Am westlichen Rand des Lagers, wo die Wüste begann, kniete ein Mann und wühlte im Sand, als wollte er einen Schatz vergraben.
Ramses stutzte und ging auf ihn zu, das Schwert in der Hand.
»Was machst du da?«
»Still, mach keinen Lärm!« Die Stimme war kaum hörbar, doch fordernd.
»Antworte.«
Der Mann erhob sich.
»Herrje, wie töricht von dir! Du hast sie in die Flucht geschlagen.«
»Setaou! Du hast dich freiwillig gemeldet?«
»Natürlich nicht. – Ich bin sicher, in diesem Loch sitzt eine schwarze Kobra.«
Setaou in seinem wunderlichen Mantel mit den vielen Taschen sah in der Tat nicht aus wie ein Soldat. Die dunkle Haut war schlecht rasiert, und das schwarze Haar schimmerte im Mondlicht.
»Laut Aussage erfahrener Magier ist das Gift nubischer Schlangen von außergewöhnlicher Beschaffenheit. Eine Expedition wie diese war mir ein willkommener Anlaß!«
»Und die Gefahr? Es geht um einen Feldzug!«
»Von Blutrünstigkeit kann ich noch nichts erkennen. Diese Esel von Soldaten schlagen sich den Bauch voll und besaufen sich. Im Grunde ist das ja auch das ungefährlichste.«
»Diese Ruhe wird nicht von Dauer sein.«
»Weißt du das gewiß, oder ist das eine Weissagung?«
»Glaubst du etwa, der Pharao hätte so viele Männer nur um einer Parade willen verschifft?«
»Mir soll das gleich sein, solange ich nur Schlangen fangen darf. Ihre Farben sind prachtvoll! Anstatt töricht dein Leben aufs Spiel zu setzen, solltest du lieber mit mir in die Wüste ziehen.«
»Ich unterstehe dem Befehl meines Vaters.«
»Und ich bin ein freier Mann.«
Setaou legte sich nieder und schlief auch sofort ein. Er war der einzige Ägypter, der die nächtlichen Streifzüge der Reptilien nicht fürchtete.
Ramses starrte auf die Stromschnelle, gebannt von der Unermüdlichkeit des Nils. Als die Nacht fast endgültig aufgerissen war, spürte er, daß jemand hinter ihm stand.
»Hast du vergessen zu schlafen, mein Sohn?«
»Ich habe Setaou bewacht und etliche Schlangen gesehen, die sich ihm näherten, innehielten und wieder verschwanden. Selbst im Schlaf ist seine Macht wirksam. Trifft das nicht auch auf den Pharao zu?«
»Der Vizekönig ist zurückgekehrt«, enthüllte ihm Sethos.
Ramses blickte seinen Vater an.
»Hat er Irem befriedet?«
»Fünf Tote, zehn Schwerverletzte und ein übereilter Rückzug, das ist das Wesentliche, was sich dazu sagen läßt. Die Befürchtungen deines Freundes Acha erweisen sich als gerechtfertigt. Dieser junge Mann ist ein glänzender Beobachter, der die richtigen Schlüsse zog.«
»Manchmal verursacht er mir Unbehagen, doch seine Klugheit ist außergewöhnlich.«
»Leider hat er im Gegensatz zu vielen meiner Ratgeber recht behalten.«
»Heißt das, es wird Krieg geben?«
»Ja, Ramses, nichts verabscheue ich mehr, doch der Pharao darf keine Aufständischen dulden. Sonst wäre das Ende der Herrschaft der Maat schnell gekommen, und Unordnung würde sich breitmachen, die allen, groß und klein, nur Unglück bringen würde. Im Norden schützt Ägypten sich vor Überfällen durch die Kontrolle über Kanaan und Syrien; im Süden muß es sich auf Nubien verlassen können. Würde der König Schwäche zeigen wie Echnaton, brächte er das Land in Gefahr.«
»Wir werden also kämpfen?«
»Wir wollen hoffen, daß die Nubier Vernunft annehmen. Dein Bruder hat mit Nachdruck darum ersucht, daß ich deine Ernennung billige. Er scheint an deine soldatischen Fähigkeiten zu glauben. Doch unsere Gegner sind gefährlich. Wenn sie sich berauschen, kämpfen sie bis zum Tod.«
»Glaubst du mich nicht geeignet für den Kampf?«
»Du bist nicht verpflichtet, dich Gefahren auszusetzen.«
»Du hast mir eine Verantwortung übertragen, und die werde ich auf mich nehmen.«
»Ist dein Leben nicht wertvoller?«
»Bestimmt nicht. Wer sein Wort bricht, verdient nicht zu leben.«
»Dann also kämpfe, falls die Aufständischen sich nicht ergeben. Kämpfe wie ein Stier, ein Löwe und ein Falke, schleudere Blitze wie das Gewitter. Sonst wirst du besiegt werden.«
DREISSIG
Mit Bedauern verließ das Heer Buhen, um über den zweiten Katarakt und aus dem Schutz des Festungsgürtels hinaus in die Provinz Kusch zu ziehen, die zwar befriedet, aber von Nubiern bewohnt war, die man ihrer Tapferkeit wegen rühmte. Bis zur Insel Sais, auf der sich die Festung Shaat erhob, wo der Vizekönig zeitweilig residierte, dauerte die Reise nicht lange. Ein paar Meilen flußabwärts hatte Ramses eine weitere Insel namens Amara entdeckt, deren wilde Schönheit ihn betört hatte. Wenn das Schicksal gnädig mit ihm war, wollte er seinen Vater bitten, dort eine Kultstätte zu Ehren der Pracht Nubiens zu errichten.
