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»Es gab noch nie eine Welt außer der meinen«, sagte die Hexe.

»Es gab noch nie eine Welt außer der Euren«, sagten sie.

Trauerpfützler kämpfte noch immer hart. »Ich weiß nicht so recht, was ihr alle mit einer Welt meint«, sagte er. Er sprach wie ein Mann, der keine Luft bekommt. »Ihr könnt auf dieser Fiedel spielen, bis Euch die Finger abfallen, doch Ihr werdet mich nicht dazu bringen, Narnia und die ganze übrige Oberwelt zu vergessen. Es sollte mich zwar nicht wundern, wenn wir sie nie mehr zu Gesicht bekämen. Vielleicht habt Ihr sie ja auch ausgelöscht und so dunkel gemacht wie diese hier. Nichts ist wahrscheinlicher. Aber ich weiß, dass ich früher dort war. Ich habe einen Himmel voller Sterne gesehen. Ich habe die Sonne gesehen, wie sie am Morgen aus dem Ozean auftauchte und am Abend hinter den Bergen versank. Und ich habe sie am Mittagshimmel stehen sehen, wo man sie nicht anschauen kann, weil sie so grell ist.«

Trauerpfützlers Worte rüttelten die anderen auf. Sie atmeten wieder und schauten sich an wie Leute, die gerade erwacht sind.

»Ja, so ist es!«, rief der Prinz. »Natürlich! Aslans Segen liegt auf diesem ehrlichen Moorwackler. Wir haben in den letzten paar Minuten alle geträumt. Wie konnten wir es nur vergessen? Natürlich haben wir alle die Sonne gesehen!«

»Bei Zeus, das haben wir!«, bekräftigte Eustachius. »Gut gemacht, Trauerpfützler! Du bist, glaube ich, der Einzige, der sich seinen Verstand bewahrt hat.«

Dann erklang die Stimme der Hexe, sanft gurrend wie die Stimme einer Waldtaube aus den hohen Ulmen eines alten Gartens nachmittags um drei Uhr an einem schläfrigen Sommertag. Sie sagte:

»Was ist diese Sonne, von der ihr alle sprecht? Bedeutet dieses Wort etwas Bestimmtes?«

»Ja, das will ich meinen!«, sagte Eustachius.

»Könnt ihr mir beschreiben, was es ist?«, fragte die Hexe. {Kling, kling, kling machten die Saiten.)

»Euer Gnaden«, antwortete der Prinz sehr kalt und sehr höflich. »Seht Ihr diese Lampe? Sie ist rund und gelb und erleuchtet den ganzen Raum; und darüber hinaus hängt sie von der Decke. Dieses Ding, das wir Sonne nennen, ist wie diese Lampe, nur ist sie viel größer und viel heller. Sie beleuchtet die ganze Oberwelt und sie hängt am Himmel.«

»Und woran hängt sie, mein Herr?«, fragte die Hexe und fügte dann mit ihrem sanften silbernen Lachen hinzu: »Seht ihr? Wenn ihr richtig darüber nachdenkt, was diese Sonne ist, so könnt ihr es mir nicht sagen. Ihr könnt mir nur sagen, sie sei wie eine Lampe. Eure Sonne ist ein Traum; und dieser Traum ist in seiner Gänze dieser Lampe nachempfunden. Die Lampe ist wirklich, doch die Sonne ist nur eine Mär, eine Geschichte, die man Kindern erzählt.«

»Ja, ich verstehe«, sagte Jill mit schwerer, hoffnungsloser Stimme. »So muss es sein.« Und während sie dies sagte, schien es ihr sehr vernünftig.

Langsam und ernst wiederholte die Hexe: »Es gibt keine Sonne.« Und alle schwiegen. Sie wiederholte mit leiserer, tieferer Stimme: »Es gibt keine Sonne.« Nach einer Pause und einem Kampf mit sich selbst sagten alle vier zusammen: »Ihr habt Recht. Es gibt keine Sonne.« Es war eine große Erleichterung, nachzugeben und dies zu sagen.

»Es gab niemals eine Sonne«, sagte die Hexe.

»Nein. Es gab niemals eine Sonne«, sagten der Prinz, der Moorwackler und die Kinder.

In den letzten paar Minuten hatte Jill das Gefühl gehabt, es gäbe etwas, was sie auf gar keinen Fall vergessen durfte. Und jetzt fiel es ihr ein. Aber es war schrecklich schwer, es auszusprechen. Sie hatte das Gefühl, ein Riesengewicht läge auf ihren Lippen. Mit einer Anstrengung, die sie ihre letzte Kraft zu kosten schien, sagte sie:

»Da ist Aslan.«

»Aslan?«, fragte die Hexe und steigerte fast unmerklich das Tempo ihrer Klimperei. »Was für ein hübscher Name! Was bedeutet er?«

»Aslan ist der große Löwe, der uns aus unserer Welt rief«, erwiderte Eustachius, »und der uns hierher schickte um Prinz Rilian zu finden.«

»Was ist ein Löwe?«, fragte die Hexe.

»Oh, verdammt!«, sagte Eustachius. »Wisst Ihr das nicht? Wie können wir ihr das erklären? Habt Ihr schon einmal eine Katze gesehen?

