»Wir haben Daniela gefunden«, sagte Dubois. »Nichts mehr zu machen.«
»Und Cortez?« fragte Charity ohne rechte Hoffnung.
»Da unten«, sagte die Estevez und deutete vielsagend auf einen Fetzen von einer Druckkombination, der anderthalb Meter tief zwischen den Trümmern begraben lag, ein schwacher roter Schimmer im Scheinwerferlicht.
»Irgendeine Chance, ihn da raus zu holen?«
Dubois schüttelte stumm den Kopf. Im seltsamen Halblicht des reflektierten Scheinwerferlichts konnte Charity an Estevez' Gesichtsausdruck erkennen, daß die Frau keineswegs einverstanden war, aber den Mund hielt.
»Wo sind Steiner und Harris?«
»Versuchen es von der anderen Seite«, sagte Dubois gleichmütig.
»Vergewissern Sie sich, daß er tot ist«, sagte Charity. »Aber beeilen Sie sich. Wir müssen hier weg.« Sie richtete sich auf und blickte auf die andere Seite der Trümmerbarriere. »Harris, wie nahe sind Sie an ihn herangekommen?«
»Überhaupt nicht.«
»Dann kommen Sie hierher und helfen Sie Estevez. Ich will wenigstens sicher sein.«
Die Silhouetten von Harris und Steiner tauchten auf der anderen Seite auf. Charity nickte Estevez zu, die wieder in die Hocke ging und weiterarbeitete, dann wandte sie sich ab, auf das Loch in der Hülle zu. Skudder folgte ihr stumm und fing sie auf, als sie unterwegs den Halt verlor.
»Was ist das?« sagte sie angeekelt und befreite ihren Stiefel von der glitschigen, hellen Masse.
»Sieht aus wie Honig«, meinte Skudder. »Vielleicht Teil des Proviantes?«
Charity nahm ihm den Scheinwerfer aus der Hand und leuchtete auf den Boden. Ein Teil der Trümmerstücke kam ihr bekannt vor. Dann sah sie drei ziemlich große, dunkle Klumpen.
»Die Eier«, sagte sie.
Skudder ließ einen leisen Pfiff aus. »Himmel«, sagte sie, »sind die Dinger zäh.«
Sie beugte sich über den nächstgelegenen der Klumpen und berührte ihn vorsichtig mit dem Handschuh. Die Schale fühlte sich wie Hartgummi an, im ersten Moment nachgiebig, dann aber hart wie Granit. Die Metallstangen, in denen das Ei lag, waren verbogen und erinnerten in ihrer Anordnung entfernt an ein Vogelnest.
»Sieht ganz intakt aus«, meinte sie und warf einen Blick auf die Temperaturanzeige an ihrem Handgelenk. »Es ist noch ziemlich warm. Sollte mich nicht wundern, wenn es unversehrt ist.« In ihrer Stimme klang Unglauben. Dieser Teil der Mondrückseite lag noch in Dunkelheit, und die Temperaturen im Schiff waren rapide gefallen, seit die Hülle das erste Loch bekommen hatte. Es war unvorstellbar, daß ein lebendes Wesen ohne Schutzanzug diese Bedingungen länger als ein paar Minuten hätte überstehen können.
»Wie viele siehst du?« fragte Skudder. Sie ließ den Lichtkegel die gesamte Fläche vor ihnen absuchen. »Mindestens drei«, sagte sie. »Kann sein, daß die anderen weiter unten liegen.«
»Was sollen wir machen?«
»Nichts«, entschied sie nach einem Moment. »Offiziell wissen wir nichts davon.« Und, fügte sie in Gedanken hinzu, solange Harris sich nicht beschwert, ist es wohl in Ordnung. Sie warf Skudder einen warnenden Blick zu und wies mit einer Kopfbedeckung auf die vier Gestalten, die hinter ihnen im Lichtkreis versuchten, ein größeres Wandstück aus dem Trümmerhaufen zu lösen. Er nickte rasch.
»Laß uns hier verschwinden«, sagte sie und gab ihm den Scheinwerfer zurück.
