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Die wahre Macht… Hatte Setaou sie nicht hier entdeckt, in der gespenstischen Einsamkeit der Wüste? Zischen rundum.

Setaou lief vor ihm her und schlug mit einem langen Stab auf den Boden. Er eilte auf einen Steinhügel zu, der im Glanz des Vollmonds gespenstisch wirkte. Ramses ging hinter seinem Führer her verwandte keinen Gedanken mehr an die Gefahr. Am Gürtel der Schlangenkundige Beutelchen mit Arzneien für den Fall, sie doch gebissen werden sollten. Zu Füßen des Hügels machte er Halt.

»Dort wohnt mein Lehrmeister«, verriet Setaou. »Es ist nicht sicher, daß er sich zeigt, denn Fremde schätzt er nicht. Seien wir geduldig und bitten wir den Unsichtbaren, uns seinen Anblick zu gewähren.«

Setaou und Ramses setzten sich in Schreiberpose auf den Boden. Der Prinz fühlte sich so leicht, fast schwebend, und sog genüßlich die Wüstenluft ein, als sei sie von besonderer Süße. Die Mauern der Studierstube waren einem Himmel mit Tausenden von Sternen gewichen.

Eine elegante und gewundene Silhouette zeichnete sich in der Mitte des Hügels ab. Eine schwarze Kobra, drei Ellen lang, mit schimmernden Schuppen, kroch aus ihrer Höhle und richtete sich majestätisch auf. Der Mond hüllte sie in Silberglanz, doch ihr Kopf pendelte hin und her, stets bereit zu vernichten.

Setaou ging auf sie zu, die schwarze Kobra zischte. Mit einer Handbewegung bedeutete der Schlangenbeschwörer Ramses, er solle neben ihn treten.

Das Reptil zögerte und wand sich, welchen der beiden Eindringlinge sollte es zuerst angreifen?

Setaou trat nochmals zwei Schritte vor und stand jetzt dicht vor der Kobra. Ramses tat es ihm nach.

»Du bist die Herrin der Nacht und befruchtest die Erde, damit sie Frucht trage«, sagte Setaou betont langsam, Silbe für Silbe, mit getragener Stimme.

Etwa zehnmal wiederholte er die Beschwörungsformel und befahl Ramses, es ihm gleichzutun. Der Klang der Wörter schien die Schlange zu beruhigen. Zweimal streckte sie sich, wollte wohl zubeißen, doch kurz vor Setaous Gesicht hielt sie inne. Als er ihr die Hand auf den Kopf legte, erstarrte die Kobra. Ramses vermeinte ein rotes Leuchten in den Augen zu erkennen.

»Und nun du, Prinz.«

Der junge Mann streckte den Arm; das Reptil schoß vor.

Ramses glaubte sich gebissen, aber das Maul hatte sich nicht geschlossen, weil der Zwiebelgeruch dem Angreifer zu widerlich war.

»Leg ihr die Hand auf den Kopf.«

Ramses zitterte nicht. Die Kobra schien zurückzuweichen. Die gespannten Finger berührten den Kamm der schwarzen Schlange. Wenige Augenblicke lang hatte die Herrin der Nacht sich dem Sohn des Königs unterworfen.

Setaou zog Ramses zurück. Der Angriff der Kobra stieß ins Leere.

»Du wolltest zuviel, mein Freund. Solltest du vergessen haben, daß die Mächte der Finsternis unbesiegbar sind? Auf des Pharaos Stirn reckt sich eine Kobra, der Uräus. Worauf hättest du gehofft, wenn sie dich nicht geduldet hätte?«

Ramses atmete tief durch und betrachtete die Sterne.

»Du bist unvorsichtig, aber vom Glück begünstigt; gegen den Biß dieser Schlange gibt es kein Heilmittel.«

SECHS

Zielstrebig schwamm Ramses auf das Floß zu. Diese kunstvoll aus Papyrusstämmen und dünnen Schnüren gefertigte Insel würde dem zehnten Ansturm der Horde von Schwimmern, die mit der Absicht, ihn zu schlagen, gegen den Prinzen angetreten waren, nicht standhalten, zumal sie heute besonders stürmisch waren wegen der bewundernden Blicke all der jungen Mädchen, die am Ufer des Kanals dem Wettkampf zusahen. Weil jeder zu siegen hoffte, trugen sie Amulette um den Hals, der eine einen Frosch, der andere einen Ochsenschenkel, so mancher gar das schützende Auge. Ramses war nackt, nahm keinerlei Magie zu Hilfe, aber er schwamm schneller als die anderen.

Die meisten wurden von der Dame ihres Herzens angefeuert. Doch Sethos’ jüngerer Sohn kämpfte nur um seiner selbst willen, um sich zu beweisen, daß er über seine Kräfte hinauswachsen und auch hier als erster das Ufer erreichen konnte.