»Gewiss«, antwortete die Königin. »Ich liebe Katzen.«

»Nun, ein Löwe ist ein klein wenig, aber wirklich nur ein klein wenig, wie eine riesige Katze – mit einer Mähne. Aber nicht wie eine Pferdemähne, wisst Ihr, sondern eher wie die Perücke eines Richters. Und er ist gelb. Und schrecklich stark.«

Die Hexe schüttelte den Kopf. »Ich merke«, sagte sie, »dass es uns mit eurem Löwen, wie ihr ihn nennt, auch nicht besser gehen wird als mit eurer Sonne. Ihr habt Lampen gesehen und so habt ihr euch eine größere und bessere Lampe ausgedacht und sie Sonne genannt. Ihr habt Katzen gesehen und jetzt wollt ihr eine größere und bessere Katze und wollt sie Löwe nennen. Nun, dies sind hübsche Märchengeschichten, obwohl sie euch, um ehrlich zu sein, besser anstünden, wenn ihr jünger wärt. Und seht, eure Märchengeschichten enthalten nur Dinge, die ihr der richtigen Welt, meiner Welt, der einzigen Welt, abgeschaut habt. Aber selbst ihr zwei Kinder seid zu alt für solche Spiele. Und was Euch betrifft, mein Prinz, der Ihr ein erwachsener Mann seid, Ihr solltet Euch schämen. Sind Euch derartige Kindereien nicht peinlich? Ihr alle solltet diese kindischen Possen aufgeben! Ich habe für euch alle Arbeit in der wirklichen Welt. Es gibt kein Narnia, keine Oberwelt, keinen Himmel, keine Sonne, keinen Aslan. Und nun ins Bett mit euch. Morgen wollen wir ein weiseres Leben beginnen. Aber zuerst geht ihr zu Bett und schlaft einen tiefen Schlaf auf weichen Kissen, einen Schlaf ohne törichte Träume.«

Der Prinz und die beiden Kinder standen da und ließen die Köpfe hängen. Ihre Wangen waren rot und ihre Augen halb geschlossen; alle Kraft hatte sie verlassen – der Zauber hatte sie fast völlig in seinem Bann. Doch Trauerpfützler nahm verzweifelt seine ganze Kraft zusammen und ging hinüber zum Feuer. Dann beging er eine sehr mutige Tat. Er wusste, es würde ihm nicht ganz so wehtun wie einem Menschen, denn seine bloßen Füße waren mit Schwimmhäuten versehen und ganz hart und kaltblütig wie die einer Ente. Aber er wusste, dass es ihn noch immer genug schmerzen würde; und das tat es auch. Er stampfte mit seinem bloßen Fuß auf das Feuer und zertrat in dem flachen Kamin einen großen Teil davon zu Asche. Und sofort geschahen drei Dinge.

Zum einen wurde der süße Duft sehr viel schwächer. Denn das Feuer war zwar nicht ganz ausgegangen, aber doch zum guten Teil, und das, was noch übrig war, roch nach angesengtem Moorwacklerfleisch und dieser Geruch hat ganz und gar keine Zauberkraft. Dadurch wurden alle augenblicklich sehr viel klarer im Kopf. Der Prinz und die Kinder richteten sich wieder auf und öffneten die Augen.

Zweitens schrie die Hexe mit lauter und schrecklicher Stimme, die mit der süßen Stimme, der sie sich bisher bedient hatte, keinerlei Ähnlichkeit mehr hatte: »Was tust du? Wenn du es wagst, du Schlammhaufen, mein Feuer noch einmal zu berühren, dann verwandle ich das Blut in deinen Adern zu Feuer!«

Drittens bekam Trauerpfützler von dem Schmerz für einen Moment einen ganz klaren Kopf und er war wieder Herr über seine Gedanken. Nichts hilft besser gegen gewisse Arten der Magie als ein starker Schmerz.

»Ein Wort, meine Dame«, sagte er, während er vom Feuer zurückhumpelte. »Ein Wort. Es sollte mich nicht wundern, wenn alles, was Ihr gesagt habt, seine Richtigkeit hätte. Ich bin eine Person, die immer gern das Schlimmste annimmt und dann das Beste daraus macht. Deshalb will ich von dem, was Ihr gesagt habt, nichts abstreiten. Aber trotzdem ist da etwas, was ich sagen muss. Angenommen, wir haben all diese Dinge wirklich geträumt oder sie uns ausgedacht – Bäume und Gras und Sonne und Mond und Sterne und Aslan selbst. Angenommen, es wäre so. Dann kann ich nur sagen, dass die ausgedachten Dinge mir um einiges wichtiger zu sein scheinen als die wirklichen. Angenommen, dieser schwarze Abgrund Eures Königreichs ist die einzige Welt. Nun, sie kommt mir recht armselig vor. Und es ist eine komische Sache, wenn man darüber nachdenkt. Wenn Ihr Recht habt, dann sind wir lediglich Kinder, die ein Spiel spielen. Aber vier Kinder, die ein Spiel spielen, können eine Fantasiewelt schaffen, welche die Eure in den Schatten stellt. Und deshalb werde ich mich an diese Fantasiewelt halten. Ich bin auf Aslans Seite, selbst wenn es keinen Aslan gibt. Ich werde so gut wie möglich wie ein Narniane leben, selbst wenn es kein Narnia gibt. Wir danken Euch also herzlich für unser Nachtmahl, und wenn die beiden Herren und die junge Dame bereit sind, verlassen wir Euren Hof sofort, machen uns auf in die Dunkelheit und verbringen unser Leben damit, die Oberwelt zu suchen. Nicht dass unser Leben noch sehr lange währen wird, aber das ist nur ein kleiner Verlust, wenn die Welt so langweilig ist, wie Ihr behauptet.«