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»Wir sollten diese Stadt bis auf die Grundmauern niederbrennen«, meinte Walker. »Und den Boden mit Salz bestreuen.«

»Spielt das Band ab«, sagte Peter. »Je eher wir hier rauskommen, desto besser.«

Wir standen vor dem großen Bildschirm, Schulter an Schulter, um uns gegenseitig zu trösten und zu unterstützen. Eine ganze Weile gab es nur Schnee zu sehen, als hätte jemand den Versuch unternommen, das Band zu löschen: Als das Bild klar wurde, zeigte es einen Mann, der in dem Stuhl saß. Er war nackt, die Ledergurte schnitten tief in sein Fleisch. Er saß sehr aufrecht und war nicht in der Lage, einen Muskel zu bewegen. Er sah müde aus, missbraucht und ernsthaft unterernährt, aber es war sonst nichts weiter ungewöhnlich an seiner Erscheinung. Außer dem, was sie mit seinem Kopf gemacht hatten.

Zwei Forscher, ein Mann mittleren Alters und eine etwas jüngere Frau, beobachteten den Mann im Stuhl aus sicherer Entfernung. Sie sahen ebenfalls müde aus, und aus der Art, wie sie dem Spiegel immer wieder Seitenblicke zuwarfen, konnte ich erkennen, wie sehr sie unter dem Druck standen, Resultate zu liefern. Die Frau hatte ein Klemmbrett und einen Stift in der Hand. Sie trug eine hässliche Hornbrille. Der Mann paffte hastig eine Zigarette und diktierte der Frau irgendetwas. Er sah den Mann im Stuhl nicht einmal an. Er musste einen Job erledigen, und beide machten voran. Der Mann im Stuhl war für sie nicht wichtig, außer als Subjekt ihres derzeitigen Experiments.

Ich fragte mich, wer der Mann im Stuhl war, was er getan hatte und wie sein Leben verlaufen war, bevor man ihn hierher gebracht und seinen Namen gegen die Nummer eines Experiments ausgetauscht hatte. Ich fragte mich, ob ihm diese Nummer auf den Unterarm tätowiert worden war.

Der Kopf des Mannes war rasiert, blasse Narben von kürzlich erfolgten Operationen waren darauf zu sehen. Man hatte in regelmäßigen Abständen Löcher in seinen Schädel gebohrt, damit man elektrische Kabel direkt in sein Gehirn einführen konnte. Dunkles, erst kürzlich geronnenes Blut war um die Löcher herum zu erkennen. Die Kabel, sorgfältig nach Farben sortiert, führten zu einer Reihe von Maschinen am anderen Ende des Raums. Ich erkannte keine von ihnen.

Ohne zu wissen, warum oder wie, begann ich auf einmal zu verstehen, was passierte. Ich schien es einfach zu wissen. Die Forscher schwitzten nervös unter dem intensiven Druck, Resultate zu produzieren und all das Geld zu rechtfertigen, das man bisher investiert hatte. Praktische Resultate, die die Militäraufseher der Partei präsentieren konnten, um weitere finanzielle Mittel zu bekommen und die eigene kostbare Haut zu schützen. Also hatte man … Abkürzungen genommen.

Die Wissenschaftler in X25 hatten die Rätsel der menschlichen DNA nun elf Jahre lang erforscht und hatten nichts Nützliches vorzuweisen. Nur eine Riesenmenge Sackgassen und beinahe genauso viele tote Versuchssubjekte. Nicht, dass das etwas ausmachte, man konnte immer wieder Nachschub bekommen. Dennoch verzweifelte man langsam. Dieses besondere Experiment setzte genetisches Material bestimmten radioaktiven Elementen aus und pflanzte das neue Material direkt in das Gehirn der Testperson ein. So weit, so gut. Die Testperson hatte die Operation überstanden. Jetzt stimulierten die Wissenschaftler bestimmte Areale des Gehirns, um zu sehen, ob etwas passierte.

Die beiden Forscher, der Mann und die Frau, sprachen nervös miteinander, einiges klar dem Abhören geschuldet, und manchmal sprachen sie miteinander über die Monitore und Displays hinweg und diskutierten dabei die Ergebnisse. Ich schien zu verstehen, was sie sagten, obwohl ich nur ein paar Brocken Russisch sprach.

(Was ging hier vor? Wo kam all die Information her? Hatte sich die Vergangenheit in diesem Gemäuer so festgesetzt, dass es ausreichte, allein dieses Band abzuspielen, um alles wieder aufzuwühlen, in allen Details? Wachte das Labor auf?)

