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»Zielradar«, rief Bender. Dubois betätigte hektisch eine Schaltergruppe, und die letzten fünf Raketen verließen ihre Abschußrohre. Fünf blaue Linien zogen sich auf die anfliegenden Moroni-Geschosse zu, benutzten deren Zielradar für ihren eigenen Anflug. Ein weiteres Geschoß verschwand plötzlich, und Bender stieß einen verhaltenen Freudenschrei aus. Drei Raketen trafen ihre Ziele, gelbe und blaue Linien schnitten sich und verblaßten, als die Raketen in unmittelbarer Nähe der Moroni-Geschosse explodierten, und blühten in neuen Seifenblasen auf, die gleich darauf die Bahn der HOME RUN berührten. Kontrollampen wechselten von Grün auf Rot, und die Strahlungswarnung heulte warnend los. Die Bildschirme verfärbten sich vorübergehend, und die Darstellungen wurden unregelmäßig, als harte Strahlung die empfindliche Elektronik störte, Schaltkreise ausbrannte und Speicherzellen löschte.

»Das letzte ist zu nah«, rief Charity. Sie beugte sich vor und hieb mit der Faust auf eine Kontrolle, die den Gefechtskopf der Rakete entschärfte. Dubois sah sie entsetzt an. Es war ein riskantes Spiel. Wenn die eigene Rakete, die sich dem hereinkommenden Geschoß in einem Bogen näherte, ihr Ziel nicht direkt traf und mit der Wucht des Aufpralls zerstörte, dann waren sie praktisch schutzlos. Bender feuerte schwitzend auf das Maroni-Geschoß, aber es war bereits zu nah und zu schnell. Mit angehaltenem Atem verfolgte Charity, wie sich ihre eigene Rakete dem Geschoß näherte. Die Linien berührten sich, aber keine Blase entstand, keine Explosion zerstörte angreifende und abfangende Raketen. Der Computer zeichnete die Linien noch ein wenig länger. Charity biß sich auf die Lippen, registrierte, wie Dubois den Kopf hob und mit nackter Panik auf das Infrarotbild starrte. Die Linien verbreiterten sich geringfügig.

»Sie hat getroffen«, schrie Bender erleichtert. Die Laserkanonen verstummten.

Auf dem Bildschirm verblaßten die beiden Linien, nachdem sie zuvor zu kurzen, dünnen Fächern auseinandergelaufen waren, den Bahnen der Trümmerstücke folgend, die nach der Kollision von den Raketen übriggeblieben waren. Der gelbe Fächer passierte die HOME RUN auf ihrer Bahn.

»Verdammt knapp«, sagte Charity und holte tief Luft. »Bender, die Kurskorrektur. Beeilen Sie sich.«

»Das schaffen wir nicht mehr«, sagte Dubois, die ihre maskenhafte Gelassenheit wiedergefunden hatte. Charity betrachtete noch einmal den Schauplatz des Kampfes, der nicht einmal zwei Minuten gedauert hatte. Ein gelber Punkt trieb langsam auf die Mondoberfläche zu. Die letzte eigene Rakete, erinnerte sie sich, deren Ziel Bender mit dem Laser zerstört hatte. Vermutlich würde sie mit ausgebranntem Triebwerk und entschärftem Sprengkopf irgendwo auf dem Mond einschlagen, abseits von MacDonald. Die Bahn wich schon deutlich von dem Kurs der HOME RUN ab. Eine rötliche, immer größer werdende Wolke zeigte an, wo sich die Überreste des Moroni-Schiffes befanden. Einige der Trümmerstücke schienen trotz der nuklearen Explosion noch ziemlich groß zu sein. Panzerung, vermutete Charity, oder massive Teile des Antriebs. Es konnte keine Überlebenden gegeben haben. Nicht einmal Moroni hätten dieses Inferno überstanden. Eine Handvoll hellblaue und blaßgelbe Wölkchen markierten die Reste der Geschosse, die nicht explodiert waren, und ganz schwach waren die inzwischen hauchdünnen Schockwellen der Atomexplosionen zu erkennen, die die Wege der HOME RUN und ihres vernichteten Gegners markierten. In völliger Lautlosigkeit hatten zwanzig Megatonnen Explosivkraft ein Schiff, seine Mannschaft und seine Waffen verschlungen und ein anderes Schiff nahezu entwaffnet.