In Shaat verstummten die sorglosen Gesänge. Die Zitadelle, viel kleiner als Buhen, war voll mit Flüchtlingen aus der so reichen Ebene von Irem, das in die Hände der Rebellen gefallen war. Siegestrunken und unbehelligt vom Vizekönig, der ihnen nur ein paar Veteranen entgegengeschickt hatte, die schnell auseinandergetrieben waren, hatten zwei Stämme den dritten Katarakt überwunden und zogen nun gen Norden. Der alte Traum war aufs neue erwacht: Kusch sollte zurückerobert, die Ägypter vertrieben und die Festungen im Sturm eingenommen werden.
Shaat war diesem Ansturm als erste ausgesetzt.
Sethos ließ sofort Alarm blasen. Auf jeder Zinne hielt sich ein Bogenschütze bereit, oben auf den Türmen standen Männer mit Steinschleudern, und im Schütze der Gräben, verteilt rund um die hohen Ziegelmauern, warteten die Fußtruppen.
Dann nahmen der Pharao und sein Sohn in Begleitung des schweigsamen und niedergeschlagenen Vizekönigs den Festungskommandanten ins Gebet.
»Die Nachrichten sind schauerlich«, bekannte dieser, »seit einer Woche hat der Aufruhr unglaubliche Ausmaße angenommen. Für gewöhnlich kommt es zu Scharmützeln zwischen den einzelnen Stämmen, aber nie zu Bündnissen. Diesmal sind sie sich jedoch einig! Ich habe Botschaften nach Buhen gesandt, aber…«
Die Anwesenheit des Vizekönigs hinderte den Kommandanten, allzu harsch Kritik zu üben.
»Sprich weiter«, forderte Sethos.
»Wir hätten diesen Aufruhr im Keim ersticken können, wenn wir rechtzeitig eingeschritten wären, aber inzwischen frage ich mich, ob es nicht klüger wäre, sich zurückzuziehen.«
Ramses traute seinen Ohren nicht. Wie konnte dieser Mann nur annehmen, die für die Sicherheit Ägyptens Verantwortlichen wären so feige und ahnungslos?
»Sind diese Stämme so furchterregend?« fragte er.
»Es sind Wilde«, erwiderte der Kommandant. »Sie fürchten weder Tod noch Leid. Kämpfen und Töten macht ihnen Vergnügen. Ich würde es niemandem übelnehmen, wenn er flieht, sobald die schreiende Horde zum Angriff ansetzt.«
»Fliehen? Das wäre doch Verrat!«
»Wenn du sie erst siehst, wirst du begreifen. Nur eine zahlenmäßig weit überlegene Armee vermag sie im Zaum zu halten. Und inzwischen wissen wir nicht einmal mehr, ob wir es mit einigen hundert oder Tausenden von Feinden zu tun haben.«
»Bring die Flüchtlinge nach Buhen, und nimm den Vizekönig mit«, befahl Sethos.
»Soll ich Verstärkung schicken?«
»Das werden wir noch sehen. Meine Boten werden dich auf dem laufenden halten. Laß den Nil abriegeln, und erteile allen Festungen Order, sich zu rüsten zur Abwehr eines Sturmangriffs.«