»Nach den Abwehrverletzungen auf seinen Händen und Armen zu urteilen, war er noch lebendig, als sie angefangen haben«, sagte Honey. »Hoffentlich nicht mehr für lange.«
»Warum jetzt?«, fragte Walker. »Warum fängt man jetzt an, Viehverstümmelungen an Menschen vorzunehmen? Was ist passiert?«
»Klare Antwort«, meinte ich. »Das sind neue Aliens. Eine Spezies, die neu auf die Erde gekommen ist und die Regeln nicht kennt. Ich werde ihnen eine gehörige Lektion erteilen müssen: dass man nicht einfach hier herummarodiert, wenn man das nicht zuerst mit den Droods abgeklärt und die verdammten Regeln auswendig gelernt hat. Jemand wird dafür bezahlen.«
»Aber selbst wenn«, sagte Walker. »Warum nur einige Organe entnehmen und -«
»Ich hab keine Ahnung!«, rief ich. Walker und Honey sahen mich schweigend an. Ich senkte meine Stimme. »Ich habe keine Ahnung. Sie denken nicht wie wir. Meine Familie verkehrt seit Jahrhunderten mit Aliens, und wir haben immer noch keinen Translator, der etwas taugt. Manchmal haben wir nicht mal die grundsätzlichen Konzepte gemeinsam.«
»Was machen Sie, wenn Sie mit einer Spezies nicht kommunizieren können?«, fragte Walker. »Wenn Sie sie nicht dazu bringen können, den Regeln zu folgen?«
»Sie töten«, sagte ich. »Und das tun wir, bis sie nicht mehr kommen. Was machen denn Sie in der Nightside?«
»Ungefähr das Gleiche«, sagte Walker.
»Ich habe auch ein paar Erfahrungen mit Außerirdischen«, sagte Honey ein wenig eifersüchtig. »Nicht meine Abteilung, um genau zu sein, aber wenn die Kacke am Dampfen ist, helfen ja alle mit.«
»Was?«, fragte Walker.
»Es war ein Notfall!«, sagte Honey. »Und ich war die einzige Agentin mit Erfahrung vor Ort. Ich war in der Arktis und habe Area 52 nach etwas Wichtigem durchsucht, das aus Versehen dorthin gebracht worden war. (Ihr wärt überrascht, wenn ihr wüsstet, wie oft das passiert.) Da entkam etwas aus den Arrestzellen. Ich schwöre, solche Alarme habe ich noch nie gehört. Ich musste mich in einen absolut dichten Isolieranzug quälen und raus aufs Eis gehen, um ihm hinterherzujagen. Glücklicherweise kam es nicht weit. Das blöde Ding hat den Fehler gemacht, sich in einen Eisbären zu verlieben. Es brauchte Ewigkeiten, bis wir alle Stücke aufgesammelt hatten. Und wir mussten dem Bären den Magen auspumpen.«
»Aliens sind nicht unbedingt die Hellsten«, stimmte ich zu. »Nur weil sie schlau genug sind, um bessere Technikspielzeuge zu bauen, heißt das noch lange nicht, dass sie mehr gesunden Menschenverstand haben. Oder Selbstkontrolle. Vor ein paar Jahren ist mal irgendwas von da draußen mitten in einem Londoner Park abgestürzt und dann in den Abwasserkanälen verschwunden. Man hat mich hinbeordert und ich war auch bereit, da runterzugehen und das verdammte Ding wieder rauszuzerren, als von ganz oben befohlen wurde, es in Ruhe zu lassen. Anscheinend hielt unser Weltraum-Monsterchen den Abwasserdreck für einen Leckerbissen, ebenso wie all das Ungeziefer da unten. Also war unser erster Gedanke: Es ist das Resultat, das zählt! Und wir ließen es in Ruhe weiterfressen.
Ungefähr sechs Monate später wurde mir wieder Bescheid gegeben. Das Alien hatte allen Dreck gefressen, die gesamte Untergrund-Fauna und -Flora und ein halbes Dutzend Leute, die man geschickt hatte, um die Situation zu untersuchen. Und es hatte immer noch Hunger. Es schickte Auswüchse seines hässlichen protoplasmischen Selbst durch die Gullydeckel und durch die Abwasserrohre der Häuser, um alles zu attackieren, was da oben herumlief. Menschen verschwanden und wenn ich den Zustand bedenke, in dem sich ihre Toiletten und Waschbecken befanden, dann habe ich auch eine Ahnung, wie - auch wenn ich lieber nicht darüber nachdenke. Es war echt ein Stück Arbeit, das aus den Nachrichten rauszuhalten. Am Ende musste ein halbes Dutzend von uns Droods an verschiedenen Punkten in die Kanäle und dem Alien mit molekularen Flammenwerfern zu Leibe rücken. Wir haben uns einen Weg durch das gesamte Londoner Kanalsystem gebrannt, von einem Ende zum anderen, bis nichts mehr zum Verbrennen übrig war. Wir machen immer noch regelmäßig chemische Tests und nehmen DNA-Proben, für alle Fälle.
