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Erst als die Sonne sich neigte, traten die einzigen Freunde mit ernster Miene aus dem Ratssaal, gefolgt von den Generälen. Kurz darauf holte der Stellvertreter des Wesirs Ramses herein.

Doch nicht Sethos, sondern Chenar empfing ihn.

»Ich wünsche den Pharao zu sehen.«

»Er ist beschäftigt, worum geht es?«

»Dann werde ich wiederkommen.«

»Ich bin befugt, dir zu antworten, Ramses. Wenn du dich weigerst, mit mir zu sprechen, werde ich das melden. Unser Vater wird dein Verhalten nicht billigen. Du vergißt nur allzu häufig, daß du mir Achtung schuldest.«

Die Drohung beeindruckte Ramses nicht. Er war entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen.

»Wir sind Brüder, Chenar, solltest du das vergessen haben?«

»Unsere jeweilige Stellung…«

»Untersagt sie uns Freundschaft und Vertrauen?«

Dieser Einwurf verwirrte Chenar, und sein Ton wurde weniger schneidend.

»Nein, natürlich nicht, aber du kennst kein Maß, bist immer so aufgebracht…«

»Ich verfolge meinen Weg, du den deinen. Die Zeit der Illusionen ist vorbei.«

»Und wohin führt dein Weg?«

»In die Armee.«

Chenar faßte sich ans Kinn.

»Das wirst du sicherlich glänzend machen, doch aus welchem Grund wolltest du den Pharao sehen?«

»Um an seiner Seite in Nubien zu kämpfen.«

Chenar sprang auf.

»Wer hat dir denn etwas von einem Krieg in Nubien erzählt?«

Ramses ließ sich nicht beirren.

»Ich bin königlicher Schreiber und höherer Offizier, es fehlt mir nur eine formgerechte Einberufung zu einem Feldzug. Gib sie mir.«

Chenar ging unschlüssig auf und ab und setzte sich wieder.

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Es ist gefährlich.«

»Machst du dir Sorgen um meine Gesundheit?«

»Ein Prinz von Geblüt kann sich solchen Gefahren, die schwer abzuschätzen sind, nicht aussetzen.«

»Wird der Pharao etwa nicht selbst seine Truppen ins Feld führen?«

»Laß ab von diesem Plan, dein Platz ist nicht dort.«

»Im Gegenteil!«

»Mein Entschluß ist unwiderruflich.«

»Dann werde ich mich eben an meinen Vater wenden.«

»Keinen Skandal, Ramses, das Land hat andere Sorgen; ein alberner Zwischenfall…«

»Hör auf, dich mir in den Weg zu stellen, Chenar.« Das Mondgesicht des Thronerben verhärtete sich. »Was wirfst du mir vor?«

»Bekomme ich meine Ernennung?«

»Diese Entscheidung obliegt dem König.«

»Anhand deines Vorschlags…«

»Darüber muß ich nachdenken.«

»Dann beeil dich.«

Acha blickte um sich. Ein recht großer Raum, zwei klug angeordnete Fenster, die für Durchlüftung sorgten, Wände und Decke mit Blumenornamenten und roten und blauen geometrischen Mustern verziert, ein paar Stühle, ein niedriger Tisch, ein paar gute Matten, Truhen mit viel Stauraum, ein Schrank für die Papyrusrollen… Das Arbeitszimmer, das man ihm soeben zugeteilt hatte hier im Amt der Gesandten, erschien ihm durchaus angemessen. Nicht vielen Beamten seines Alters wurde eine solche Ausstattung zuteil.

Acha diktierte seinem Schreiber die Briefe, empfing Amtsbrüder, die begierig waren, den jungen Mann kennenzulernen, den man höheren Orts als Phänomen einstufte, und hieß dann Chenar willkommen, der jeden vielversprechenden neuen Beamten persönlich näher kennenlernen wollte.

»Zufrieden?«

»Schon mit weniger wäre man zufrieden.«

»Der König hat deine Arbeit hoch bewertet.«

»Möge stets alles, was ich als ergebener Diener Seiner Majestät tue, zu ihrer Zufriedenheit ausfallen.«

Chenar schloß die Tür und sprach in gedämpftem Ton weiter.

