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Wir alle sahen ihn an, wie er dastand: aufrecht, stolz, mit der fertigen Angel samt Leine. Selbst seine elisabethanische Tracht wirkte nicht mehr ganz so lächerlich. Vielleicht war ich der Einzige, der sah, wie wichtig es jetzt war, dass man ihn ernst nahm.

»Was schwebt dir vor?«, fragte ich.

»Ein Brunftschrei«, sagte der Blaue Elf und lächelte uns alle an. Es gefiel ihm, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. »Ich habe einmal einen aus den Tiefen der Dimensionen geholt. Ganz durch Zufall, wie ich zugeben muss. Eine Art … Sirene. Eine Verführerin, eine Versucherin, deren Stimme kein Sterblicher hoffen konnte zu widerstehen. Glücklicherweise war ausgerechnet dieser Sirenenruf nur darauf ausgerichtet, heterosexuell zu wirken, also blieb ich relativ unberührt und war in der Lage, das verdammte Ding zurückzuwerfen.«

»Können Sie sie wiederfinden?«, fragte Walker.

»Nun, selbstverständlich«, antwortete Blue. »Oder ich hätte gar nichts gesagt. Ich werde es finden, anbeißen lassen und einholen. Dann können wir seinen Ruf benutzen, um Nessie direkt zu uns zu bringen.«

»Einen Moment mal«, meinte Walker. »Sie schlagen also ernsthaft vor, wir sollen ein anderes Monster beschwören und dann in den See werfen? Ist die Situation nicht schon schwierig genug, so wie sie ist? Mal ganz abgesehen von dem Problem, das wir unserer Nachwelt hinterlassen. Was, wenn die Sirene Geschmack an den Einheimischen findet? Sie könnten in diesem See enden wie Lemminge.«

»Ich habe niemals vorgeschlagen, die Sirene hier zu lassen«, sagte der Blaue Elf mit ruhiger, geduldiger und absolut enervierend verständnisvoller Stimme. »Ich glaube, es ist in der Tat sehr gefährlich, wenn wir das Ding auch nur einen Moment länger hier lassen, als wir unbedingt müssen. Was ich im Sinn habe, ist viel einfacher. An der Grenze zur Eleganz, geradezu. Ich bringe die Sirene her, wir zeichnen ihren Ruf mit diesem wundervollen Kommunikationssystem dort drüben auf, und dann werfe ich sie zurück. Wir senden die Aufzeichnung des Rufs direkt ins Seewasser. Narrensicher. Außer natürlich, wenn Nessie auch schwul ist.«

»Lasst uns das auf gar keinen Fall vertiefen«, unterbrach ich schnell. »Das mit der Aufzeichnung klingt gut für mich. Wie steht's mit den anderen? Gut; Blue, leg los. Fang uns eine Sirene.«

Natürlich machte der Blaue Elf einen riesigen Aufriss darum, genau den richtigen Punkt am Seeufer zu finden, an dem er angeln konnte. Er ließ uns durch den Matsch und das stachlige Gras auf und ab laufen, sein Gesicht eine starre Maske der Konzentration. Den Eindruck verdarb er damit, dass er ab und an in unsere Richtung linste, wie wir das aufnahmen. Endlich installierte er sich an einem bestimmten Punkt, der genau wie alle anderen aussah und machte eine großzügige Geste mit der linken Hand. Ein leuchtender, goldener Teich von etwa zwei Meter Durchmesser erschien vor ihm, flach und formlos. Er bedeckte die Oberfläche weniger, als dass er sie ersetzte. Der Teich war ein Portal überallhin, in alle Dimensionen, die es jemals gegeben hatte oder jemals geben würde. Es tat weh, ihn auch nur für einen Moment direkt anzusehen.

Blues Zeit bei den Elben hatte ihm deutlich geholfen. Ich erinnerte mich daran, dass er früher sein eigenes Blut hatte opfern müssen, um den goldenen Teich beschwören zu können. Und dieser Teich sah um einiges größer aus, als ich mich erinnerte. Ein Loch, das mit reiner Willenskraft in die Wände der Realität gestanzt worden war. Nur der Blaue Elf war geübt und verrückt genug, es zu rufen, um darin zu angeln.

