»Und das sind Freunde von Ihnen?«, fragte Walker. Ich hatte vergessen, dass er da war.
»Manchmal«, sagte ich. »Es sind eher Kollegen. Leute, mit denen ich gelegentlich arbeite. Sie wissen ja, wie das ist.«
»Nur zu gut«, sagte Walker.
»Kennen Sie die Herrschaften?«, meinte ich. »Ich könnte sie vorstellen.«
»Nicht nötig«, sagte Walker. »Ich kenne sie alle dem Namen oder den Taten nach.« Er sah sie alle mit seinem ruhigen, kalten Blick an, und alle bewegten sich unbehaglich. »Kleine Gelegenheitsgangster mit geringer Begabung. Ihresgleichen tauchen immer wieder in der Nightside auf und sind darauf aus, sich einen Ruf zu machen. In der Regel halten sie sich nicht lange. Die meisten enden so oder ähnlich, in ihr Bier weinend, weil die großen Jungs so gemein sind.«
»Sie Arsch«, sagte die Seltsame Chloe. »Ich werde Ihnen schon zeigen, wer hier wenig Talent hat!«
»Halten Sie sich da raus, Walker«, sagte der Tanzende Narr und stieß mit einem Finger nach ihm. »Uns geht es um den Drood. Wenn Sie wissen, was gut für Sie ist, mischen Sie sich nicht ein.«
»Und wenn ich mich entschließe, mich doch einzumischen?« Walker lächelte knapp.
Die Seltsame Chloe schnaubte. »Sie haben Ihre Stimme nicht mehr. Das weiß doch jeder.«
»Und ohne die Stimme sind Sie nur ein weiterer Miesmacher in einem Anzug«, sagte der Tanzende Narr. »Also, halten Sie sich raus.«
»Wenn Sie das sagen, Nigel«, murmelte Walker.
»Leute, echt, tut das nicht«, sagte ich. »Zwingt mich nicht dazu. Ich habe schon drei Kollegen an Alexander King verloren, ich will nicht noch mehr verlieren.«
»Siehst du, wir waren nie Freunde«, sagte der Tanzende Narr. »Nur Kollegen.«
»Warum regen Sie sich dann so auf, dass Sie betrogen wurden?«, fragte Walker.
»Schnauze! Schnauze, Walker! Ich habe vor Ihnen keine Angst mehr!« Der Tanzende Narr war im Gesicht beängstigend rot geworden. »Ohne Ihre Stimme sind Sie nicht besser als wir.«
»Ich habe meine Stimme nicht«, sagte Walker. »Aber ich verfüge über andere Dinge.«
»Oh, bitte«, sagte die Seltsame Chloe verächtlich. »Ich könnte Sie mit geschlossenen Augen durch die nächste Wand starren.«
»Chloe«, sagte ich. »Das willst du doch gar nicht. Ich bin derjenige, der dich aus dieser schmierigen Ein-Zimmer-Wohnung geholt und dir Arbeit und Freunde gefunden hat.«
»Das hast du doch nicht für mich getan«, sagte sie. Ihre Stimme klang flach, kalt und gefühllos. »Das ist doch nichts als ein Haufen Scheiße. Alles. Wie ich immer gesagt habe. Warum hättest du anders sein sollen? Jeder lügt.«
»Da redet die Goth-Lady«, sagte ich. »Ich mochte dich als Punk lieber. Da hattest du mehr Energie. Und der pinkfarbene Iro stand dir.«
»Arsch«, sagte die Seltsame Chloe.
»Du warst ein Punk?«, fragte Sargnagel Jobe.
»Halt die Klappe, Jobe.«
»Wir haben alle unsere Geheimnisse«, sagte ich. »Komm drüber weg, Chloe. Das hier ist wichtiger als deine Gefühle.«
»Nichts ist wichtiger als meine Gefühle«, sagte die Seltsame Chloe.