Der Forscher sprach von den Teilen der menschlichen DNA, die sich bisher einer Erklärung widersetzt hatten. Ganze Bereiche, deren Zweck und Funktion ein Rätsel geblieben war. Beide Forscher waren überzeugt davon, dass in der menschlichen DNA besondere Fähigkeiten verborgen lägen, die nur darauf warteten, dass man sie an die Oberfläche holte. Alte Fähigkeiten, die der zivilisierte Mensch schon längst vergessen hatte. Sein Name war Sergei. Er sprach von alter DNA, altem genetischem Material, das noch aus der Zeit stammte, in der der Mensch noch gar keiner war. Er sprach über die frühesten Zivilisationen, in denen die Menschen direkt mit den Göttern gesprochen hätten. Sie sahen das als etwas Gewöhnliches, Alltägliches an: ziemlich allgemein und kein bisschen bemerkenswert. Götter und Teufel, Monster und Engel wandelten offen unter den Menschen, ihre Gespräche hatte man detailliert in den ältesten Schriftstücken aufgezeichnet. Götter, die mit den Menschen redeten und sich unter sie mischten. Nichts Besonderes, so war es damals eben einfach gewesen. Wenn man den Schriftstücken glauben konnte, warf die Wissenschaftlerin ein, deren Name Ludmilla war. Wenn diese Aufzeichnungen akkurat waren, meinte Sergei, so akkurat wie alles sonst, was darin stand, zu wem hätten diese frühen Menschen denn sprechen sollen? Offenbar nicht zu Göttern; beide Forscher waren gute Parteimitglieder und glaubten nicht an so etwas. Aber … etwas Mächtiges war es sicher gewesen. Konnte es sein, dass diese Götter und Teufel immer noch unter uns waren, aber wir die Fähigkeit verloren hatten, sie zu sehen?

Ich dachte darüber nach. Sie sprachen über das Gesicht, die Fähigkeit von speziell ausgebildeten Leuten, die Welt im Ganzen zu sehnen und nicht nur den begrenzten Teil, in dem die meisten Leute leben. (Also wirklich, wenn die meisten Leute wüssten, mit wem oder was sie die Welt so alles teilen, dann würden sie sich in die Hosen machen.) Aber obwohl das Gesicht mir viele seltsame, wundervolle und auch gefährliche Dinge gezeigt hatte, hatte es mir nicht einmal einen Gott gezeigt.

Als ich das den anderen sagte, nickte Walker langsam.

»Es gibt ein paar Typen, die sehr gottähnlich sind, auf der Nightside. Sie haben eine ganze Straße nur für sich, damit sie für die Touristen angeben können. Aber so wahr ich hier stehe, ich bin völlig sicher, dass die meisten von ihnen einfach nur supernatürliche Kreaturen mit Größenwahn sind und den Atem nicht wert, den es bräuchte, sie zu verfluchen. Möchtegern-Götter und die, die vorgeben, es zu sein, gehören zu der ältesten Art von Betrügern, die die Menschheit hat aushalten müssen.«

»Ich habe mal mit dem Zauberer und Zeichner von Northhampton gesprochen«, meinte Peter schüchtern. »Er sagte, Götter und Dämonen sind nur künstliche Konstrukte der Tiefen des menschlichen Geistes. Wir kreieren diese Unterpersönlichkeiten, damit das Bewusstsein leichter mit dem Unterbewussten kommunizieren kann. Oder vielleicht … damit ein Individuum leichter Kontakt mit dem menschlichen Massenbewussten aufnehmen kann, dem, was Jung das kollektive Unbewusste genannt hat. Der Zauberer sagte, dass Götter und Dämonen einfach nur zwei Seiten der gleichen überlichtschnellen Münze sind.«

»Jaja, schon gut. Was zwanzig Jahre Comics zeichnen so alles mit einem anstellt …«, knurrte Walker.

»Ich kriege hier eine ganze Menge Informationen aus dem Labor«, sagte Honey plötzlich. »Ich weiß auf einmal Dinge, von denen ich gar nicht gewusst habe, dass ich sie weiß. Es ist, als erinnere ich mich plötzlich wieder an ein Buch, das ich vor langer Zeit gelesen habe, von dem ich aber weiß, dass ich es in Wirklichkeit nie angefasst habe. Mein Kopf tut weh.«

»Das sind die psychischen Abdrücke«, sagte ich. »Was hier passiert ist, war so machtvoll, so traumatisch, dass es buchstäblich in die Wände gesickert ist. Genius Loci und so. Eine steinerne Aufzeichnung. Und jetzt reicht aus, dass wir hier sind, um diese Aufzeichnung wieder abzuspielen. Ich weiß auch Dinge. Der Mann im Stuhl ist geisteskrank. Sein Name ist Grigor, und er hört Stimmen in seinem Kopf. Er ist beinahe sicher schizophren, auch wenn sich keiner die Mühe gemacht hat, das korrekt zu diagnostizieren. Offenbar haben Sergei und Ludmilla da drüben geglaubt, dass bei Leuten, die Stimmen hören und mit Leuten reden, die nicht da sind, zufällig alte DNA reaktiviert wurde. Also haben sie hauptsächlich mit Geisteskranken experimentiert, um diese Teile der menschlichen DNA zu lokalisieren und zu kontrollieren. Nur für den Fall, dass sie Götter und Teufel sehen.«