Er ging wie ein Profi mit seinen Haken und seiner Winde um, und Leine und Haken verschwanden im goldenen Teich, ohne die leuchtende Oberfläche aufzurühren. Blue stand still, offenbar ruhig und entspannt. Wir alle standen da und beobachteten ihn. Es ist immer faszinierend, jemandem zuzusehen, der sein Handwerk versteht. Das Surren der Leine, die sich von der Winde abrollte, war beinahe hypnotisch. Die Leine tauchte weiter und weiter in Tiefen, in denen wir eigentlich nichts zu suchen hatten. Aber dazu hat man ja Elben. Und dann biss etwas an, die Leine wurde straff und riss durch den goldenen Teich hin und her. Der Blaue Elf zog scharf die Luft durch die zusammengebissenen Zähne, als er mit der Winde arbeitete. Stetig verstärkte er den Zug an der Leine. Langsam, aber regelmäßig holte er seinen Fang ein.

Ich erwischte mich dabei, den Atem anzuhalten. Blue fing nicht immer beim ersten Mal, was er wollte, und es war bekannt, dass er schon alle möglichen widerlichen Dinge aus den Tiefen gezogen hatte. Was auch immer Blue da gefangen hatte, es schien sich nicht gegen ihn zu wehren.

Ich sah mich schnell um. Wir standen alle viel zu nah am Teich, und keiner von uns hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Ich hatte meinen Torques, der mich beschützen konnte, aber Gott allein wusste, womit sich die anderen gegen den Ruf der Sirene zu schützen gedachten. Ich wollte gerade etwas sagen, als der goldene Teich explodierte. Die Sirene bahnte sich einen Weg in unsere Realität.

Sie wurde größer, groß wie ein Turm und viel zu groß für den Teich, durch den sie in unserer Realität hatte Fuß fassen können. Sie war groß und herrlich, völlig unirdisch und breitete sich in jede Richtung gleichzeitig aus. Enorm und wundervoll, zu schön, um wirklich zu existieren, mit dunkelgelbem Fleisch, in dem immer wieder Regenbogen zu explodieren schienen. Sie sang, und ich war verloren. Ein herrlicher, wunderbarer, kaum zu ertragender Gesang. Ich fiel auf die Knie, wie die anderen. Wer kennt schon die Lieder, die die Sirenen singen? Wer kennt die Lieder, die für den edlen Odysseus gesungen worden waren? Wir wussten es jetzt, und ich werde diese Melodie für immer in meinen Albträumen hören.

Weil ich angesichts dieses Gesangs ein Nichts war. Nichts, was eine Bedeutung hatte.

Die Sirene rief und wir alle rutschten auf unseren Knien vorwärts und starrten dieses lebendige, aus Fleisch und Blut bestehende Wesen, das über uns aufragte, anbetend an. Selbst der Blaue Elf hatte seine Angel fallen und sich von dem Gesang fangen lassen, der einem an die Seele ging. Ich konnte meine Umgebung kaum sehen oder das raue Gras, das meine Knie aufriss. Die Sirene wollte uns, aber für nichts Gutes. Der Tod wäre noch das Freundlichste, was uns passieren würde, wenn die Sirene uns einmal an ihren unversöhnlichen Busen gedrückt hatte. Ich wusste das, doch es kümmerte mich nicht. Ich wollte sie für immer anbeten, mit meinem ganzen Körper, bis ich daran starb.

Nur … da war eine andere Stimme in meinem Kopf und in meinem Herzen; ich hatte noch ein anderes Gesicht vor Augen. Meine Molly, meine süße Molly Metcalf, die mir schon vor langer Zeit ihr Zeichen aufgedrückt hatte. Sobald ich an sie dachte, konnte ich den eiskalten Torques um meinen Hals fühlen, der versuchte, mich zu warnen - und diese beiden Gedanken gemeinsam gaben mir die Kraft, die ich brauchte, um anzuhalten. Ich wandte langsam meinen Kopf und blickte fort von der schrecklichen, wundervollen Gestalt vor mir. Sie war alles, was ich immer hatte haben wollen. Es wartete direkt hier vor mir, und ich kämpfte mit jedem Quäntchen meiner Kraft und meines Willens, den ich hatte, dagegen an. Schließlich hatte ich meinen Kopf abgewandt. Mein ganzer Körper zitterte und bebte vor Anstrengung und ich sah ein anderes Gesicht, das zu mir hinsah.

Der Blaue Elf hatte ebenfalls aufgehört, sich auf die Sirene zuzubewegen und sein Gesicht von ihr abgewandt. Vielleicht aufgrund seiner Natur, vielleicht weil er ebenfalls einen goldenen Torques trug, vielleicht weil er ein halber Elb war. Oder vielleicht war er auch einfach nur stur, so wie ich.

Wir sahen einander an, und langsam wandte ich meinen Blick auf die Angel, die - fallen gelassen - vor dem Blauen Elfen lag. Er sah ebenfalls dorthin, und mit letzter Kraft griff er danach und warf sie in den goldenen Teich.