Draußen versank sie bis zu den Knöcheln im Staub. Der Mondboden war gleichmäßig mit feinem Abrieb bedeckt, ein weiches Polster, das ihren Aufprall abgemildert hatte. Sie sah sich um, konnte aber keine Felsen oder Kraterformationen in der Nähe entdecken. Der Himmel war tiefschwarz und gesprenkelt mit den Sternen der Milchstraße. Sie stand inmitten einer ausgedehnten Ebene, die sich sanft zu ein paar entfernten Hügeln aufschwang. Die Landschaft war schwarz in schwarz, wie am Grunde des Meeres oder in einem Kohlenkeller bei Nacht. Es gab keine scharfen Konturen, keine harten Kanten, keine rechten Winkel, nur watteweiche Dunkelheit. Der Verlauf des Horizonts ließ sich am leichtesten daran erkennen, daß die ungleichmäßige Verteilung der Sterne plötzlich ein abruptes Ende fand, je tiefer sie den Blick senkte. Ihr Gleichgewichtssinn geriet außer Kontrolle. Erneut kämpfte sie mit Übelkeit, und ein überwältigendes Gefühl der Desorientierung breitete sich in ihr aus, bis sie nach Skudders Arm griff und festen Halt fand. Dann sah sie eine tiefe Furche, die sich zwischen Felsbrocken zum Horizont hinzog.
»Um Himmels willen«, brachte sie heraus.
Skudder folgte ihrem Blick. »Unsere Schleifspur«, stellte er mit ungläubigem Erstaunen fest.
»Das sind mindestens zehn Kilometer«, sagte sie und setzte sich in Bewegung. Er folgte ihr. Die Furche war stellenweise drei oder vier Meter tief. In unregelmäßigen Abständen entdeckten sie Teile der Panzerung, die gebrochenen Holme von Verstrebungen und Maschinentrümmer. Hier und da glitzerte ein Hauch feiner Splitter, Überreste der Panzerglasscherben aus den Sichtkuppeln vermutlich. Charitys Gedanken waren wie eingefroren. Trägheit, Masse und Geschwindigkeit hatten nicht einmal eine Minute gebraucht, um ein kompliziertes, widerstandsfähiges und leistungsfähiges Stück menschlicher Technologie in herumliegenden Müll zu verwandeln.
Skudder holte sie ein. Sie legte einen Arm um ihn, ehe sie tief Luft holte und sich nach der HOME RUN umdrehte. Sie hatten sich rund fünfzig Meter von dem Wrack entfernt, und trotz der Dunkelheit waren die grausamen Wunden zu erkennen, die in die Hülle hineingerissen worden waren. Die Panzerung war in großen Stücken abgerissen worden. Sie konnte einige der Verriegelungen erkennen, an denen Abschußrohre für Raketen oder Außentanks befestigt gewesen waren. Der größte Teil des Hitzeschildes und der Antriebsaggregate fehlte, war einfach verschwunden, zurückgelassen irgendwo auf der Oberfläche des Mondes.
»Die Konservendose hat ein paar Beulen bekommen, was?« witzelte sie, aber ihre Stimme klang gequält.
»Es ist ein Wunder, daß wir noch am Leben sind«, versetzte Skudder mit seltenem Ernst. Eine rotgekleidete Gestalt kletterte über eine lange, zweimal geknickte Röhre und winkte ihnen zu.
»Captain?« vergewisserte sich Henderson über Funk.
»Ja, wir sind hier«, antwortete Charity nach einem Moment. »Haben Sie irgendwelche Zeichen von Leben gesehen?«
»Nein. Es ist alles ruhig.«
»Kein Besuch also«, meinte Charity ohne wirkliche Erleichterung. »Dann gehen Sie rein und helfen Sie den anderen. Versuchen Sie, Waffen und Ausrüstung zu bergen, vor allem diesen Computer und diese verdammte Bombe, wenn irgendwas davon noch auffindbar ist.«
»In Ordnung«, sagte Henderson und bewegte sich auf das Loch in der Hülle zu. »Ich habe den Transportschlitten gefunden. Er sieht etwas mitgenommen aus, aber vielleicht funktioniert er noch.«
Sie sah ihm nach, bis der rote Druckanzug in der Dunkelheit des Wracks verschwunden war. Der Anblick erinnerte sie an etwas anderes.
»Gehen wir ein paar Schritte«, sagte sie. »Wo ist der Massetreiber?«
Skudder deutete nach Nordwesten. »Da drüben. Henderson ist ein Stück die Hülle hinaufgeklettert, bevor er sich sicher war.«
»Ich sehe nichts«, sagte sie nach einer Weile. »Na, bei der Entfernung kein Wunder.«
Skudder warf ihr einen skeptischen Blick zu.
»Immerhin sind wir auf dem Mond«, erklärte sie. »Besonders weit sehen kann man bei der Oberflächenkrümmung nicht.« Sie hob die Hand und legte den Zeigefinger vor ihre Lippen an den Helm, dann tippte sie auf den Schalter für die Funkanlage. Skudders Blick zeigte Verwirrung, dann rasches Begreifen. Sie schaltete den Helmfunk ab, und er folgte ihr ohne Zögern. Vorsichtig neigte sie ihm den Helm entgegen, bis sich die Visierscheiben berührten.