»Dreiundfünfzig, von denen wir wissen«, sagte ich. »Die Droods wissen nicht alles, aber ihr dürft auf keinen Fall erzählen, dass ich das gesagt habe. Da sind immer ein paar Rassen, die kommen und gehen und mit denen wir kein wie auch immer geartetes Abkommen haben oder gar keine Kontrolle ausüben. Das Universum ist schweinegroß, und das Leben hat da draußen seltsame Formen angenommen.«
»Dreiundfünfzig …« meinte Honey.
»Von anderen Welten, anderen Erden, höheren und niederen Dimensionen«, sagte ich. »Das summiert sich. Droods schützen die Menschen vor allen auswärtigen Bedrohungen.«
»Okay, ich sorge für eine Gehaltserhöhung für dich«, sagte Honey. »Und was ist das?«
»Keine Ahnung«, sagte ich.
Wir betrachteten das Alien, während es höchstwahrscheinlich uns studierte. Es sah aus wie ein Haufen Schlangen, die man zusammengeknüllt hatte, oder Gummibänder, die halb miteinander verschmolzen waren. Jedes Band drehte und verdrehte sich, kochend und sich verknotend; sie glitten auf-, über- und umeinander herum. Sie bewegten sich pausenlos und hielten nie inne. Der Haufen war größer als ein Mensch und zweimal so breit, und obwohl seine Extremitäten ständig wechselten und sich änderten, blieben Größe und Masse immer gleich. Die Bänder schmolzen immer wieder und gingen ineinander über, während ständig neue Verlängerungen aus dem Rumpf schossen. Es hatte die Farbe einer Öllache auf verschmutztem Wasser, mit Anflügen von Tiefrot und Violett darunter, und es roch ziemlich schlecht. Wie etwas Totes, das man zu lange in der Sonne liegen gelassen hatte. Die Instabilität des Aliens war beunruhigend und schmerzhaft für menschliche Augen und den menschlichen Verstand. Wir sind nicht dazu geschaffen, mit so etwas zurechtzukommen. Wir sind noch nicht bereit.
Formen begannen sich an den Enden seiner langen, sich windenden Tentakel zu bilden. Etwas, das vielleicht ein sensorischer Apparat war - oder vielleicht organische Waffen. Und dann trat eine tropfende Ausbuchtung am Ende des sich windenden Haufens heraus und ließ ein halbes Dutzend menschlicher Augen entstehen. Unter den Augen bildete sich ein blassrosa Kegel, nass und schwabbelnd.
»Kommunikation«, sagte das Alien durch den Kegel in einer hohen, dünnen Stimme, die klang, als kratze Metall auf Metall. »Sprechen. Identifizieren.«
Und dann wartete es auf Antwort.
»Ich bin ein Drood«, sagte ich vorsichtig. »Ich habe die Autorität, zu anderen Spezies zu sprechen. Bindende Übereinkünfte zu schließen. Sprich zu mir. Erkläre, was du hier tust. Was du planst. Oder es werden Schritte unternommen, deine hässliche Spezies direkt von diesem Planeten zu entfernen.«
»Drood«, sagte das Alien. »Name. Funktion. Unbekannt für uns.«
»Vielleicht sollte ich's mal versuchen«, sagte Honey.
»Schsch«, machte ich.
»Du bist unerreichbar«, sagte das Alien. »Erklärung.«
»Warum hast du den Menschen verletzt, getötet und … untersucht?«, fragte ich. »Zu welchem Zweck? Erklärung.«
»Notwendigkeit«, sagte das Alien. »Kennen Drood nicht. Erkennen Drood-Autorität nicht an. Erkennen keine Autorität an. Wir sind. Wir existieren. Wir gehen, wohin wir müssen, um zu tun, was wir müssen. Wir dominieren unsere Umwelt. Alle Umwelten. Notwendigkeit zum Überleben. Für das Überleben aller Dinge.«
»Sagte es das, was ich denke?«, murmelte Walker.
»Wenn ich das mal wüsste«, sagte ich. »Wenigstens sieht es so aus, als hätten wir grundsätzliche Gemeinsamkeiten.« Ich wandte mich wieder an das Alien. »Was brachte euch auf diese besondere Welt? Was wollt ihr über unsere Spezies wissen? Erklärung.«
»Potenzial«, sagte das Alien. »Experiment. Lernen. Verwendung.«
»Experiment?«, fragte ich. »Warum das Tier und dann der Mensch? Erklärung.«
»Lernten, was zu lernen war von dem Tier«, sagte das Alien. »Begrenzt. Nutzlos für unsere Zwecke. Menschen sind interessanter. Mehr Potenzial. Das wird unser erstes Experiment mit eurer Art. In dieser Stadt, diesem Roswell. Bewahrt Ruhe. Wir sind hier, um zu helfen. Das ist zu eurem Besten. Notwendig. Sehen.«
Ein Bildschirm erschien und schwebte vor uns in der Luft. Und auf diesem Bildschirm zeigte uns das Alien, was es und seine Art tun würden. Was mit den Leuten von Roswell geschehen würde.
