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»Majestät…«

»Du hast mich zum Narren gehalten.«

Der hohe Beamte warf sich der Königin zu Füßen.

»Man hat mich benutzt; man hat mich belogen, ich verspreche Majestät…«

»Ich verabscheue liebedienerische Kreaturen. In wessen Sold stehst du, Verräter?«

Aus dem unzusammenhängenden Gestammel des Mannes wurde all seine Unfähigkeit deutlich, die er bisher durch geheuchelte Gutmütigkeit kaschiert hatte. Aus Angst, seine Stellung zu verlieren, hatte er sich nicht weiter vorgewagt. In der Überzeugung, richtig gehandelt zu haben, flehte er um Gnade.

»Von nun an wirst du Dienst tun als Pförtner des Anwesens meines älteren Sohnes. Vielleicht gelingt es dir dort, zumindest ein paar Störenfriede fernzuhalten.«

Der Beamte erging sich in honigsüßen Dankesworten, während die große königliche Gemahlin den Audienzsaal längst verlassen hatte.

Ramses und Moses jagten mit ihrem Gespann in den Hof des Harim Mer-Our und hielten vor dem Verwaltungsgebäude. Abwechselnd hatten die beiden Freunde die Zügel geführt und sich dabei überboten an Geschicklichkeit und Eifer. Mehrmals hatten sie die Pferde gewechselt und den Weg von Memphis zum Harim im Flug zurückgelegt.

Die lärmende Ankunft störte die Ruhe der Anlage, riß den Vorsteher aus seinem Mittagsschlaf und ließ ihn zur Tür laufen.

»Seid ihr verrückt geworden? Dies ist doch keine Kaserne!«

»Die große königliche Gemahlin hat mich mit einer Mission betraut«, erklärte Ramses.

Der Harimsvorsteher umfaßte mit zitternden Händen seinen vorquellenden Bauch.

»Ach so… Aber was rechtfertigt diesen Lärm?«

»Es ist besonders dringlich.«

»Ein dringlicher Fall, hier, in dem mir unterstellten Anwesen?«

»Genau hier, und der dringliche Fall bist du selbst.«

Moses nickte bestätigend. Der Harimsvorsteher wich zwei Schritte zurück.

»Das ist bestimmt ein Irrtum.«

»Du hast mich veranlaßt, für die Expedition in die Türkisgruben einen Verbrecher einzustellen«, betonte der Hebräer.

»Ich? Du phantasierst!«

»Wer hatte ihn empfohlen?«

»Ich weiß nicht, von wem du redest!«

»Sehen wir in den Archiven nach«, sagte Ramses fordernd.

»Könnt ihr einen schriftlichen Befehl vorweisen?«

»Wird das Siegel der Königin genügen?«

Der Beamte wehrte sich nicht länger. Ramses war in Hochstimmung, da er überzeugt war, am Ziel zu sein. Moses war zurückhaltender, doch auch ihm lag daran, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen.

Die Angaben über den Türkisräuber waren eine Enttäuschung, denn der Mann hatte sich nicht als Wagenlenker beworben, sondern als erfahrener Grubenarbeiter, der schon an mehreren Expeditionen teilgenommen hatte und in Mer-Our den Schmuckherstellern die Bearbeitung der Türkise beibringen sollte. Daher hatte der Vorsteher gleich an ihn gedacht, als er erfuhr, daß Moses diesen Trupp leiten sollte.

Ganz offensichtlich war dieser Beamte hintergangen worden, und nachdem nun der Stallknecht und auch der Wagenlenker tot waren, verlor sich die Spur des Anstifters dieser Verschwörung tatsächlich im Sande.

Mehr als zwei Stunden lang hatte Ramses sich im Bogenschießen geübt und Scheibe um Scheibe durchbohrt. Er zwang sich, seinen Zorn zu nutzen, um sich zu sammeln und seine Kraft zu bündeln, anstatt sie zu vergeuden. Als seine Muskeln schmerzten, begann er einen langen, einsamen Lauf durch die Blumen- und Obstgärten des Harim. Zu viele unklare Gedanken verwirrten seinen Kopf, und wenn der Geist sich wie ein wilder Affe gebärdete, half nur noch körperliche Anstrengung.

Müdigkeit kannte der Prinz nicht. Seine Amme, die ihn mehr als drei Jahre lang gestillt hatte, hatte noch nie ein so widerstandsfähiges Kind erlebt. Nie wurde er krank, Kälte und Hitze waren ihm gleich lieb, und er schlief ausreichend und aß mit wildem Appetit. Von seinem zehnten Lebensjahr an entwickelte er sich mehr und mehr zu einem kräftigen Jüngling, den tägliche körperliche Beanspruchung stählten.

