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»Nein!«, rief Eustachius. »Gibt es weiter unten auch noch Länder?«

»O ja, Euer Ehren«, sagte Golg. »Da gibt es herrliche Gegenden. Wir nennen es das Land des Abgrunds. Das Land, in dem wir uns jetzt befinden, das Land der Hexe, nennen wir das Seichte Land. Für unseren Geschmack ist es ein gutes Stück zu nah an der Oberfläche. Igitt! Man könnte fast genauso gut draußen an der Oberfläche leben. Versteht ihr, wir alle sind arme Gnome aus dem Land des Abgrunds, die von der Hexe durch Zauberei heraufgerufen wurden um für sie zu arbeiten. Aber wir hatten all das vollkommen vergessen, bis dieser Donnerschlag ertönte und der Zauberbann gebrochen war. Wir wussten nicht, wer wir waren, noch wo wir hingehörten. Außer dem, was sie uns in den Kopf setzte, konnten wir nichts tun und nichts denken. Und es waren trübe und düstere Dinge, die sie uns all die Jahre in den Kopf gesetzt hat. Ich habe fast vergessen, wie man einen Spaß oder ein Tänzchen macht. Aber im gleichen Augenblick, wo es diesen Knall gab und sich der Spalt öffnete und das Meer anstieg, kam alles wieder. Und natürlich machten wir uns so schnell wie möglich auf den Weg, um durch den Spalt hinunter in unsere Heimat zu gelangen. Und da drüben könnt ihr sehen, wie sie Feuerwerkskörper abschießen und vor Freude auf dem Kopf stehen. Und ich wäre euch sehr dankbar, wenn ihr mich bald freilassen würdet, damit ich mich dazugesellen kann.«

»Ich finde das einfach fantastisch!«, rief Jill. »Ich bin so froh, dass wir nicht nur uns, sondern auch die Gnome befreit haben, als wir der Hexe den Kopf abschlugen! Und ich freue mich riesig, dass sie in Wirklichkeit nicht so langweilig und trübsinnig sind – genauso wenig, wie der Prinz so ist, wie er anfänglich zu sein schien.«

»Nun, das ist ja alles schön und gut, Jill«, meinte Trauerpfützler vorsichtig. »Aber diese Gnome sahen mir nicht so aus, als wollten sie lediglich wegrennen. Es sah eher nach einer militärischen Formation aus, wenn ihr mich fragt. Schau mir ins Gesicht, Golg, und sag mir, ob ihr euch auf einen Kampf vorbereitet habt.«

»Natürlich, Euer Ehren«, antwortete Golg. »Wir wussten ja nicht, dass die Hexe tot ist. Wir dachten, sie würde uns vom Schloss aus beobachten. Wir versuchten uns unbemerkt wegzustehlen. Und als ihr vier mit Schwertern und mit Pferden ankamt, da hat sich natürlich jeder gesagt: So, jetzt geht es los. Denn wir wussten ja nicht, dass Ihr, Hoheit, nicht auf der Seite der Hexe steht. Und wir waren entschlossen, eher bis zum Äußersten zu kämpfen als die Hoffnung aufzugeben, in den Abgrund heimzukehren.«

»Ich bin sicher, dass dies ein ehrlicher Gnom ist«, sagte der Prinz. »Lass ihn los, Trauerpfützler, mein Freund. Was mich betrifft, guter Golg, so war ich wie du und deine Freunde verzaubert und habe erst vor kurzem zu meinem wahren Ich zurückgefunden. Und nun noch eine Frage: Kennst du den Weg zu dem neu gegrabenen Gang, durch den die Zauberin eine Armee zum Kampf gegen Oberland aussenden wollte?«

»Ii-ii-ii!«, quiekte Golg. »Ja, ich kenne diesen schrecklichen Weg. Ich werde Euch zeigen, wo er anfängt. Aber Ihr braucht mich gar nicht erst darum zu bitten, Euch auf diesem Weg zu begleiten. Lieber sterbe ich.«

»Warum?«, fragte Eustachius besorgt. »Was ist denn so schrecklich daran?«

»Zu nahe an der Oberfläche«, sagte Golg und schüttelte sich. »Das war das Schlimmste, was uns die Hexe angetan hat. Sie wollte uns nach draußen führen – an die Oberfläche der Welt. Es wird gesagt, dass es dort kein Dach gibt: nur eine schreckliche und riesige Leere, die man Himmel nennt. Und die Ausgrabungen sind so weit fortgeschritten, dass man schon mit ein paar Pickelschlägen draußen ist. Ich würde es nicht wagen, mich dieser Stelle zu nähern.«

»Hurra! Das lässt sich hören!«, rief Eustachius. Und Jill sagte: »Aber da oben ist es ganz und gar nicht schrecklich. Uns gefällt es. Wir leben dort.«

»Ich weiß, dass ihr Oberweltler dort lebt«, erwiderte Golg. »Aber ich habe gedacht, das sei nur deshalb, weil ihr nicht nach unten findet. Es kann euch doch nicht tatsächlich gefallen – wie Fliegen oben auf der Welt herumzukriechen!«

»Was hältst du davon, uns sofort den Weg zu zeigen?«, fragte Trauerpfützler.

