»Verdammt, Stone, das sind Atombomben!« sagte Charity entsetzt. »Es interessiert mich nicht, ob es kleine oder große Bomben sind. Wir ... werden angegriffen!«
Stone nickte ungerührt. »Was haben Sie denn erwartet? Sie wissen, wo wir sind. Sie versuchen, uns zu erwischen - genauso, wie ich es umgekehrt machen würde, wenn ich wüßte, wo sich dieser Shait verkrochen hat.«
Charity preßte die Lippen aufeinander. Stones Wortwahl gefiel ihr nicht besonders, und seinem Blick nach zu urteilen war dieses Gefühl sehr deutlich auf ihrem Gesicht abzulesen. »Wie lange geht das schon so?« fragte sie gepreßt.
Stone zuckte mit den Schultern. »Drei Stunden. Aber ich glaube nicht, daß wir Grund zur Sorge haben. Ihnen wird bald die Munition ausgehen.«
»Wie kommen Sie auf die Idee?«
»Ganz einfach«, antwortete Stone. »Ich kenne ihre militärischen Möglichkeiten. Zumindest den größten Teil. Sie haben keine Atomwaffen und keine Nuklearwaffen. Fragen Sie mich nicht, warum. Vielleicht hängt es mit ihrer eigenen Überempfindlichkeit radioaktiver Strahlung gegenüber zusammen.«
»Und womit haben Sie selbst dann Köln bombardiert?« fragte Charity.
Stone fuhr zusammen, als hätte sie ihm unversehens vor das Schienbein getreten. Aber er fing sich sofort wieder. »Beutestücke«, antwortete er. »Alte US- und Nato-Bestände. Dasselbe, womit sie uns im Moment bepflastern. Ein paar alte Cruise Missiles, von denen die Hälfte nicht mehr funktioniert.« Er machte eine wegwerfende Geste. »Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich habe drei Jahre lang überall auf der Erde nach genau diesen Dingen suchen lassen. Sehr viel haben wir nicht gefunden. Entweder waren sie gut versteckt, oder sie haben damals bei der Schlacht gegen die Moroni alles verbraucht.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen glauben«, murmelte Charity.
Stone machte ein beleidigtes Gesicht. »He!« sagte er. »Sie scheinen zu vergessen, daß ich ebenso mit beiden Füßen in der Zielscheibe stehe wie Sie; nicht einmal einen Meter neben Ihnen.« Er blinzelte ihr zu, und Charitys Blick wurde noch finsterer. »Ich hätte sehr wenig Grund, Sie zu belügen.«
Ein erzwungen aufmunterndes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Achtzig Prozent dieser Raketen waren auf Köln gerichtet. Sie versuchen verzweifelt, das Nest zu treffen. Glauben Sie mir - wenn Sie irgend etwas Wirkungsvolles hätten, hätten sie es bereits eingesetzt.«
Charity zögerte immer noch. Etwas in Stones Worten irritierte sie. Und es dauerte nur einen Moment bis sie wußte, was es war. »Sie selbst haben mir doch erzählt, daß sie niemals eine Jared-Kolonie vernichten würden.«
Stone nickte. »Solange sie irgendeine andere Wahl haben, nicht«, sagte er. »Aber die haben sie nicht mehr. Der Shait sitzt auf diesem Planeten fest, solange der Transmitter nicht arbeitet. Und es sieht nicht so aus, als würde er in absehbarer Zeit wieder funktionieren. Er hat nur noch die Wahl, mit allen Regeln zu brechen - oder unterzugehen.«
»Gouverneur Stone hat recht«, mischte sich eine andere Stimme ein.
Charity drehte sich herum und blickte ins Gesicht eines vielleicht dreißigjährigen, dunkelhaarigen Mannes, der bisher schweigend über eines der Computerterminals gebeugt dagestanden hatte. Er trug eine zerknitterte Bundeswehruniform und ein T-Shirt mit dem Aufdruck: Uncle Scrooge For President. »Diese Basis ist sicher. Wir können alles abwehren, womit sie uns angreifen. Schlimmstenfalls könnten wir sogar einen Volltreffer verkraften, solange er nicht im Megatonnen-Bereich liegt.« Er grinste schief. »Aber das möchte ich lieber nicht ausprobieren.« Charity sah den Mann mit neuer Aufmerksamkeit an. Etwas in seinem Blick irritierte sie. Und dann wußte sie es. »Sie sind kein Jared!« sagte sie überrascht.