Hat mich Wochen gekostet, den Geruch wieder loszuwerden.«
Honey und ich sahen zu Walker, der lässig mit den Achseln zuckte. »Der Nightside sind unheimliche Begegnungen nicht fremd. Aliens kommen immer wieder durch unsere diversen Zeittaschen aus der Vergangenheit, der Zukunft und jeder Menge alternativer Dimensionen hereingerutscht. Letztes Jahr tauchten ein paar Marsianer in Dreibeinen auf, komplett mit Hitzestrahlen, Metallgreifern und giftigem schwarzem Rauch. Eklige, glitschige Dinger, die sich von menschlichem Blut ernährten und von der Eroberung einer anderen Erde kamen. Sie waren gierig auf neues Land, in dem sie sich ausbreiten konnten. Diese Narren. Wir haben die Metallbeine unter ihnen weggeschossen, sie aus ihren Cockpits gezerrt und gegessen.«
»Sie haben Marsianer gegessen?«, fragte Honey entgeistert und rümpfte ihre perfekte Nase.
»Deliziös«, bemerkte Walker. »Oh, natürlich haben wir sie vorher getötet. Aber für eine Weile waren frische Marsianer-Steaks der Renner in den besten Restaurants der Nightside. Einige von uns haben sehr gehofft, dass der Zeittunnel zu dieser bestimmten Erde sich wieder öffnet, bevor die Vorräte zur Neige gehen.«
»Ich weiß gar nicht, warum ich mit Ihnen überhaupt rede«, sagte Honey. »Sie sagen immer furchtbar verstörende Dinge.«
Walker grinste. »Das ist die Nightside.«
»Wartet mal«, sagte ich. »Ich glaube, mir fällt da grade etwas ein. Die Aliens sind in genau dem Moment von der Vieh- zur Menschverstümmelung übergegangen, als die Kommunikation in der Stadt ausfiel. Ich habe das gruselige Gefühl, dass diese neuen Aliens etwas richtig Widerliches planen. Menschenverstümmelung in großem Stil. Mit einer ganzen Stadt voller Leute …«
»Das wäre ein ganz schöner Sprung, Eddie, von einer toten Kuh und einem toten Farmer dorthin.«
»Aber was, wenn ich recht habe?«, fragte ich. »Ich arbeite schon lange genug als Agent der Droods, um ein Gespür für so etwas zu bekommen.«
»Sie haben recht, Eddie«, sagte Walker. »Nur außerirdische Technologie kann die Kommunikation einer ganzen Stadt so völlig ausfallen lassen, geschweige denn Honeys oder Ihre. Aber was können wir tun? Wir können mit der unterbrochenen Kommunikation niemanden in der Stadt alarmieren und selbst wenn wir das könnten - wozu wäre das gut?«
»Sie könnten verdammt noch mal entkommen!«, rief Honey. »Und wir auch. Genug Abstand zwischen uns und der Stadt schaffen, sodass unsere Kom-Systeme wieder funktionieren und wir könnten Verstärkung rufen.«
»Die Stadt verlassen?«, fragte ich. »Weglaufen und die Leute von Roswell ihrem Schicksal überlassen?
Bei lebendigem Leibe aufgeschnitten zu werden wie dieser arme Idiot da auf dem Tisch? Wenn wir wieder zurückkämen, wäre jeder hier in der Stadt tot!«
»Und was, wenn du nicht recht hast?«, fragte Honey. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt. »Stell dir die Massenpanik vor, wenn das jemand mitkriegt! Wie viele würden zertrampelt werden oder in Autounfällen sterben? Es gäbe hunderte und mehr Tote und Verletzte! Nur wegen einer - einer Vermutung!«
»Ich liege nicht falsch!«, sagte ich. »Und ich werde diese Leute nicht im Stich lassen! Das tut ein Drood nicht!«
»Habt ihr bemerkt, dass es hier dunkler wird?«, fragte Walker.
Honey und ich unterbrachen uns dabei, uns böse anzustarren, und sahen uns um. Das Neonlicht über uns brannte so grell wie eh und je, aber eine dunkle und schwere Düsternis drang von allen Seiten auf uns ein und verschluckte das Licht. Ein Blaustich löschte alle Farben in der Leichenhalle und gab allem ein seltsames und ungesundes Aussehen. Ich fühlte mich schwer, ausgelaugt, selbst meine Gedanken schienen langsamer zu fließen als normal. Der Torques brannte kalt an meinem Hals und versuchte, mich vor irgendetwas zu warnen.