Sie trat vor und starrte mich an. Ich konnte spüren, wie die Macht sich um sie aufbaute. Ich sprach hastig meine Worte und rüstete hoch. Sargnagel Jobe und der Tanzende Narr glotzten mich an, denn sie hatten noch nie gesehen, wie ein Drood hochrüstet. Nicht viele bleiben am Leben, um davon zu erzählen. Die Seltsame Chloe kümmerte sich nicht darum. Ihre Wut kochte und knisterte in der Luft zwischen uns, als sie einen weiteren Schritt vortrat. Ihr Blick traf mich wie eine Faust. Das war ihre Gabe, ihre Kraft und ihr Fluch: alles verschwinden zu lassen, was wagte, sie nicht zu lieben. Chloes Blick prasselte auf meine Rüstung ein. Furchtbare Energien füllten den Raum zwischen uns, als sie sich konzentrierte und die unnachgiebige Kraft ihrer Wut versuchte, einen Halt, irgendeinen Einfluss auf die undurchdringliche Sicherheit meiner Rüstung aus seltsamer Materie zu bekommen. Ich trat einen Schritt auf sie zu und ihr Gesicht wurde in seiner konzentrierten Wut beinahe unmenschlich. Die Dinge um uns herum begannen zu verschwinden, von den überquellenden Energien von Chloes Blick aus der Realität geschoben. Objekte, Trophäen und Möbelstücke verschwanden einfach, eines nach dem anderen, Luft rauschte in die Lücken, die sie hinterließen. Dicker, tiefer Teppich wurde fadenscheinig und war fort. Die Stelle zwischen uns, an der die Dielen darunter erschienen, wurde immer größer. Die Seltsame Chloe starrte mich an, ihr Gesicht verzerrte sich so, dass es ihr wehtun musste, aber alles, was ich ihr umgekehrt zu zeigen hatte, war meine gesichtslose, goldene Maske. Ich stand beinahe dicht genug vor ihr, um die Hand auszustrecken und sie zu berühren, als ihre Kraft sich an meiner Rüstung endgültig brach und sich gegen sie wandte. Die volle Macht ihres Blicks wurde von meiner unnachgiebigen Rüstung reflektiert und die Seltsame Chloe schrie lautlos auf, als sie verblasste und verschwand.
Ich rüstete ab.
»Tut mir leid, Chloe«, sagte ich zu der leeren Luft an der Stelle, an der sie gestanden hatte. »Ich hoffe, du bist glücklich da, wo auch immer du bist.«
»Du hast sie umgebracht!«, sagte der Tanzende Narr.
»Ihre eigene Kraft hat sich gegen sie gewandt«, sagte ich. »Und wag bloß nicht, so empört zu tun, Nigel! Du weißt verdammt gut, dass du sie nie hast leiden können. Nicht wirklich. Wag bloß nicht, so zu tun, als wärst du ihr Freund gewesen. Du hast sie nur in deiner Nähe geduldet, weil du glaubtest, sie könnte dir nützlich sein; eine große Kanone, mit der du den Leuten drohen konntest, wenn sie sich von deinen Kampfkünsten nicht haben beeindrucken lassen. Sie war immer eher meine Freundin als deine.«
»Du warst nie ihr Freund«, sagte der Tanzende Narr.
»Manchmal … hat man eben einfach keine Zeit dafür«, sagte ich.
Der Tanzende Narr lachte kurz. In dem Geräusch lag keine Freude. »Du hast mir einen meiner Kollegen genommen. Scheint nur fair, dass ich dir einen von deinen nehme. Ich hab Sie sowieso nie gemocht, Walker.«
Sein langer, schlanker Körper ging abrupt in eine Kampfkunst-Pose, als er sich gegen Walker wandte. Offenbar wollte er ihn überraschen, aber Walker wartete schon mit einer Pistole in der Hand auf ihn. Er lächelte kurz und schoss dem Tanzenden Narr ins Knie. Die Kugel zerschmetterte die Kniescheibe. Der Tanzende Narr gab einen schockierten, überraschten Ton von sich, als der Einschlag das Bein unter ihm wegriss und er auf den Boden fiel. Tränen strömten über sein Gesicht, als er sein blutiges Knie mit beiden Händen umklammerte, als glaube er, er könne es mit schierer Kraft zusammenhalten. Sein Atem kam kurz und schnell, als der Schmerz ihn in Wellen traf, eine schlimmer als die andere.
»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte er Walker und presste die Worte heraus. »Ich bin schnell. Und ich kann Kugeln aus dem Weg gehen. Ich weiß immer, was kommt! Wie konnten Sie das tun?«
»Weil Sie noch nie jemanden wie mich getroffen haben«, sagte Walker gelassen.
Ich ging hinüber zu ihm, um dem verkrüppelten Tanzenden Narren etwas Raum zu lassen. »War das nötig, Walker?«
»Ich denke schon, ja«, antwortete er. »Wir haben nicht alle eine Rüstung, die uns beschützt.«
»Tut mir leid, Nigel«, sagte ich zum Tanzenden Narren.
»Schieb's dir sonst wohin«, sagte er. Beide Hände waren nun blutverschmiert und sein kaputtes Bein zitterte im Schock und von dem Schaden, den die Nerven davongetragen hatten. »Ich werde euch dafür kriegen, euch beide! Ich werde nicht aufgeben, niemals. Was von eurem Leben noch übrig ist, werdet ihr damit verbringen, immer über eure Schulter zu sehen, in der Erwartung, mich zu sehen. Und eines Tages werde ich da sein. Ich werde euch beide umbringen dafür!«