Szenen einer kleinen Stadt, die in Blut und Schrecken unterging.
Menschen rannten schreiend durch die Straßen, aber das rettete sie nicht. Sie flohen und versteckten sich, und einige schlugen sogar zurück, aber es kam nichts dabei heraus. Sie wurden seziert, aufgeschnitten, verletzt und von unsichtbaren Skalpellen in unsichtbaren Händen erforscht. Unsichtbare Kräfte, unkenntlich und unaufhaltsam, zerrissen die Leute.
Schnitte erschienen einfach in menschlichem Fleisch, Blut sprühte in die leere Luft. Die Schnitte weiteten sich, unsichtbare Hände tauchten tief in die lebenden Körper, um mit dem zu spielen, was sie dort vorfanden. Organe fielen aus den größer werdenden Löchern, Hände von Gelenken, Finger von Händen. Einige Körper fielen einfach auseinander, in Scheiben geschnitten. Männer und Frauen explodierten, zerrissene Stücke flogen durch die Luft, um von unsichtbaren Augen gesehen zu werden. Weggeworfene Innereien bedeckten die Straßen und Blut quoll aus den Gossen.
Das Schreien war das Schlimmste. Männer, Frauen und Kinder waren auf verschreckte, hilflose Tiere reduziert - um Hilfe flehend, die nicht kam.
Ich sah Familien die Straße herunterrennen, verfolgt vom Horror. Ein Mann fiel, die Beine direkt unterhalb der Knie abgeschnitten, und er versuchte, sich auf den blutenden Stümpfen weiter fortzubewegen. Bis etwas seinen Kopf von hinten öffnete und sein Gehirn in langen und blutigen Streifen herauszog. Eine Frau hing verzweifelt an einer offenen Tür, als etwas Unsichtbares sie verbissen an einem ausgestreckten Bein zog. Sie heulte wie ein wahnsinniges Tier, als ihre Rippen eine nach der anderen aus ihrem Brustkorb gezogen, kurz untersucht und dann auf die blutdurchtränkte Straße geworfen wurden. Und ich sah die Kinder …
Ich sah Lungen auf einem Haufen, eine auf der anderen, direkt neben einem Haufen Herzen, von denen einige noch schwach schlugen. Ein Mann saß allein da und weinte blutige Tränen aus seinen leeren Augenhöhlen. Eine Frau schrie sich die Seele aus dem Leib über dem, was von ihrer Tochter noch übrig war. Ich sah ganze Familien, von unsichtbaren chirurgischen Instrumenten reduziert auf ihre Einzelteile. Kalte, klinische Prozeduren, die immer weitergingen und immer weiter, bis schließlich das Schreien endete, weil keiner mehr lebte, der protestieren konnte.
Jeder in der Stadt Roswell war tot. Abgeschlachtet. Einfach nur so.
Der schwebende Bildschirm verschwand und nahm seine Ansichten von der Hölle auf Erden mit sich. Ich war so wütend, dass ich in meiner Rüstung zitterte. Meine Fäuste öffneten und schlossen sich hilflos. Honey hing an meinem Arm und machte kleine, schockierte Geräusche. Walker war weiter nach vorne gekommen und stand neben mir. Seine Augen waren voll kalter, gefährlicher Wut. Ich starrte das Alien vor mir an. Ich hatte noch nie in meinem Leben etwas so sehr gehasst.
»Warum?«, fragte ich.
»Ihr würdet das nicht verstehen«, sagte das Alien. »Könnt nicht. Ihr seid nur Menschen. Das begrenzt euch. Das ist notwendig. Du beanspruchst Autorität an diesem Ort, Drood, du bedrohst den Erfolg des Experiments. Geht. Alle. Geht fort aus Roswell, bevor wir in sechs Stunden beginnen. Sagt es allen. Erst ein Dorf, dann eine Stadt, dann die Welt. Wir werden mehr können, wenn wir mehr lernen. Wir werden euch und eure Welt neu erschaffen und wenn wir das getan haben, dann werdet ihr uns dafür danken.«
Ich machte einen Satz nach vorn in Richtung des Aliens, meine goldenen Fäuste mit schweren Dornen gespickt. Es verschwand, war in der nächsten Sekunde weg, und der Korridor wurde wieder normal. Keine fremden Lichter mehr, keine Energien, keine Raumzeitverwerfungen. Ich blieb stolpernd stehen und schrie in namenloser Wut auf. Ich wirbelte herum und schlug mit meiner goldenen Faust auf die nächste Wand ein. Ich schlug sie, weil ich irgendetwas schlagen musste, wollte ich nicht verrückt werden. Ich schlug wieder und wieder auf die Wand ein, und der Putz brach und die Ziegel krachten. Und dann zwang ich mich, innezuhalten, den Ärger zu unterdrücken und niederzuringen. Ich musste ihn für später aufheben. Ich rüstete ab und stand schwer atmend vor der ruinierten Wand. Walker und Honey kamen vorsichtig auf mich zu. Honey legte eine Hand auf mein Gesicht und wischte meine Tränen weg. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich weinte.