»Nein, das werden Sie nicht«, sagte Walker und zerschoss dem Tanzenden Narren die zweite Kniescheibe.
Er stieß nur noch einen kurzen Schrei aus, dann verlor der Tanzende Narr vor Schmerz, Schock und Schreck das Bewusstsein. Ich sah ihn an und dann Walker.
»Es war eine Gnade, wirklich«, sagte Walker und steckte die Waffe weg. »Rache ist so eine Lebenszeitverschwendung. Außerdem ist es nie weise, einem Feind die Möglichkeit zu geben, einen zu verfolgen.«
»So wird es wohl sein«, sagte ich. »Wenigstens werden sie ihn jetzt nicht mehr den Tanzenden Narren nennen.«
Wir beide sahen nach Sargnagel Jobe. Er lag tot auf dem Boden. Ich winkte Walker, um mir zu helfen, ihn aufzuheben und in einen Stuhl zu setzen, damit er es wenigstens bequem hatte, wenn er wieder ins Leben zurückkehrte. Ich ließ Nigel, wo er war. Ich wollte nicht riskieren, ihn zu wecken.
»Nun«, sagte Walker. »Das war ja alles eine nette Ablenkung, aber es hat uns nicht näher an Alexander und Peter herangebracht. Ich glaube sogar, dass wir nach alldem annehmen müssen, dass sie uns von dem Moment an beobachtet haben, in dem wir hier auftauchten und sich deshalb möglicherweise auf dem Weg zum nächsten Ausgang befinden oder sich gerade in einem geheimen Betonbunker einschließen.«
»Nein«, sagte ich. »Die hauen nicht ab. Nicht, wo noch so viel zwischen uns zu klären ist. Sie wissen, dass sie nicht gewonnen haben, bis ich geschlagen bin. Und zwar auf faire Weise geschlagen, um meine Familie davon abzuhalten, ihnen nachzustellen. Denn die andere Seite von ›Einer für die ganze Familie‹ ist ›Die ganze Familie für einen‹. Und die beste Chance der Kings zu gewinnen besteht darin, es hier auf ihrem eigenen Territorium auszutragen, wo sie über alle Vorteile verfügen.«
»Würden Sie immer noch mit sich handeln lassen?«, fragte Walker. »Finger weg, sichere Passage nach draußen, wenn Sie dafür die Geheimnisse des Autonomen Agenten opfern müssten?«
»Nein«, sagte ich. »Aber die denken, dass sie mich davon überzeugen können, genau das zu tun. So denken die.« Ich hob meine Stimme. »Ich weiß, Sie können mich hören, Alexander! Reden Sie mit mir! Sagen Sie mir, wo Sie sind, damit wir das von Mann zu Mann ausmachen können! Sie wissen selbst, dass Sie das wollen!«
Auf einmal erschien ein Abbild Alexander Kings, der bequem auf seinem großen, hölzernen Thron saß, vor uns in der Luft. Er sah genauso aus wie damals: ein gealterter Exzentriker in extravaganter Kleidung. Aber sein Lächeln war jetzt kalt und berechnend. Sein Gesicht wirkte dadurch um Jahre
gealtert.
»Kommt einfach geradeaus«, sagte er. »Ich warte.«
Das Bild war fort. Ich sah zu Walker und beugte mich dann vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. »Bestehen Sie nicht auf dem Protokoll. Wenn Sie die Chance haben, töten Sie ihn.« »Mit Freuden«, murmelte Walker.
Wir gingen weiter durch das Monument, das der Autonome Agent zum Ruhme des eigenen Genies geschaffen hatte, und kamen durch einen Raum nach dem anderen, alle voller Trophäen und Erinnerungen; ein Museum, das er dem Gedenken des eigenen Lebens errichtet hatte.
Endlose Bilder einer langjährigen und regen Karriere, aus allen Zeiten und Epochen, die einen jungen Alexander King zeigten, der beständig älter wurde. Aber nicht über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus. Es gab keine Fotos, die einen Mann zeigten, der seine mittleren Jahre überschritten hatte, oder gar einen alten Mann, der ins Rentenalter humpelte. Nur Porträts des legendären Autonomen Agenten mit berühmten Gesichtern aus Politik und Religion, mit Filmstars und anderen Berühmtheiten und selbst ein paar Göttern und Monstern. (Obwohl Letztere kaum fotogen waren.) Alexander King war zu seiner Zeit wirklich herumgekommen.
Ich hielt vor einem Foto an, das hübsch gerahmt war, aber dennoch nur eines unter vielen. Ein junger und hübscher Alexander stand da und hatte seinen Arm um eine sehr junge Martha Drood gelegt. Ein einfacher Schnappschuss eines warmen Moments im Kalten Krieg. Martha, als sie noch nichts weiter gewesen war als eine junge Agentin. Sie war nicht einmal so alt wie ich und wunderschön, genau wie alle sagten.