Der Dunkelhaarige grinste noch breiter. »Ich? Fällt mir nicht ein.« Er grinste noch breiter. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle?« Er salutierte übertrieben zackig. »Sergeant John Harris, Royal Navy. Abkommandiert zur Nato-Sondereinheit Backfire vor ...« Er überlegte angestrengt einige Sekunden lang und zuckte dann mit den Schultern. »Na ja, vor ungefähr sechzig Jahren, schätze ich.« Ein nachdenklicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Was meinen Sie - ob ich eine Chance habe, den Sold für diese Zeit nachgezahlt zu bekommen?«
Charity mußte gegen ihren Willen lächeln. Aber nur eine Sekunde lang, dann wurde sie sofort wieder ernst. »Ich glaube nicht, daß wir uns kennen.«
Harris nickte heftig. »Sie haben mich auch erst vor zwei Tagen in die Mikrowelle geschoben, um mich wieder aufzutauen«, sagte er. »Aber ich habe in dieser Zeit eine Menge über Sie gehört, Captain Laird.« Er drehte sich zu Skudder herum. »Und über den Häuptling da auch.«
Ein Anflug von Ärger erschien auf Skudders Gesicht, aber dann registrierte er Harris' Grinsen, und plötzlich lächelte auch er.
»Vor zwei Tagen?« vergewisserte Charity sich. »Hier?«
Sie drehte sich zu Kias herum. »Ich dachte ...«
Kias beantwortete ihre Frage, bevor sie sie auch nur ganz ausgesprochen hatte. »Nicht alle wurden zu Jared«, sagte er. »Einige wenige befinden sich noch in den Schlafkammern. Harris war einer von ihnen.«
Charity war nicht sehr überzeugt. Sie hatte die verwüsteten Tiefschlafkammern gesehen. Und in diesem Moment erinnerte sie sich wieder an etwas, das sie beinahe vergessen hatte: an das Grauen in den Augen eines jungen Soldaten, der sein Gesicht an eine Glasscheibe preßte und sie verzweifelt um Hilfe anflehte.
Sie verscheuchte den Gedanken. »Gibt es noch mehr von ihnen?« fragte sie, an Stone gewandt.
»Hundertfünfzig ... zweihundert«, sagte Stone und zuckte mit den Schultern. »Die meisten sind verletzt oder krank. Keine Chance, sie wieder aufzuwecken. Außer Sergeant Harris ...« Wieder überlegte er einen Moment. »Vielleicht vierzig oder fünfzig.«
»Zusammen mit den verbliebenen Einheiten General Hartmanns können Sie eine Truppe von gut hundert Einheiten aufstellen«, sagte Kias. »Wir würden es begrüßen, wenn Sie das Kommando übernehmen würden, Captain Laird. Ich glaube nicht, daß sie einer Jared-Einheit zuverlässig folgen würden.«
Charity bedachte die Ameise mit einem eisigen Blick. »Ich wäre dir äußerst dankbar, wenn du menschliche Wesen nicht mit dem Wort Einheit bezeichnen würdest«, sagte sie kalt. »Und was das Kommando angeht - was sagt Hartmann dazu?«
Eine unbehagliche Stille begann sich für Sekunden auszubreiten. Selbst Gurk wich ihrem Blick aus, als sie auf ihn herabsah.
»Was ist mit Hartmann?« fragte Charity noch einmal. »Wo ist er, Stone?«
Stone sah weg, und Kias erklärte: »General Hartmann und seine Begleiter sind nicht von dem Kommandounternehmen gegen die Schwarze Festung zurückgekehrt.«
Ein lähmender Schrecken ergriff Charity. »Seine Begleiter?«
»Kyle und diese kleine Wildkatze«, sagte Stone. »Net heißt sie, glaube ich.«
»Nicht zurückgekehrt?« Charity rang mühsam um ihre Fassung. »Das heißt ... tot.«
»Nicht unbedingt«, erwiderte Kias. »Zumindest die Kyle-Ein ...« Er brach ab und korrigierte sich hastig: »Kyle ist noch am Leben. Da er das letzte Mal gemeinsam mit General Hartmann und der Wasteländerin gesehen wurde, ist anzunehmen, daß auch sie noch leben. Wir wüßten es, wenn Kyles körperliche Existenz beendet worden wäre.«
Selbst Stone wirkte überrascht. »Er lebt noch? Dann wißt ihr auch, wo er ist.«
»Ich fürchte, nein«, antwortete Kias nach einem spürbaren Zögern.
»Was soll das heißen?« fragte Charity.
Kias druckste eine Weile herum, dann sagte er: »Ich kann es nicht genau erklären. Er lebt, aber es gelingt uns nicht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Es ist, als ... verhindere es irgend etwas. Oder als wäre er sehr weit entfernt.«