»Wir sind noch mal davongekommen«, sagte sie zu Skudder, der bleich geworden war. Dubois schaltete eine kurze Entwarnung für den Alarm.

»Kein Umlauf mehr möglich«, sagte Bender von seinem Platz. Der kleine Monitor vor ihm war mit Berechnungen bedeckt. »Tut mir leid, aber die haben uns vierzig Sekunden zu lange in Atem gehalten. Wenn wir jetzt noch in eine tiefe Umlaufbahn wechseln, haben wir hinterher vermutlich keinen Treibstoff mehr für den Landeanflug.«

»Reserven?«

»Keine Reserven, Captain Laird.« Er hob die Hände. »Wir müssen den Zielanflug direkt machen. Das Fenster ist in zwei Minuten dicht.«

»Harris?« sagte sie in die Sprechanlage hinein.

Die Antwort kam prompt. »Klingt nicht so, als hätten wir eine Wahl.«

»Wir werden zu Fuß gehen müssen«, warnte sie ihn. »Ich weiß nicht, wie weit.«

»In einer tiefen Umlaufbahn schießen sie uns problemlos ab. Wenn ich richtig mitgezählt habe, haben wir keine Raketen mehr. Wir können eine Bodenstation weder angreifen noch einen Angriff abwehren. Was sollen wir also tun?«

»Wir haben die Laserkanonen«, erwiderte sie ohne Überzeugung. Die vorzeitige Landung widerstrebte ihr, und die Aussicht auf einen Gewaltmarsch durch unwegsames Gelände behagte ihr noch viel weniger.

»Vergessen Sie's«, erwiderte Harris. Bender murmelte etwas und bewegte zustimmend den Kopf. Sie sah Skudder an, der hilflos die Schultern hob. »Okay«, sagte sie und nickte ergeben. »Bringen Sie uns runter, Bender.«

»Wohin?«

»Mitten rein«, entschied sie. »Lassen Sie die Kameras laufen, Dubois, und halten Sie die Augen offen.«

»Verstanden«, sagte die Frau knapp. Charity dachte flüchtig an den Ausdruck der Angst, den sie kurz vor Ende des Raumgefechtes auf Dubois' Gesicht gesehen hatte. Es schien unglaublich, daß die Frau in einem Moment so aussehen konnte, als sei sie nahe am völligen Zusammenbruch, und im nächsten Moment ihre Gefühle wieder derart unter Kontrolle hatte. Sie betrachtete das Profil der Frau. Ihre Gesichtszüge erinnerten sie an etwas, aber sie kam nicht darauf, wieso der Anblick ihr eine Gänsehaut bereitete.

»Dann kommen wir nahe an Grube I herunter«, stellte Bender fest. »Bei dem großen Massetreiber. Das ist eine vernünftige Marke.«

»Halten Sie sich westlich«, riet Charity geistesabwesend. »Das Gelände dort ist - war - einigermaßen eben.«

»Okay.« Die Beschleunigungswarnung ertönte und löste hektische Betriebsamkeit auf der Zwischendeck-Plattform aus. Sie stürzten auf den Mondhorizont zu, und gerade als sie in den Mondschatten eintraten und das Sonnenlicht aus den Sichtkuppeln verschwand, als sei es abgeschnitten worden, preßte der Andruck sie tiefer in ihre Sitze. Minuten verstrichen. Die HOME RUN verlor sichtlich an Geschwindigkeit, was nur daran zu erkennen war, daß sich der Bogen der berechneten Flugbahn stärker neigte und auf ein Gebiet auf der Mondrückseite zielte, dem sie sich immer mehr näherten. Die Höhe über der Mondoberfläche nahm stetig ab. Gedankenverloren registrierte Charity, daß die letzte ihrer Raketen noch immer vor ihnen war, und verwünschte sich für ihre Unaufmerksamkeit.