Bei Hof erregten Ramses’ Heldentaten großes Aufsehen. Ein Mann, der fähig war, einen Elefanten und einen Löwen zu zähmen, besaß magische Kräfte, die man nicht geringschätzen durfte. Iset, die Schöne, war stolz und Chenar zutiefst verbittert. Wie konnten die Würdenträger nur so verblendet sein? Ramses hatte Glück gehabt, das war alles. Ein geheimes Einverständnis zwischen Mensch und Tier, das hatte es ja noch nie gegeben! Bald schon würde der Löwe sich als wild entpuppen und ihn in Stücke reißen.
Trotz allem schien es Chenar angebracht, nach außen hin ihr hervorragendes brüderliches Verhältnis zu unterstreichen. Nachdem er, wie ganz Ägypten, Sethos’ Größe gepriesen hatte, hob er auch Ramses’ Leistung im Kampf gegen die aufständischen Nubier hervor. Er rühmte seine militärischen Fähigkeiten und wünschte dem Bruder noch eindeutigere Anerkennung.
Als Chenar in Vertretung des Königs einigen Veteranen aus den Ostländern Auszeichnungen zu verleihen hatte, ließ er den Bruder wissen, er würde ihn gerne unter vier Augen sprechen. Ramses wartete daher, bis die Zeremonie vorbei war, und begab sich dann mit Chenar in dessen Arbeitszimmer, das erst vor kurzem einen neuen Anstrich erhalten hatte. Meisterlich hatte der Maler Blumenbeete mit bunten Schmetterlingen auf die Wände gezaubert.
»Ist es nicht prachtvoll? Ich liebe es, in Luxus zu arbeiten; die Aufgaben erscheinen mir dann gleich um vieles leichter. Möchtest du eine Schale jungen Wein?«
»Nein danke, Veranstaltungen wie diese langweilen mich.«
»Mich auch, aber sie sind notwendig. Unsere tapferen Männer möchten geehrt werden. Setzen sie nicht ihr Leben ein wie du, um unsere Sicherheit zu wahren? Dein Einsatz in Nubien war beispielhaft, dabei sah es ja anfänglich gar nicht gut aus.«
Chenar war dick geworden. Da er den Tafelfreuden huldigte und seinem Körper nichts abverlangte, glich er einem trägen Provinzgouverneur.
»Unser Vater hat diesen Feldzug mit Meisterhand geführt. Allein schon seine Anwesenheit hat den Gegner in Furcht und Schrecken versetzt.«
»Gewiß, gewiß, aber auch dein Erscheinen auf dem Rücken des Elefanten hat zu unserem Erfolg beigetragen. Man munkelt, Nubien habe dich tief beeindruckt.«
»Das stimmt, ich liebe diesen Landstrich.«
»Wie bewertest du das Verhalten des Vizekönigs von Nubien?«
»Als unwürdig und verurteilenswert.«
»Dennoch hat der Pharao ihn im Amt belassen…«
»Sethos versteht zu herrschen.«
»So kann es aber nicht weitergehen. Der Vizekönig wird sicherlich bald wieder einen schweren Fehler begehen.«
»Vielleicht lernt er ja aus seinen Fehlern?«
»So leicht ändern sich die Menschen nicht, mein lieber Bruder. Meist verfallen sie in die gleichen Fehler. Der Vizekönig wird keine Ausnahme sein, glaub mir.«
»Jeder ist seines Glückes Schmied.«
»Sein Sturz könnte dein Glück sein.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Verstell dich doch nicht. Wenn du Nubien liebst, sehnst du dich doch nach dem Amt des Vizekönigs. Ich kann dir helfen, es zu erlangen.«
Darauf war Ramses nicht gefaßt gewesen. Chenar bemerkte seine Verwirrung.
»Ich halte deinen Anspruch auch für durchaus gerechtfertigt«, fuhr er fort. »Wärest du mit diesem Amt betraut, würde es gar nicht erst zum Versuch eines Aufstands kommen. Damit würdest du dem Land einen Dienst erweisen und selbst glücklich werden.«
Ein Traum… Ein Traum, den Ramses sich schon aus dem Kopf geschlagen hatte. Dort zu leben, mit seinem Löwen und seinem Hund, Tag für Tag diese wüsten Weiten zu erkunden, im Einklang mit dem Nil, den Felsen und dem goldenen Sand. Doch nein, das war zu erhaben.
»Du machst dich lustig über mich, Chenar.«
»Ich werde dem König beweisen, daß du für diesen Posten geschaffen bist. Sethos hat dich ja dort erlebt. Etliche Männer werden mir beipflichten, und dein Wunsch wird erhört werden.«
»Wie es dir beliebt.«
Chenar beglückwünschte seinen Bruder.