Ein anderes Foto zeigte einen mittelalten, aber immer noch eleganten Alexander, der neben einem jungen Walker stand, der in etwas gekleidet war, was ganz nach seinem allerersten guten Anzug aussah. Ich sah zu Walker hinüber und er zuckte leicht mit den Achseln.
»Wenn man Arbeit hat, die getan werden muss, dann holt man sich den besten Mann für den Job. Und für lange Zeit war das Alexander King.«
»Haben Sie das bemerkt?«, fragte ich und wies mit einem Wink auf die ganzen Fotos an der Wand. »All diese Bilder von dem Mann selbst, seiner Welt und all den Leuten, die er kannte. Aber keines seiner Familie. Nicht Alexander mit seiner Ehefrau, wer auch immer sie war, oder seiner Tochter. Oder Peter. Welcher Mann hat keine Familienfotos?«
»Ein Mann, der für seine Arbeit lebt«, sagte Walker. »Man wird nicht zum größten Agenten aller Zeiten, indem man sich … Ablenkungen erlaubt.«
Kurz danach kamen wir durch einen Raum voller Hinweise auf Alexander Kings skrupellose Seite. Ausgestopfte Ausstellungsstücke von Männern und Frauen seiner Vergangenheit waren hier aufgetürmt: Feinde, die er überwunden und als Trophäen behalten hatte. Zuerst dachte ich, es seien Wachsarbeiten, aber aus der Nähe konnte ich die behandelte Haut und die Konservierungsstoffe riechen. Ich tippte mit dem Finger an ein Auge, und es stellte sich als Glas heraus. Die Ausstellungsstücke waren in die Mode ihrer Zeit gekleidet, von den 1920ern aufwärts. Die Gesichter waren straff, emotionslos. Für immer dazu verdammt, in beiläufigen Posen in diesem Zimmer zu stehen, als nähmen sie an einer höllischen Cocktailparty teil, die niemals endete.
Ein Museum des Mordes.
»Alte Feinde«, murmelte Walker und schlenderte gelassen durch die sorgfältig arrangierten Figuren und betrachtete gelegentlich eines der Gesichter näher. »Und vielleicht ein paar wenige Freunde und Verbündete, die sich zu weit vorgewagt haben. Welchen besseren Weg gibt es, den eigenen Sieg zu feiern, wenn man es der Welt schon nicht sagen kann, als zwischen den besiegten Feinden zu wandeln und sich in Schadenfreude zu ergehen, wie es einem gefällt? Ich frage mich, ob er mit ihnen spricht. Wahrscheinlich. Wahrscheinlich sind es sogar die einzigen Leute, mit denen er heutzutage sprechen kann.«
»Ist hier jemand, den Sie erkennen?« Dieser Ort war mir sehr unheimlich, aber lieber wollte ich verdammt sein, als Walker das zu zeigen.
»Keinen, den ich persönlich kannte«, sagte er. »Ich habe immer nur an den Rändern der geheimdienstlichen Branche gearbeitet. Wie steht's mit Ihnen?«
»Heiliger Jesus!«, sagte ich plötzlich und stürzte nach vorn. »Der da ist ein Drood! Und er trägt immer noch seinen Torques!« Ich wollte die Hand nach dem Torques ausstrecken, aber Walker griff im letzten Moment nach meinem Arm und riss mich zurück.
»Nein, Eddie. Ganz schlechte Idee. Sprengfallen, erinnern Sie sich?«
Ich hielt schwer atmend inne und nickte Walker dann kurz zu, um ihm zu zeigen, dass ich mich wieder unter Kontrolle hatte. Er ließ mich los.
»Später«, sagte ich. »Ich werde mir das später ansehen.«
»Ja«, sagte Walker. »Wir haben später noch für alles Mögliche Zeit.«
Schließlich gingen uns die Räume aus. Wir stießen eine letzte übergroße Tür auf, und vor uns lag das Zimmer, das ich im Hintergrund von Alexanders Projektion gesehen hatte. Ein nackter Raum mit nackten Wänden, nichts darin als ein großer hölzerner Thron, der mit dem Rücken zu uns stand. Ich blieb in der Tür stehen und sah mich gründlich um, aber da war niemand sonst. Walker formte mit den Lippen das Wort Peter in meine Richtung. Ich zuckte mit den Schultern. Wir schritten in den Raum hinein und die Tür schloss sich langsam, aber fest hinter uns. Der Thron begann sich langsam, von einem unsichtbaren Mechanismus angetrieben, zu uns zu drehen und da, auf dem Thron des Autonomen Agenten, saß Peter King. Er lächelte mich sorglos an und nickte Walker zu.