufgestanden, hatte sich angezogen und war gerade mit ihrem Frühstück vor dem Feuer fertig, als das Kindermädchen die Tür öffnete und sagte:

»Hier sind die Freunde von meinem Püppchen und wollen mit ihm spielen.«

Herein kamen Eustachius und der Moorwackler.

»Hallo! Guten Morgen!«, sagte Jill. »Ist das nicht herrlich? Ich habe, glaube ich, etwa fünfzehn Stunden geschlafen. Jetzt fühle ich mich besser. Ihr auch?«

»Ich schon«, erklärte Eustachius, »aber Trauerpfützler sagt, er habe Kopfweh. Oh – dein Fenster hat eine Fensterbank. Wenn wir da hinaufsteigen, können wir hinausschauen.« Gesagt, getan; und auf den ersten Blick rief Jilclass="underline" »Oh, wie schrecklich!«

Die Sonne schien und abgesehen von ein paar Schneewehen war der Schnee fast völlig vom Regen weggewaschen worden. Unter ihnen lag wie eine ausgebreitete Karte die flache Hügelkuppe, über die sie sich am vorherigen Nachmittag gekämpft hatten. Vom Schloss aus betrachtet waren es ohne Zweifel die Ruinen einer riesigen Stadt. Jill sah jetzt, dass das Gelände deshalb so eben war, weil das Pflaster noch immer existierte, obwohl es an einigen Stellen Beschädigungen aufwies. Die kreuz und quer verlaufenden Wälle waren die Überreste von riesigen Gebäuden, die einst wohl Riesenpaläste und Riesentempel gewesen sein mochten. Ein Mauerstück, etwa hundertfünfzig Meter hoch, stand noch: Das war es, was Jill für einen Felsen gehalten hatte. Die Dinger, die wie Fabrikschornsteine ausgesehen hatten, waren wahnsinnig große Säulen, die in verschiedenen Höhen abgebrochen waren. Die Bruchstücke lagen am Fuß der Säulen und sahen wie gefällte Bäume aus ungeheuer großen Steinen aus. Die Felsensimse, über die sie an der Nordseite des Hügels hinuntergeklettert waren – und zweifellos auch die anderen, über die sie an der Südseite heraufgeklettert waren –, stellten die übrig gebliebenen Stufen gigantischer Treppen dar. Und als Krönung des Ganzen: In der Mitte der gepflasterten Fläche verliefen in großen, dunklen Lettern die Worte UNTER MIR.

Die drei Reisenden schauten sich bestürzt an und nach einem kurzen Pfiff sprach Eustachius aus, was alle dachten: »Wir haben das zweite und das dritte Zeichen verpasst.« Und in diesem Augenblick fiel Jill ihr Traum wieder ein.

»Es ist meine Schuld«, sagte sie verzweifelt. »Ich – ich habe es aufgegeben, die Zeichen jeden Abend aufzusagen. Hätte ich an sie gedacht, dann hätte ich gesehen, dass es die Stadt ist, sogar bei all dem Schnee.«

»Ich trage noch mehr Verantwortung«, entgegnete Trauerpfützler. »Ich habe es gesehen, oder zumindest fast. Ich fand, dass es recht viel Ähnlichkeit mit einer zerfallenen Stadt hatte.«

»Du bist der Einzige, der keine Schuld trägt«, erklärte Eustachius. »Du hast ja versucht uns aufzuhalten.«

»Aber ich habe mir nicht genug Mühe gegeben«, meinte der Moorwackler. »Und ich hätte es nicht nur versuchen, sondern es einfach tun sollen. Als ob ich nicht mit jeder Hand einen von euch hätte aufhalten können!«

»Die Wahrheit ist«, sagte Eustachius, »wir waren so wild darauf, hierher zu kommen, dass wir uns um nichts anderes gekümmert haben. Zumindest was mich betrifft, war es so. Seit wir diese Frau mit dem schweigenden Ritter getroffen haben, dachten wir an nichts anderes mehr. Wir haben Prinz Rilian fast vergessen.«

»Ob sie nicht genau das beabsichtigt hat?«, meinte Trauerpfützler.

»Was ich nicht verstehe, ist, warum wir die Buchstaben nicht gesehen haben«, sagte Jill. »Oder sind sie erst seit letzter Nacht da? Vielleicht hat er – Aslan – die Worte erst in der Nacht angebracht? Ich hatte so einen eigenartigen Traum.« Und sie erzählte ihn den beiden.

»Ach was, du Dummerchen«, entgegnete Eustachius. »Wir haben sie gesehen. Wir waren sogar in den Buchstaben drin. Verstehst du nicht? Wir waren im Buchstaben E von UNTER. Das war dein versunkener Weg. Wir sind den unteren Strich nach Norden gelaufen, dann haben wir uns nach rechts gewandt – das war der Strich nach oben –, kamen zu einer weiteren Abzweigung nach rechts – das war der mittlere Strich – und gelangten dann ganz bis zur linken Ecke hoch, der nordöstlichen Ecke des Buchstabens, und gingen wieder zurück. Wir waren komplette Vollidioten.« Er trat wütend gegen die Fensterbank und fuhr fort: »Es nutzt also nichts, Jill. Ich weiß, was du gedacht hast, weil ich dasselbe dachte. Du dachtest, wie schön es doch wäre, wenn Aslan die Anweisungen auf den Steinen der Ruinenstadt erst angebracht hätte, nachdem wir dort waren. Dann wäre es seine Schuld gewesen und nicht unsere. So ist es, nicht? Nein. Wir müssen es auf uns nehmen: Wir hatten nur vier Zeichen, nach denen wir uns richten konnten, und die ersten drei haben wir verpasst.«

»Du meinst, ich habe sie verpasst«, sagte Jill. »Du hast ganz Recht. Ich habe alles verdorben, seit du mich hierher gebracht hast. Trotzdem – es tut mir natürlich furchtbar Leid und so, aber was bedeutet dieses Zeichen? UNTER MIR scheint nicht viel Sinn zu ergeben.«

»Doch«, meinte Trauerpfützler. »Es bedeutet, dass wir unter dieser Stadt nach dem verschollenen Prinzen suchen sollen.«

»Wie sollen wir denn das anstellen?«, fragte Jill.

»Das ist die Frage«, erwiderte Trauerpfützler und rieb sich die großen froschartigen Hände. »Wie sollen wir es jetzt anstellen? Wenn wir bei der Sache gewesen wären, als wir durch die Ruinenstadt gingen, wäre es uns zweifellos gezeigt worden – wir hätten eine kleine Tür gefunden, eine Höhle, einen Tunnel, oder vielleicht hätten wir auch jemand getroffen, der uns geholfen hätte. Vielleicht sogar Aslan selbst, das kann man nie wissen. Irgendwie wäre es uns gelungen, unter die Pflastersteine zu gelangen. Aslans Anweisungen funktionieren immer: Da gibt es keine Ausnahmen. Aber wie wir es jetzt anstellen sollen – das ist etwas anderes.«

»Nun, wir müssen einfach dorthin zurückgehen, nehme ich an«, sagte Jill.

»Gar kein Problem, was?«, entgegnete Trauerpfützler. »Wir können ja gleich einmal versuchen die Tür hier zu öffnen.« Sie schauten zur Tür und sahen, dass keiner von ihnen bis zur Türklinke hinaufreichte, und selbst wenn, so konnte sie doch mit großer Wahrscheinlichkeit keiner von ihnen herunterdrücken.