Ramses gewann den Wettkampf mit fünf Längen Vorsprung. Er verspürte keine Müdigkeit und hätte noch stundenlang schwimmen können. Verdrossen und schmallippig beglückwünschten ihn seine Gegner. Jeder kannte den aufbrausenden Charakter des Prinzen, dem der Weg zur Macht für immer versagt war und der wohl bald als gebildeter Müßiggänger im tiefen Süden, weit von Memphis und der Hauptstadt entfernt, residieren würde.

Eine hübsche Dunkelhaarige von fünfzehn Jahren, die durchaus schon fraulich wirkte, trat auf ihn zu und reichte ihm ein Tuch.

»Der Wind ist kühl, hiermit kannst du dich abtrocknen.«

»Das brauche ich nicht.«

Schelmisch schaute sie drein mit ihren reizvollen grünen Augen,der kleinen, geraden Nase, den schmalen Lippen und dem kaum hervortretenden Kinn. Sie war anmutig, lebhaft und elegant in ihrem durchscheinenden Leinenkleid, das gewiß aus einer noblen Werkstatt stammte. Unter dem Kopfband steckte eine Lotosblüte.

»Das ist ein Irrtum; selbst die Robustesten erkälten sich.«

» Ich weiß nicht, was Krankheit ist.«

»Ich heiße Iset. Heute abend gebe ich ein kleines Fest mit meinen Freundinnen. Wirst du mein Gast sein?«

»Gewiß nicht.«

»Solltest du es dir anders überlegen, bist du mir willkommen.« Lächelnd ging sie davon, ohne sich noch einmal umzuwenden.

Sary, der Lehrmeister, schlief im Schatten einer großen Sykomore, die den Mittelpunkt seines Gartens bildete. Ramses ging vor seiner Schwester Dolente, die sich auf einer Ruhebank aalte, auf und ab. Sie war weder schön noch häßlich und nur auf ihre Bequemlichkeit und ihr Wohlergehen bedacht. Die Stellung ihres Gatten versprach ein geruhsames Leben, abgeschirmt gegen den Alltagstrubel. Sie war zu groß, fühlte sich ständig ermattet, hatte eine fettige Haut, die sie von früh bis spät mit Salben einrieb, rühmte sich aber, als ältere Schwester von Ramses die kleinen Geheimnisse der besseren Gesellschaft zu kennen.

»Du besuchst mich nur selten, geliebter Bruder.«

»Ich bin zu beschäftigt.«

»Das Gerücht spricht eher von Müßiggang.«

»Frag deinen Gatten.«

»Du bist sicher nicht gekommen, um dich an meinem Anblick zu erfreuen…«

»Stimmt, ich brauche einen Rat.«

Dolente war entzückt. Ramses schätzte es gar nicht, anderen danken zu müssen.

»Ich höre. Wenn es mir gefällt, werde ich dir antworten.«

»Kennst du eine gewisse Iset?«

»Beschreib sie mir.«

Der Prinz tat es.

»Iset, die Schöne! Eine gefährliche, kokette Person. Manche halten sie für die schönste Frau von Memphis.«

»Ihre Eltern?«

»Reiche Honoratioren aus einer seit Generationen im Palast verkehrenden Familie. Sollte Iset, die Schöne, dich eingefangen haben?«

»Sie hat mich zu einem Fest geladen.«

»Da wirst du nicht der einzige sein! Dieses Mädchen feiert allabendlich ein Fest. Solltest du etwas für sie empfinden…«

»Sie hat mich herausgefordert.«

»Indem sie den ersten Schritt tat? Sei nicht altmodisch, geliebter Bruder! Iset, die Schöne, hat einfach befunden, du seist nach ihrem Geschmack, das ist alles!«

»Das steht einem jungen Mädchen doch nicht an…«

»Und warum nicht? Wir leben in Ägypten, nicht unter rückständigen Barbaren. Als Gattin empfehle ich sie dir nicht, aber…«

»Schweig.«

»Möchtest du nicht mehr erfahren über Iset, die Schöne?«

»Danke, liebe Schwester, mehr brauche ich nicht zu wissen.«

»Halte dich nicht zu lange in Memphis auf.«

»Eine Warnung?«

»Du bist hier niemand mehr; wenn du bleibst, wirst du welken wie eine Blume, die niemand gießt. In der Provinz wird man dich achten. Zähl nicht darauf, Iset, die Schöne, mitzunehmen. Sie mag keine Besiegten. Ich habe mir sagen lassen, dein Bruder, der künftige König Ägyptens, sei ihren Reizen nicht abgeneigt. Laß so schnell wie möglich von ihr ab, Ramses, sonst könnten deinem unbedeutenden Leben große Gefahren drohen.«