Manche alte Sitten und Gebräuche herrschen in Caicara übrigens noch heute, nur daß sie mit denen des Christenthums in wunderlicher Weise verquickt erscheinen, so zum Beispiel die Sitte des Velorio, die der Todtenwache, welche der französische Forscher einmal selbst kennen lernte. Zu einer solchen werden viele Bekannte eingeladen, die sich an Kaffee, Tabak, vorzüglich aber an Branntwein, dem Aguardiente, gütlich thun, und wo vor der Leiche des Gatten oder des Kindes die Gattin oder die Mutter. einen Ball eröffnet, bei dem getanzt wird, bis die berauschten Theilnehmer erschöpft zusammenbrechen. An eine Leichenfeier wird das schwerlich jemand erinnern.
Wenn die Ermiethung eines Fahrzeuges für die achthundert Kilometer lange Fahrt auf dem mittleren Orinoco zwischen Caicara und San-Fernando Jean von Kermor's und des Sergeanten Martial erste Sorge war, so mußten sich auch die Herren Miguel, Felipe und Varinas in erster Linie damit befassen, galt es doch, sich vor allem die Weiterreise unter den günstigsten Bedingungen zu sichern.
Nun dürfte man wohl, ganz wie Herr Miguel, glauben, daß ein Einverständniß zwischen ihm und dem Sergeanten Martial die Sache wenigstens vereinfacht hätte. Ob drei oder fünf Personen eine Barke benutzten, kam ziemlich auf eins hinaus, denn diese waren im allgemeinen groß genug, so viele und auch noch etwas mehr Fahrgäste aufzunehmen, ohne daß das eine Verstärkung der Bedienungsmannschaften nöthig gemacht hätte.
Die Anwerbung solcher Schiffsleute ist nicht immer leicht, da man unbedingt geübte Männer engagieren muß. Dazu giebt es eine Menge gefährlicher Raudals und nicht wenige Stellen, die durch Gestein oder Sand schwer zu passieren sind oder gar dazu zwingen, die Fahrzeuge weite Strecken über Land zu transportieren. Der Orinoco hat seine Tücken, ganz wie der Ocean, und man trotzt ihnen nicht ohne Gefahr.
Die Schiffsleute wählt man gewöhnlich aus den am Ufer siedelnden Stämmen. Viele Eingeborne, die sich ausschließlich diesem Berufe widmen, zeigen sich ihrer Aufgabe mit ebenso vieler Gewandtheit wie Klugheit gewachsen. Als die Zuverlässigsten gelten die Banitas, die in der Hauptsache auf den von dem Guaviare, dem Orinoco und dem Atabapo durchflossenen Gebiete wohnen. Sind sie mit Passagieren oder mit Waaren den Strom hinausgefahren, so kehren sie bis Caicara zurück, um neue Reisende oder neue Ladung zu erwarten.
Immerhin kann man sich auf alle diese Leute nur bis zu gewisser Grenze verlassen, und es hätte die Sache gewiß erleichtert, wenn nur eine einzige Mannschaft anzuwerben war. Dieser Ansicht war der gelehrte Herr Miguel, und er hatte damit gewiß recht. Da er sich überdies lebhaft für den jungen Mann interessierte, konnte Jean eigentlich nur dabei gewinnen, wenn er ihn und seine beiden Freunde als Reisegesellschafter hatte.
Von diesem Gedanken eingenommen, war er auch entschlossen, die Meinung des Sergeanten Martial darüber zu erfahren, und sobald er sie an dem kleinen Hafen von Caicara, wo Jean und sein Onkel ein Fahrzeug zu miethen suchten, wahrnahm, ging er schnellen Schrittes auf sie zu.
Der alte Haudegen runzelte die Stirn und warf dem Gelehrten einen nicht gerade aufmunternden Blick zu.
»Mein Herr Sergeant, begann Herr Miguel in ganz correctem Französisch, das er sehr gut beherrschte, wir haben das Vergnügen gehabt, an Bord des »Simon Bolivar« zusammen zu reisen.
- Und hier gestern Abend auszusteigen«, antwortete der Sergeant mit aneinandergestellten Fußabsätzen und steif wie ein Infanterist, wenn er präsentiert.
