»Du kommst schon rum, was?«, fragte Honey. »Also sind die Elben dir verpflichtet? Sie schulden dir was für deine Hilfe?«
»Nicht unbedingt«, sagte ich. »Es ist komplizierter als das. Mit Elben ist es das immer.«
»Das ist es immer mit Ihnen«, warf Walker ein, der plötzlich an meiner anderen Seite erschienen war. »Warum haben Sie all die Elben getötet, Eddie?«
»Weil sie versuchten, mich zu töten«, sagte ich. »Der Kampf war ehrlich genug, keiner hat mehr geschummelt als üblich. Aber trotzdem, es gibt hier viele, die mich liebend gern langsam und schrecklich sterben sehen würden. Nur können sie mich nicht töten, weil sie dann nie in der Lage wären, mir den Gefallen, den sie mir schulden, zurückzuzahlen.«
»Aber wenn sie doch schon einmal versucht haben, dich zu töten …«, fing Honey an.
»Da war ich vogelfrei«, sagte ich. »Ausgestoßen von meiner eigenen Familie. Da war's fair. Jetzt, wo ich wieder ein Drood bin und mich mit meiner Familie gut vertrage, können sie mich nicht anrühren. Elbenehre ist … kompliziert. Vergesst nicht: Wenn wir erst einmal am Feenhof sind, esst oder trinkt nichts von dem, was sie euch anbieten, sprecht nicht, bis ihr direkt angesprochen werdet, und fangt nichts an. Überlasst das mir. Und vor allem versucht nicht, Sex mit ihnen zu haben, oder ihr werdet eure Genitalien in einem Säckchen nach Hause tragen.«
»War der letzte Hinweis nötig?«, fragte Walker.
»Sie wären überrascht«, sagte ich. »Also, Leute, seht cool, intelligent und sehr selbstüberzeugt aus. Wir sind hier.«
Wir waren endlich bei Caer Dhu angekommen, dem letzten großen Elbenschloss, das in seiner ganzen Pracht vor langer, langer Zeit aus unserer Welt hierher gebracht worden war. Caer Dhu, Heimat des Unseligen Hofes und der Herrscher der Elben und Feen. Einmal und für lange, lange Zeit waren das König Oberon und Königin Titania gewesen, aber wenn Königin Mab wirklich wieder zurück war … Dann hatte die zurückgekehrte Königin möglicherweise eigene Ideen, was die alten Abkommen anging, die die Droods und die Elben geschlossen hatten.
Von außen sah Caer Dhu wie eine große goldene Krone aus. Eine massive, hochgezogene Kuppel, von hunderten goldener Dornen umgeben, die weit in den Himmel ragten. Und auf diesen Dornen waren hunderte von Elben aufgespießt und gepfählt. Sie lebten noch, litten immer noch, während ihr goldenes Blut endlos dampfend die langen Dornen herabfloss. Es sammelte sich in Rinnen und plätscherte aus dem Mund der schreienden Wasserspeier. Elben sind sehr schwer zu töten, aber das ist nicht immer etwas Gutes. Über dem Eingang hielten ein Dutzend Dornen abgetrennte Elbenköpfe. Die Gesichter waren sich ihrer immer noch bewusst und lebendig, ihre Lippen bewegten sich, als sie unsere Ankunft sahen, als ob sie uns zu warnen oder zu verfluchen versuchten.
Es war wie im Bürgerkrieg. Es gab immer gefallene Helden und Führer der Verliererseite, die öffentlich bestraft werden mussten, um ein Exempel für die anderen zu statuieren. Und die Elben wissen alles, was es über Bestrafung zu wissen gibt.
Ich hielt meinen Kopf hoch und spazierte direkt hinein in den Unseligen Hof, als ob ich jedes Recht dazu hatte, dort zu sein, einschließlich einer geprägten Einladung, die freie Drinks versprach. Honey und Walker und sogar Peter guckten sich ihr Verhalten bei mir ab und schlenderten neben mir her, die Nasen in der Luft. Im Inneren von Caer Dhu war es dunkel. Der einzige dunkle Ort in den Elbenlanden. Der Feenhof war groß und leer und in der Düsternis kaum zu sehen. Ein einzelner Strahl hellen Lichts fiel von der Decke herein wie ein Scheinwerfer und beleuchtete zwei Elfenbeinthrone, die auf einem erhöhten Podest im Hintergrund der Halle standen. Eine dunkle Gestalt saß auf dem linken Thron, der rechte war leer.
