»Hurra! Guter alter Trauerpfützler!«, riefen Eustachius und Jill.
Aber der Prinz schrie plötzlich: »Achtung! Die Hexe!« Als sie hinschauten, standen ihnen fast die Haare zu Berge.
Das Instrument fiel aus ihren Händen. Ihre Arme schienen rechts und links an ihrer Seite festgewachsen zu sein. Ihre Beine waren miteinander verschlungen und ihre Füße waren verschwunden. Die lange grüne Schleppe ihres Kleides wurde dicker und fester und schien mit der sich windenden grünen Säule ihrer verschlungenen Beine verwachsen zu sein. Und diese grüne Säule krümmte und wand sich, als hätte sie keine Gelenke oder als bestünde sie nur aus Gelenken. Den Kopf hatte sie weit zurückgeworfen, und während ihre Nase länger und länger wurde, schien der Rest ihres Gesichtes, abgesehen von den Augen, zu verschwinden. Riesige flammende Augen waren es jetzt, ohne Augenbrauen und ohne Wimpern. Man braucht Zeit, um all dies niederzuschreiben; aber es ging so schnell, dass einem gerade eben Zeit blieb, es zu beobachten. Lange bevor man Zeit gehabt hatte, etwas zu unternehmen, war die Verwandlung perfekt und die große giftgrüne Schlange, so dick wie Jills Taille, zu der die Hexe geworden war, hatte zwei oder drei Windungen ihres ekelhaften Körpers um die Beine des Prinzen geschlungen. So rasch wie ein Blitz schlug sich eine weitere Windung um ihn, wohl um seinen Schwertarm an seine Seite zu fesseln. Doch der Prinz verlor keine Zeit. Er hob die Arme und so schloss sich der lebende Knoten um seine Brust – bereit ihm die Rippen zu zerbrechen, sobald er sich zusammenzog.
Der Prinz packte mit der linken Hand den Hals der Kreatur und versuchte ihn zuzudrücken und die Schlange zu ersticken. Diese hielt ihr Gesicht (wenn man es so nennen konnte) etwa zehn Zentimeter vor das seinige. Die gespaltene Zunge schnellte vor und zurück, doch sein Gesicht erreichte sie nicht. Mit der rechten Hand holte er mit dem Schwert zu dem stärksten Schlag aus, dessen er mächtig war. In der Zwischenzeit hatten auch Eustachius und Trauerpfützler ihre Waffen gezogen und beeilten sich ihm zu Hilfe zu kommen. Alle drei schlugen zur gleichen Zeit zu: Eustachius (dessen Schlag nutzlos war, da er nicht einmal die Schuppen durchdrang) traf den Körper der Schlange unter der Hand des Prinzen. Der Prinz und Trauerpfützler jedoch trafen am Hals. Selbst dies reichte nicht aus um das Ungeheuer zu töten, doch es lockerte die Umklammerung um Rilians Beine und Brust. Sie schlugen immer wieder zu und so gelang es ihnen schließlich, den Kopf abzutrennen. Das schreckliche Ding wand und schlängelte sich noch, als es schon längst tot war; und der Boden sah schrecklich aus, wie ihr euch denken könnt.
Als der Prinz wieder zu Atem gekommen war, sagte er: »Meine Herren, ich danke euch.« Dann standen die drei Kämpfer lange wortlos und nach Luft schnappend da und starrten sich an. Jill setzte sich vernünftigerweise hin und gab keinen Mucks von sich. Sie sagte sich: Ich hoffe nur, dass ich nicht ohnmächtig werde oder zu heulen anfange oder sonst etwas Blödes tue.
»Meine königliche Mutter ist gerächt«, erklärte Rilian ein wenig später. »Dies ist ohne Zweifel die Schlange, die ich vor so vielen Jahren an der Quelle im Wald von Narnia vergeblich verfolgt habe. All diese Jahre war ich der Sklave der Mörderin meiner Mutter. Und doch bin ich froh, meine Herren, dass die widerliche Schlange am Ende ihre Schlangengestalt annahm. Denn ich hätte es weder mit meinem Herzen noch mit meiner Ehre vereinbaren können, eine Frau zu töten. Aber nun kümmert euch um die Dame!« Er meinte Jill.