In Nubien würde Ramses ihm nicht mehr hinderlich sein.
Acha langweilte sich.
In wenigen Wochen hatte er die Freuden der Verwaltungsarbeit, mit der man ihn betraut hatte, zur Genüge kennengelernt. Diesem ganzen Schriftkram konnte er keinen Reiz abgewinnen. Er wollte in den Außendienst: Kontakte knüpfen, Menschen jeden Standes zum Sprechen bringen, Lügen aufdecken, große und kleine Geheimnisse enthüllen, entschlüsseln, was man ihm zu verschweigen trachtete – das war’s, was ihm Spaß machte.
Er mußte die Zeitläufe nutzen. Indem er den Rücken krümmte in Erwartung des Amtes, das es ihm ermöglichen würde, ferne Länder zu bereisen und das Denken der Feinde Ägyptens zu ergründen, entfaltete er die für einen Diplomaten wirksamste Strategie: sich überall zu zeigen.
Dabei begegnete er erfahrenen Männern, die mit Worten geizten und ihre Geheimnisse hüteten, deren Vertrauen er aber dann doch gewann. Er war anspruchslos, höflich, gebildet und vertrauenerweckend, und so kam es immer wieder zu Zwiegesprächen, wobei er sein Gegenüber niemals bedrängte. Und so erhielt er allmählich vom Inhalt der Geheimakten Kenntnis, ohne sie selbst studieren zu müssen. Ein paar schmeichelnde Worte, wohl abgewogene Höflichkeiten, scharfsinnige Fragen und eine gewählte Ausdrucksweise bescherten ihm ein gewisses Ansehen in den Reihen der hohen Beamten.
Chenar hörte nur Gutes über den jungen Acha. Daß er ihn zu seinem Verbündeten gemacht hatte, war einer seiner klügsten Schachzüge gewesen. Bei ihren verschwiegenen Zusammenkünften berichtete ihm Acha jeweils, was da ausgeheckt wurde in den Gefilden der Macht. So konnte Chenar seine eigenen Erkundigungen überprüfen und vervollständigen und sich Tag um Tag, ganz planmäßig, auf das Amt des Königs vorbereiten.
Seit er aus Nubien zurückgekehrt war, wirkte Sethos müde. Etliche Ratgeber empfahlen, Chenar zum Regenten zu ernennen, um den Herrscher zu entlasten. Warum es noch länger hinauszögern, da der Entschluß ja gefaßt war und auf keinerlei Widerspruch stieß?
Geschickt, wie er war, beruhigte Chenar die Gemüter. Sein jugendliches Alter und seine mangelnde Erfahrung bildeten, wie er betonte, ein gewisses Hindernis. Man solle ruhig auf die Weisheit des Pharaos vertrauen.
Ameni war wieder tatendurstig. Nachdem er wegen eines Schwächeanfalls das Bett hatte hüten müssen, wollte er jetzt endlich Ramses beweisen, daß seine Nachforschungen nicht vergeblich gewesen waren. Das Übermaß an Arbeit hatte die Gesundheit des jungen Schreibers ausgehöhlt, doch jetzt machte er sich mit der gewohnten Gewissenhaftigkeit erneut ans Werk. Obwohl Ramses ihm nicht den geringsten Vorwurf machte, fühlte Ameni sich schuldig. Ein Tag Ruhe erschien ihm unverzeihlich.
»Ich habe sämtliche Scherbenhaufen durchkämmt und ein Beweisstück gefunden«, verkündete er Ramses.
»Ein Beweisstück? Ist das Wort nicht leicht übertrieben?«
»Zwei Kalksteinscherben, die eindeutig zusammengehören. Auf der einen wird die zwielichtige Werkstatt erwähnt, auf der anderen steht der Name des Besitzers. Das Schriftzeichen ist leider beschädigt, könnte aber als ‹Chenar› gelesen werden.«
Ramses hatte die dramatischen Ereignisse, die sich vor seiner Abreise nach Nubien abgespielt hatten, schon fast vergessen. Der Stallknecht, der Wagenlenker, die minderwertigen Tintensteine… Das alles lag so weit zurück und schien ihm der Beachtung kaum wert.
»Du verdienst Anerkennung, Ameni, aber kein Richter wird sich herbeilassen, mit so geringem Beweismaterial einen Prozeß anzustrengen.«
Der junge Schreiber blickte zu Boden.
»Diese Antwort hatte ich befürchtet, aber wollen wir es nicht wenigstens versuchen?«
»Der Mißerfolg wäre uns sicher.«
»Ich werde noch mehr herausfinden.«