Ich schritt über die weite, leere Fläche in Richtung der beiden Throne und die anderen eilten neben mir her. Trotz des offenen Raums erzeugten unsere Schritte kein Echo. Je weiter wir in die Halle hineingingen, desto größer schien sie zu werden. Es dauerte scheinbar ewig, den großen Saal zu durchqueren, aber endlich war ich an der Kante des Podests angekommen und sah trotzig zu der schauerlichen Gestalt auf dem Thron hoch. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, hörte ich einen schwachen Laut hinter mir und sah zurück. Der große offene Raum war jetzt von Wand zu Wand vollgestopft mit Elben, Reihe um Reihe sahen sie mich schweigend an. Ich schluckte hart und sah zurück auf den Thron. Kein Oberon, keine Titania, nicht einmal Anzeichen von Puck, dem einzigen Elf, der nicht perfekt war. Stattdessen saß Königin Mab auf dem Elfenbeinthron, in Schatten gehüllt, so viel größer als das Leben selbst und tausendmal furchtbarer.
Vier Elben traten jetzt ohne Hast hinter dem zweiten, dem leeren Thron hervor. Sie drapierten sich frech darüber und lächelten mich an. Es waren Mab's aktuelle Favoriten. Ich kannte ihre Namen von meinem vorigen Besuch. Bohnenblüte, arrogant wie immer. Sein Kind und Geliebter, Senfsamen. Spinnweb und Motte, Schergen, die man gelegentlich in die Menschenwelt schickte, um die nötige Drecksarbeit zu machen. Ich hätte keinen von denen als meinen Liebling genommen, aber zweifellos hatten sie ihren Nutzen.
Bohnenblüte erinnerte sich an mich. Er sah überaus finster drein, aber ich ignorierte ihn und widmete meine Aufmerksamkeit demonstrativ der Elbenkönigin, während ich versuchte, herauszufinden, was hier am Feenhof vor sich ging. Es fühlte sich falsch an. Zu groß, zu riesig, gedehnt wie alte Haut, wie etwas, das gezwungen worden war, einem bestimmten Zweck zu dienen, nachdem es schon lange ersetzt und fortgeschickt hätte werden sollen.
Wurden die Elben nach all dieser Zeit wirklich alt?
»Ich bin Eddie Drood«, sagte ich laut. Meine Stimme schien an so einem großen Ort sehr klein zu sein. »Ich bin hier, um mit der Königin der Feen zu sprechen.«
»Wir wissen, wer du bist«, sagte Spinnweb mit einer Stimme wie Staub.
»Wir hassen dich«, sagte Bohnenblüte mit einer Stimme wie splitterndes Eis.
»Du wurdest erwartet«, sagte Motte mit einer Stimme wie der endende Tag.
»Wir hassen dich für immer und ewig«, sagte Senfsamen mit einer Stimme wie Freunde, die starben.
»Königin Mab wird mit dir reden«, sagte Spinnweb.
»Ist das nicht schön?«, sagte Motte.
Am Ende klangen ihre Stimmen alle gleich: wie bösartige oder wahnsinnige Kinder, die vorgaben, höflich zu sein, und doch wussten, dass etwas wirklich Widerliches geplant ist und in der Hinterhand gehalten wird.
»Wie konntet ihr uns erwarten?«, fragte Honey. »Wir wussten selbst bis vor ein paar Stunden nicht, dass wir kommen würden.«
»Sie wissen es, weil es Elben sind«, sagte ich.
»Ist das schlecht?«, fragte Peter.
»Es ist zumindest nicht gut«, sagte ich. »Aber ich habe auch nie geglaubt, dass es das sein würde.«
Königin Mab lehnte sich auf ihrem Thron nach vorn, und wir alle hörten auf zu reden. Die Dunkelheit fiel von ihr ab wie ein abgeworfener Umhang. Die immense Ausstrahlung ihrer Erscheinung war wie ein Schlag ins Gesicht. Mab war groß, größer in Höhe und Breite als jeder andere Elf. Über drei Meter hoch, übernatürlich schlank und beeindruckend, war sie von blau gemalten Zeichen und Sigillen übersät, die auf ihrer irisierenden, perlmutterfarbenen Haut grimmig glühten. Sie war jenseits alles Erträglichen schön, die personifizierte Macht und Autorität. Ich hätte nicht wegsehen können, wenn ich gewollt hätte. Ihre Augen waren pupillenlos und aus purem Gold. Ihr Mund war dunkelrot, das Rot von Herzblut, rot wie die Sünde. Königin Mab war eine Elbin der ersten Generation, und das sah man. Es gibt Aufzeichnungen im Droodschen Herrenhaus, in der Extrem Verbotenen Abteilung der alten Bibliothek, die älter sind als die Menschheit selbst. Vielleicht sogar älter als unsere Welt. Aber wenn es um Elben geht, kann man nichts von dem vertrauen, was man liest.