»Mir geht es gut, danke«, sagte diese.
»Mein Fräulein«, sagte der Prinz und verbeugte sich vor ihr. »Du hast viel Mut und ohne Zweifel stammst du von einem edlen Geschlecht in deiner Welt ab. Doch kommt, Freunde. Hier ist noch Wein. Wir wollen uns erfrischen und uns zutrinken. Und dann werden wir einen Plan schmieden.«
»Eine fantastische Idee, Herr«, meinte Eustachius.
13. Unterland ohne die Königin
Alle waren der Meinung, sie hätten eine »Verschnaufpause« verdient, wie Eustachius es nannte. Die Hexe hatte die Tür verriegelt und den Erdmännern befohlen, sie nicht zu stören, deshalb bestand im Moment nicht die Gefahr einer Unterbrechung. Zuerst mussten sie sich natürlich um Trauerpfützlers verbrannten Fuß kümmern. Ein paar saubere Hemden aus dem Schlafzimmer des Prinzen, in Streifen gerissen und innen mit Butter und Salatöl vom Abendbrottisch gut eingefettet, gaben einen passablen Verband ab. Als dieser angelegt worden war, setzten sich alle hin und nahmen eine kleine Erfrischung ein. Gleichzeitig schmiedeten sie Pläne für ihre Flucht aus der Unterwelt.
Rilian erklärte, dass es viele Ausgänge zur Oberwelt gab; er war zu verschiedenen Zeiten einmal da und einmal dort hinaufgebracht worden. Aber er war nie allein gegangen, sondern immer mit der Hexe; und zu diesen Ausgängen gelangte man nur, indem man in einem Schiff über das sonnenlose Meer fuhr. Was die Erdmänner sagen würden, wenn er ohne die Hexe und mit drei Fremden zum Hafen kam und einfach ein Schiff verlangte, war nicht vorherzusehen. Aber wahrscheinlich würden sie unbequeme Fragen stellen. Allerdings befand sich der eine Ausgang, derjenige, der für die Invasion der Oberwelt bestimmt war, diesseits des Meeres und nur ein paar Kilometer entfernt. Der Prinz wusste, dass er fast fertig gestellt war und der ausgegrabene Gang bis knapp unter die Erdoberfläche führte. Es war sogar möglich, dass er inzwischen ganz fertig war. Vielleicht war die Hexe deshalb zurückgekommen, nämlich um ihm dies mitzuteilen und um mit der Invasion zu beginnen. Aber selbst wenn es noch nicht so weit war, konnten sie sich vermutlich in ein paar Stunden nach oben durchgraben – wenn sie es erst einmal bis dorthin geschafft hatten, ohne aufgehalten zu werden, und wenn der Gang nicht bewacht war. Doch hier lagen die Schwierigkeiten.
»Wenn ihr mich fragt ...«, setzte Trauerpfützler an, doch Eustachius unterbrach ihn.
»Hört mal«, sagte er. »Was ist denn das für ein Lärm?«
»Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit«, bemerkte Jill.
Sie alle hatten es gehört, aber es hatte ganz allmählich begonnen und war dann stärker geworden, sodass sie nicht mehr wussten, wann es ihnen zum ersten Mal aufgefallen war. Eine Zeit lang war es nur ein vages Geräusch gewesen, so wie ein sanfter Wind oder sehr weit entfernter Verkehrslärm. Dann war es zu einem Murmeln angeschwollen, das dem Rauschen des Meeres glich. Dann erklang ein Poltern und Brausen. Und jetzt hörte man auch Stimmen und gleichmäßiges Tosen.
»Beim Löwen«, rief Prinz Rilian. »Es scheint, als habe dieses stille Land endlich eine Zunge gefunden.« Er erhob sich, ging zum Fenster und zog die Vorhänge beiseite. Die anderen drängten sich dicht an ihn um ebenfalls hinauszuschauen.
Als Erstes bemerkten sie ein starkes rotes Glühen, dessen Widerschein einen roten Fleck auf das weit über ihnen liegende Dach der Unterwelt warf. So sahen sie eine felsige Decke über sich, die vielleicht seit der Erschaffung der Welt im Dunkeln gelegen hatte.