Als er durch eine Tamariskenallee lief, vermeinte er einen Gesang zu hören, der nicht einer Vogelkehle entstammte. Er blieb stehen und spitzte die Ohren.

Das war eine Frauenstimme, und sie war entzückend. Lautlos folgte er ihr – und da sah er sie.

Im Schatten einer Weide saß Nefertari und spielte auf einer asiatischen Laute eine Melodie. Ihre Stimme, süß wie eine Frucht, vereinte sich mit dem Windhauch, der durch die Blätter des Baumes tänzelte. Neben der jungen Frau lag ein Schreibertäfelchen voller Zahlen und geometrischer Figuren.

Ihre Schönheit war fast unwirklich, und einen Augenblick lang fragte Ramses sich, ob er nicht träumte.

»Komm ruhig näher, oder hast du Angst vor der Musik?«

Er schob die Äste des Strauchs, hinter dem er sich verborgen hatte, auseinander.

»Warum versteckst du dich?«

»Weil…«

Er brachte keine Erklärung zustande, seine Verwirrung machte sie lächeln.

»Du bist schweißnaß, bist du etwa gelaufen?«

»Ich hatte gehofft, hier den Namen des Mannes zu finden, der mich umzubringen versucht hat.«

Nefertaris Lächeln erstarb, doch ihr Ernst bezauberte Ramses.

»Es ist dir also nicht gelungen.«

»Nein, leider nicht.«

»Gibt es keine Hoffnung mehr, ihn zu finden?«

»Ich fürchte, nein.«

»Du wirst aber nicht aufgeben.«

»Woher weißt du das?«

»Weil du niemals aufgibst.«

Ramses beugte sich über das Täfelchen.

»Lernst du jetzt Mathematik?«

»Ich berechne Raummaße.«

»Willst du Landvermesser werden?«

»Ich lerne gern, auch ohne bestimmtes Ziel.«

»Gönnst du dir auch manchmal Zerstreuung?«

»Die Einsamkeit ist mir lieber.«

»Bist du nicht zu streng mit dir selbst?«

Die blaugrünen Augen blickten ernst.

»Ich wollte dir nicht zu nahe treten, verzeih.«

Auf den leicht geschminkten Lippen erschien ein nachsichtiges Lächeln.

»Verweilst du einige Zeit im Harim?«

»Nein, ich breche morgen nach Memphis auf.«

»Mit der festen Absicht, die Wahrheit zu entdecken, nicht wahr?«

»Sollte das ein Vorwurf sein?«

»Ist es nötig, sich so vielen Gefahren auszusetzen?«

»Ich will die Wahrheit wissen, Nefertari, und ich werde nicht lockerlassen, um keinen Preis.«

In ihrem Blick las er ermunternde Zustimmung.

»Solltest du nach Memphis kommen, würde ich dich gerne zum Essen einladen.«

»Ich muß noch einige Monate im Harim bleiben, um meine Kenntnisse zu vervollkommnen. Anschließend kehre ich nach Hause zurück, aufs Land.«

»Wartet dort ein Verlobter?«

»Du bist in der Tat recht neugierig.« Ramses kam sich töricht vor. Diese so ruhige, so beherrschte junge Frau brachte ihn aus der Fassung. »Werde glücklich, Nefertari.«

SIEBENUNDZWANZIG

Der alte gesandte war stolz, seinem Land so viele Jahre gedient und mit seinem Rat drei Pharaonen geholfen zu haben, zwischen Ägypten und den Fremdländern zu vermitteln. Er schätzte Sethos’ Umsicht, weil der Erhalt des Friedens ihm wichtiger war als kriegerische Heldentaten, die zu nichts führten.

Bald würde er sich in Theben zur Ruhe setzen, unweit des Tempels von Karnak, und sich seiner Familie widmen, die er wegen seiner ständigen Reisen ohnehin zu sehr vernachlässigt hatte. Eine Freude war ihm noch beschert worden in diesen letzten Tagen: Er durfte den jungen, hochbegabten Acha ausbilden. Dieser junge Mann lernte schnell und merkte sich, was wichtig war. Aus Oberägypten zurückgekehrt, wo er eine heikle Kundschaftertätigkeit mit erstaunlichem Fingerspitzengefühl gemeistert hatte, war er aus eigenem Antrieb gekommen, um bei dem erfahrenen Gesandten Unterricht zu nehmen. Dieser hatte ihn sofort wie einen Sohn aufgenommen, ihn nicht nur theoretisch unterwiesen, sondern ihm auch die geheimen Kanäle genannt und gewisse Kniffe verraten, die man nur durch Erfahrung erwirbt. Manchmal war Acha ihm sogar schon einen Gedanken voraus. Bei seiner Einschätzung der Beziehungen zwischen den Ländern bewies er einen ausgeprägten Sinn für die Gegebenheiten und die Zukunftsaussichten.