Die ganze Gruppe machte sich auf den Weg. Der Prinz bestieg wieder sein Pferd. Trauerpfützler saß hinter Jill auf und Golg ging voran. Unterwegs verbreitete er laut die gute Nachricht, dass die Hexe tot und die vier Oberweltler ungefährlich seien. Und die, welche ihn hörten, verkündeten es den anderen und so hallten schon wenige Minuten später durch das ganze Unterland Schreie und Hurrarufe. Und Hunderte und Tausende von hüpfenden, Rad schlagenden, auf dem Kopf stehenden, Froschhüpfen spielenden, Knallfrösche abschießenden Gnomen umringten Kohlschwarz und Schneeflocke. Und der Prinz musste mindestens zehnmal die Geschichte seiner Verzauberung und seiner Rettung erzählen.

So erreichten sie schließlich die Spalte. Sie war etwa dreihundert Meter lang und vielleicht fünfzig Meter breit. Die vier stiegen vom Pferd, traten an den Rand und schauten hinab. Große Hitze schlug ihnen ins Gesicht, vermischt mit einem Geruch, der nichts glich, was sie jemals gerochen hatten. Er war schwer, scharf, aufregend und brachte einen zum Niesen. Tief drunten war es so hell, dass sie zuerst geblendet waren und überhaupt nichts sehen konnten. Als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, schien es ihnen so, als sähen sie einen aus Feuer bestehenden Fluss und an den Flussufern so etwas wie Felder und Wälder von unerträglichem, heißem Glanz – doch mit dem Fluss verglichen waren sie fast düster. Sie schillerten in allen Farben: Blau, Rot, Grün und Weiß; eine sehr schöne bunte Glasscheibe, durch die am Mittag die Tropensonne fällt, mag vielleicht einen ähnlichen Effekt liefern. An den zerklüfteten Wänden der Spalte kletterten Hunderte von Erdmännern hinab, die vor dem grellen Licht aussahen wie schwarze Fliegen.

»Euer Ehren«, sagte Golg (und als sie sich umwandten um ihn anzuschauen, sahen sie ein paar Minuten lang nur Schwarz, so geblendet waren sie). »Euer Ehren, warum kommt Ihr nicht mit hinab in den Abgrund? Dort wärt Ihr glücklicher als in diesem kalten, ungeschützten und nackten Land da oben. Oder kommt wenigstens für einen kurzen Besuch mit hinunter!«

Jill hielt es für selbstverständlich, dass keiner der anderen diesen Gedanken auch nur für einen Moment in Erwägung zog. Zu ihrem Entsetzen hörte sie jedoch den Prinzen sagen:

»Ich hätte wahrlich Lust, Golg, mein Freund, mit dir hinunterzukommen. Denn dies ist ein prächtiges Abenteuer und vermutlich hat noch nie ein Sterblicher das Land des Abgrunds geschaut – und vermutlich wird auch keiner mehr Gelegenheit dazu haben. Und ich weiß nicht, wie ich in den kommenden Jahren den Gedanken ertragen soll, dass es einst in meiner Macht lag, die tiefsten Tiefen der Erde zu erforschen, und ich es unterließ. Aber könnte ein Mensch dort leben? Ihr schwimmt doch wohl nicht in diesem Feuerfluss?«

»O nein, Euer Ehren. Wir nicht. Nur die Salamander leben direkt im Feuer.«

»Was für ein Tier ist euer Salamander?«, fragte der Prinz.

»Es ist schwer, ihn zu beschreiben, Euer Ehren«, antwortete Golg, »denn sie sind so weiß glühend, dass man sie nicht anschauen kann. Aber sie sind fast wie kleine Drachen. Sie sprechen zu uns aus dem Feuer. Sie sind sehr geistreich und redegewandt.«

Jill warf einen raschen Blick auf Eustachius. Sie war sicher, dass ihm der Gedanke, in diese Spalte zu klettern, noch weniger behagte als ihr selbst. Doch ihr Herz sank, als sie sein Gesicht sah. Er ähnelte jetzt viel eher dem Prinzen als dem alten Eustachius aus der Experimentalschule. Denn jetzt fielen ihm all seine Abenteuer und Erlebnisse wieder ein, als er mit König Kaspian zum Ende der Welt gesegelt war.