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»Schien eine gute Idee zu sein«, antwortete sie bissig. »Vergiß es.« Sie befreite sich halb von ihrem Schlafsack, der in der Schwerelosigkeit an ihr haftete wie der Kokon einer Seidenraupe, und achtete darauf, den Kopf von dem Trägergewirr fernzuhalten. Skudder war schon wieder eingeschlafen. Dieser Riesenkerl hat ein Gemüt wie ein Kind, dachte sie mit einem plötzlichen Anflug von Zärtlichkeit. Dann fiel ihr ein, warum sie sich den Kopf gestoßen hatte, und ihre gute Laune verschwand. Unwillkürlich begann sie zu zittern.

»Alles in Ordnung?« fragte jemand leise, einen halben Meter über ihr. Harris spähte zwischen den Streben zu ihr herüber.

»Ja«, antwortete sie im selben unterdrückten Tonfall. »Ich hatte einen schlechten Traum.«

»Worum ging es«, erkundigte sich Harris interessiert.

»Den Pol«, antwortete sie knapp.

»Oh«, machte er und sagte nichts weiter. Vor ihrem inneren Auge sah sie wieder den Mahlstrom, der seinen Umfang in den letzten Wochen stetig vergrößert hatte, begleitet von katastrophalen Verwerfungen in den Eismassen und sogar im Erdboden selbst, tief am Meeresgrund. Niemand kannte die Ursache für die plötzliche Erschütterung, die das Gefüge der Raumzeit selbst getroffen hatte. Gurk hatte versucht, es ihr zu erklären, und nach seinen Worten war es der Raum selbst, der bewegt, verbogen, verworfen und schließlich zerbrochen worden war. Die Materie, ganz gleich ob Eis, Felsen, Luft und Wasser, wurde einfach mitgerissen und folgte der Verformung des Raumes, und was übrig blieb, verschwand in dem Loch in der Wirklichkeit, das sie nicht mehr verschließen konnten. Die Jared hatten die Überreste der alten Kontrollstation eingenommen, und sie waren fieberhaft damit beschäftigt, irgendwelche Maschinen aufzubauen, nach den Plänen der Moroni und den Ratschlägen Gurks, der dieses Unternehmen zu seinem eigenen, ganz persönlichen Kreuzzug gemacht zu haben schien. Sie wußte nicht, wie viele Leben, Moroni und Menschen, der Mahlstrom bereits gefordert hatte, aber die Situation war zunehmend außer Kontrolle geraten. Nicht zuletzt deswegen hatten sie die HOME RUN vor der Zeit in die Umlaufbahn gebracht, die trotz Moroni-Abfangschiffen und Minen immer noch sicherer war als die Überreste der Ausläufer der Schwarzen Festung.

Gurk war ein Teil ihres Traums gewesen. Seltsamerweise hatte sie der Zwerg mehr erschreckt als die gewaltige Katastrophe, die in den Ruinen der Schwarzen Festung tobte.

Mißmutig wollte sie sich wieder in ihren Schlafsack hineinwinden, als sie plötzlich ein seltsames Geräusch hörte. Es klang wie ein kleines Kätzchen, das leise miaute und dabei ein Pfund Glasscherben zwischen seinen Zähnen zermalmte.

Unwillkürlich richteten sich ihre Nackenhaare auf, und sie bekam eine Gänsehaut.

»Was war das?« fragte Skudder neben ihr, und seine Stimme klang diesmal überhaupt nicht mehr verschlafen. Am Rande ihres Bewußtseins bewunderte sie seinen Instinkt, unwichtige von wichtigen Geräuschen zu unterscheiden. Ihr Blick raste durch das Zwielicht, tastete nach den Silhouetten von Dubois und Henderson, die an ihren Konsolen saßen und nichts bemerkt hatten, dann nach den Soldaten, die sich nicht bewegten.

»Ich weiß nicht«, sagte sie hastig. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Harris seinen Schlafsack auf ganzer Länge öffnete und herausstieg. Er trug das unvermeidliche T-Shirt, dessen Witz sie noch immer nicht begriffen hatte.

»Haben Sie das auch gehört?« fragte er; seine Stimme klang todernst.

Sie nickte nur. Skudder richtete sich entschlossen auf.

»Was zum Teufel war das?« fragte er noch einmal. »Das kann doch keine Maschine gewesen sein.«

»Keine, die ich kennenlernen möchte«, versetzte Harris. Charity dachte an den Würfel, hielt aber den Mund. Sie versuchte sich zu erinnern, was sie gehört hatte, und wie.

»Es kam von unten«, sagte sie schließlich und zeigte auf die Plattformfläche, die die Jared eingezogen hatten.

»Wie passend«, meinte Harris halblaut. Skudder sagte nichts, stieg nur in die Stiefel mit den Magnetsohlen. Sie folgte seinem Beispiel.