»Auch ich schätze deine Arbeit hoch ein. Du hast es erreicht, daß Ramses mit gesenktem Kopf in die Falle gerannt ist: er träumt nur noch davon, in Nubien zu kämpfen! Natürlich habe ich, um ihn anzuheizen, erst einmal seine Forderungen zurückgewiesen und nur allmählich nachgegeben.«

»Ist er nun ernannt?«

»Der Pharao wird sich bereit erklären, ihn nach Nubien mitzunehmen, damit er zum erstenmal an vorderster Front steht. Ramses ahnt ja nicht, daß die Nubier gefährliche Krieger sind und der Aufruhr, der dort lodert, blutig enden kann. Sein Ausflug in die Türkisberge hat seinen Eifer geweckt, er hält sich bereits für einen alten Kämpfer. Von sich aus wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, sich zu melden. Haben wir das nicht fein eingefädelt, mein Lieber?«

»Ich hoffe.«

»Und wenn wir jetzt von dir sprächen, Acha? Ich bin nicht undankbar, und deine Begabung als Gesandter hast du glanzvoll bewiesen. Noch ein wenig Geduld, noch ein oder zwei beachtliche und beachtete Berichte, und die Beförderungen werden sich reihen.«

»Ich habe nur den Ehrgeiz, meinem Land zu dienen.«

»Ich auch, das versteht sich doch von selbst. Aber eine höhere Stellung erleichtert wirkungsvolles Tun. Interessierst du dich für den Osten?«

»Genießt er nicht bereits Vorrang in unseren diplomatischen Bemühungen?«

»Ägypten braucht Fachleute deiner Statur. Bilde dich weiter, lerne, horche dich um und sei mir ergeben, du wirst es nicht zu bereuen haben.« Acha verneigte sich.

Obgleich das ägyptische Volk Waffengänge nicht schätzte, weckte Sethos’ Abmarsch gen Nubien kaum Besorgnis. Wie sollten diese barbarischen Stämme einer mächtigen und gut organisierten Armee denn schon standhalten? Dieser Feldzug glich eher einem Eingriff von Ordnungshütern als einem wirklichen Kampf. Nach harter Bestrafung würden diese Aufrührer nicht so bald den Kopf erheben und Nubien wieder eine friedliche Provinz sein.

Dank der warnenden Worte Achas wußte Chenar, daß die Ägypter auf heftigen Widerstand stoßen würden. Mit jugendlichem Überschwang würde Ramses sich bemühen, seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen. In der Vergangenheit hatten nubische Pfeile und Beile dem Leben unvorsichtiger Soldaten, die nur allzu überzeugt waren von ihrer Überlegenheit, ein schnelles Ende gesetzt. So konnte man hoffen, daß es Ramses ähnlich ergehen werde.

Das Leben meinte es gut mit ihm, dachte Chenar bei sich. Im Spiel um die Macht setzte er die Figuren so, daß er eigentlich nur gewinnen konnte. Der Pharao verzehrte seine Kräfte, er war unermüdlich tätig. Schon in naher Zukunft würde er nicht umhinkönnen, seinen älteren Sohn als Regenten einzusetzen und ihm immer mehr Handlungsfreiheit zu gewähren. Zurückhaltung üben, Geduld walten lassen und im Hintergrund die Fäden ziehen, das waren die Schlüssel zum Erfolg.

Ameni rannte zur Hauptanlegestelle von Memphis. Mühsam bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge, die dichtgedrängt den abziehenden Truppen Lebewohl winkte. Auf einer der letzten Abfallhalden hatte er einen Hinweis entdeckt, der wichtig, vielleicht sogar entscheidend war.

Als Sekretär von Ramses durfte er die Absperrung mißachten und erreichte schwer atmend den Kai.

»Wo ist das Schiff des Prinzen?«

»Ist gerade ausgelaufen«, entgegnete ein Offizier.

NEUNUNDZWANZIG

 Am vierundzwanzigsten Tag des zweiten Monats der Winterzeit im achten Regierungsjahr Sethos’ zog die ägyptische Flotte gen Süden. Sie kam recht schnell voran. In Assuan ging man von Bord und schiffte sich jenseits der Felsen am ersten Katarakt gleich wieder ein, obwohl der Wasserstand zu dieser Zeit das Durchfahren der gefährlichen Engpässe gestattet hätte. Aber der Pharao benutzte von hier ab lieber Schiffe, die für die Fahrt flußaufwärts gen Nubien geeigneter waren.