Herr Miguel sachte diesen Worten noch den besten Sinn unterzulegen und fuhr also fort:
»Meine beiden Freunde und ich haben - es war noch in Las Bonitas - aus einem Gespräche zwischen Ihrem Neffen.«
Der Sergeant fing an die Lippen zusammenzuziehen, was immer ein schlechtes Zeichen war, und unterbrach Herrn Miguel mit der Frage:
»Wie meinten Sie. aus einem Gespräche?
- Zwischen Herrn Jean von Kermor und dem Gouverneur erst erfahren, daß es Ihre Absicht war, in Caicara ans Land zu gehen.
- Wir brauchen deshalb doch wohl niemand um Erlaubniß zu fragen?. erwiderte der Brummbär in barschem Tone.
- Natürlich niemand, sagte Herr Miguel, der sich auch durch diesen unfreundlichen Empfang von seinem Vorschlage nicht abbringen lassen wollte. Da wir nun aber gehört haben, welches das Ziel Ihrer Reise ist.
- Eins! grollte der Sergeant Martial zwischen den Zähnen, als wollte er zählen, wie viele Male er auf Fragen des höflichen Geographen zu antworten haben werde.
- Und unter welchen Verhältnissen Ihr Neffe den Oberst von Kermor seinen Vater, aufzusuchen gedenkt.
- Zwei!. stieß der Sergeant Martial hervor.
- Da wir ferner wissen, daß Sie auf dem Orinoco bis San-Fernando hinausfahren wollen.
- Drei!. knurrte der Sergeant Martial.
- So möchte ich, da meine Collegen und ich uns ebendahin begeben wollen, Sie fragen, ob es Ihnen nicht gelegen, ob es nicht vortheilhafter, ja sogar sicherer wäre, von Caicara bis San-Fernando eine Barke gemeinschaftlich zu benützen.«
Wenn je ein Anerbieten annehmbar war, so war es das, das Herr Miguel eben machte, und es ließ sich kaum ein Grund denken, es abzulehnen. Durch die Wahl einer hinreichend großen Pirogue mußten die fünf Reisenden ihre Fahrt gewiß unter weit günstigeren Bedingungen ausführen können.
Der Sergeant konnte sich dem Vorschlage vernünftiger Weise also gewiß nicht widersetzen, dennoch antwortete er, ohne seinen Neffen vorher zu befragen, wie einer, dessen Entschluß schon feststeht, trockenen Tones:
»Sehr verbunden, mein Herr, sehr verbunden! Ihr Vorschlag mag ja in mancher Beziehung vortheilhaft sein, doch annehmbar, nein. nein. wenigstens was uns Beide betrifft!
- Was könnte er Unannehmbares an sich haben? fragte Herr Miguel, erstaunt über eine solche unbegreifliche Ablehnung.
- Er hat. nun mit einem Worte, er paßt uns eben nicht! erklärte der Sergeant Martial.
- Ohne Zweifel haben Sie ihre besondern Gründe, so zu antworten, Herr Sergeant, antwortete Herr Miguel. Da mir aber nur daran lag, uns gegenseitige Unterstützung zu gewähren, hätte mein Vorschlag wohl eine minder verletzende Antwort verdient.
- Bedaure ich sehr, ja, recht sehr, werther Herr, antwortete der Sergeant Martial, der sich auf ein ihm nicht besonders zusagendes Gebiet gedrängt fühlte, ich konnte Ihnen aber nur mit einer Weigerung antworten.
- Einer Weigerung, die sich doch hätte in gewissen Formen halten können; an der Ihrigen vermißte ich die berühmte französische Höflichkeit!
- O, mein Herr, erwiderte der alte Soldat, der jetzt schon etwas warm wurde, es handelt sich hier aber nicht um Höflichkeiten! Sie haben uns einen Vorschlag gemacht, und ich hatte meine Gründe, diesen Vorschlag nicht anzunehmen, das hab' ich Ihnen einfach gesagt, wie es mir auf die Zunge gekommen ist. Wenn Sie darüber Klage führen wollen.«
Die stolze Haltung, welche Herr Miguel annahm, war nicht gerade geeignet, den Sergeanten Martial, der die Tugend der Geduld nicht kannte, zu beruhigen. Das veranlaßte Jean von Kermor, selbst das Wort zu ergreifen.