Sie tippte die Sprechanlage an, die an den Trägerstreben befestigt war. Irgendwo über ihnen piepte es leise.

»Brücke«, meldete sich eine leise Stimme.

»Dubois«, sagte sie leise. Ihr Kopf bewegte sich im Halbdunkel. Sie sah zu ihnen herunter. »Haben Sie irgend etwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen?«

»Nein, nichts«, kam die verwunderte Antwort.

»Ich meine, bei den Bordsystemen.«

»Die Anzeigen sind nominal«, mischte sich Henderson ein.

»Sprechen Sie leise«, befahl Charity ungehalten. »Ich will die Soldaten nicht unnötig wecken. Hören Sie, irgend etwas stimmt hier nicht. Wenn Sie irgend etwas auf den Kontrollen bemerken, was Ihnen komisch vorkommt, geben Sie sofort Alarm.«

»Was haben Sie vor«, fragte Dubois vernünftig.

»Wir steigen runter«, sagte sie. »In den Keller. Was immer es war, es kam von dort.«

»Verstanden«, sagte sie knapp. »Wieviel Zeit soll ich Ihnen geben?«

»Wie?«

»Ich meine, falls Sie spurlos verschwinden«, präzisierte die Frau.

Na prächtig, dachte Charity und zog eine Braue hoch. »Zehn Minuten«, sagte sie dann und schaltete ab. »Schießwütig«, ergänzte sie dann und sah Skudder an, der wortlos nickte. »Aber das ist vielleicht kein schlechter Gedanke.« Sie zog die Waffe und entsicherte sie. Die beiden Männer taten es ihr nach. Harris stieß einen kleinen Scheinwerfer in ihre Richtung und nahm eine zweite Lampe in die Hand, gerade als sie ihre eingefangen und eingeschaltet hatte. Der abgeblendete Lichtkegel zeichnete eine blasse weiße Ellipse auf die Bodenplatten. Vor der Luke blieben sie stehen. Charity sah ihre Begleiter an, bückte sich dann mit einem Achselzucken und entriegelte die Luke selbst. Um sie zu öffnen, mußte sie den Scheinwerfer loslassen. Das Gerät driftete langsam weiter, und der Lichtkegel wanderte behäbig über die Maschinenblöcke, die im Keller sichtbar wurden, zeichnete gespenstische Schatten und Konturen. Sie fing die Lampe wieder ein und kauerte sich neben die offene Luke. Angespannt horchte sie.

»Nichts«, sagte Skudder nach einer Weile. Sie nickte, vertraute seinem scharfen Gehör. Ihre eigenen Ohren hatten in letzter Zeit arg unter Explosionen und anderem Lärm gelitten, und in einer längst vergessenen Zeit unter zuviel lauter Musik. Die beiden wandernden Lichtkegel brachten keine Überraschungen zu Tage, nur das erwartete Moroni-Chaos.

»Na schön«, sagte sie. »Gehen wir?«

Gehen war zuviel gesagt. In der Schwerelosigkeit war es immerhin möglich, sich mit Händen und Waffe zuerst durch die Luke zu manövrieren, anstatt mit dem Hintern voran in eine unbekannte Situation zu rutschen. Sie überließ Skudder die Lampe und wand sich in einem eleganten Bogen durch die Öffnung. Dann hing sie wie eine Fledermaus an der Unterseite der Zwischendeck-Plattform, während Skudder und Harris ihr folgten. Schweigend sahen sie sich um. Es gab drei große Blasen, Treibstofftanks, zwischen denen sich klobige Maschinen und seltsam geschwungene Rohrleitungen befanden. Es gab ein paar Bauteile, die wie mannsgroße Blasebälge wirkten, und dazwischen ein paar enge Durchgänge zu weiteren Höhlungen im Maschinenteil, die sie von ihrer Position aus nicht einsehen konnten. Das meiste Licht kam nicht von den eng begrenzten Lichtkegeln der heruntergeschalteten Lampen, sondern als rötlicher Schimmer von oben. Sie übersah ein dunkel gefärbtes Rohr und stieß sich an dem eiskalten Metall erneut den Kopf.

»Verdammt noch mal«, fluchte sie, »dieses Loch ist beleuchtet wie ein Bordell.«

»Wie was?« fragte Skudder geistesabwesend.

»Nichts«, sagte sie und unterdrückte ein Auflachen. Es hätte zu leicht ein hysterisches Kichern darauf werden können. »Es ist einfach viel zu eng hier drin.«

»Ich finde, die Beule steht dir«, versetzte Skudder boshaft.

»Herzlichen Dank«, murmelte sie. Die Lichtkegel wanderten weiter, zogen gleichmäßige Kreise, verharrten an unübersichtlichen Stellen und glitten dann hastig weiter, damit keine Teile der Dunkelheit um sie herum zu lange unbeobachtet bleiben konnte.