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»Ich bitte Sie, meinen Onkel zu entschuldigen, verehrter Herr, sagte er, er hat Sie gewiß nicht beleidigen wollen. Was Sie uns da angeboten haben, zeigt von einer besondern Zuvorkommenheit Ihrerseits, und bei jeder andern Gelegenheit würden wir nicht gezaudert haben, die dargebotene Hand zu ergreifen. Wir wünschen jetzt aber gerade ein Boot für uns allein zu haben, über das uns unter allen Umständen freie Verfügung zusteht, denn es ist möglich, daß die Auskünfte, die wir unterwegs erhalten, uns zwingen, von dem jetzt ins Auge gefaßten Reisewege abzuweichen, in einem oder dem andern Orte Halt zu machen. kurz, wir müssen nothwendig für unsre Bewegungen volle Freiheit haben.

- Sehr schön, Herr von Kermor, antwortete Herr Miguel, uns liegt es gewiß fern, Sie in irgend einer Weise belästigen zu wollen, und trotz der. der etwas trocknen Antwort Ihres Onkels.

- Der eines alten Soldaten, mein Herr! warf der Sergeant Martial ein.

- Zugegeben! Immerhin, wenn meine Freunde und ich Ihnen während der Fahrt irgendwie von Nutzen sein können.

- Ich danke Ihnen in meines Onkels und in meinem Namen, mein Herr, erklärte der junge Mann, und seien Sie überzeugt, daß wir im Nothfalle nicht zögern werden, Ihre freundliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

- Hören Sie es, Herr Sergeant? fügte Herr Miguel in halb scherzendem, halb ernsthaftem Tone hinzu.

- Ja, ja, ich höre es, Herr Geograph!« gab der Sergeant Martial mürrisch zurück, denn er wollte sich trotz der Anerbietungen des Herrn Miguel - übrigens eines der besten und hilfswilligsten Menschen - nicht entwaffnen lassen.

Herr Miguel bot hierauf Jean von Kermor die Hand, die dieser freundschaftlich drückte, was schon genügte, aus den Augen seines Onkels zwei von Donnergrollen begleitete Blitze hervorschießen zu lassen.

Als der Sergeant Martial und der junge Mann wieder allein waren, begann der erstere:

»Du hast ja gesehen, wie ich ihn empfangen habe, den wunderlichen Kauz da!

- Ja, Du hast ihn schlecht empfangen und daran unrecht gethan.

- Ich hätte unrecht gehabt?

- Unbedingt!

- Es hätte also nur noch gefehlt, das Anerbieten, eine Pirogue mit den drei Bolivaren zu theilen, anzunehmen?

- Nein, daß Du das abgelehnt hast, war ganz in der Ordnung, es hätte nur etwas höflicher geschehen können, lieber Onkel!

- Einem Aufdringling gegenüber brauche ich nicht höflich zu sein.

- Herr Miguel ist nicht aufdringlich gewesen, er hat sich sehr dienstwillig gezeigt, und sein Vorschlag hätte verdient, angenommen zu werden.. wenn das in unserm Falle möglich wäre. Wenn Du ihn ablehntest, mußtest Du gleichzeitig Deinen Dank dafür aussprechen. Wer weiß, ob seine Freunde und er nicht berufen sind, uns unsre Aufgabe zu erleichtern, schon in Folge der Bekanntschaften, die sie in San-Fernando jedenfalls haben und die uns von Nutzen sein könnten, Du Deinen Obersten, mein lieber Martial, und ich meinen Vater wiederzufinden.

- Also ich. ich habe unrecht gehabt?

- Ja, lieber Onkel.

- Ich danke, lieber Neffe!«

Von den Piroguen des Orinoco sind die kleinsten aus einem Baumstamme, gewöhnlich dem Stamme eines Cachicamo ausgehöhlt. Die größeren, aus abgepaßten Planken bestehend, sind an den Seiten abgerundet und vorn etwas zugespitzt.

Die recht solid hergestellten Fahrzeuge widerstehen sehr gut der Beschädigung beim Schleifen über Untiefen und den Erschütterungen, denen sie bei der Beförderung über Land unumgänglich ausgesetzt sind, wenn sie über nicht schiffbare Stromschnellen hinweggeschafft werden müssen.

In ihrer Mitte erhebt sich ein Mast, der von einem Stag und zwei Rüstleinen gehalten wird, die ein viereckiges Segel tragen, das bei Rücken- und selbst bei günstigem Seitenwinde zu gebrauchen ist. Eine Art Pagaie, die gleichzeitig als Steuerruder dient, wird von dem Schiffer gehandhabt.

Der vordere Theil des Fahrzeuges, vom Maste bis zum Bug, ist ganz unbedeckt. Dieser Theil dient als Aufenthaltsraum am Tage und als Schlafraum in der Nacht für die meist aus zehn Indianern, einem Führer und neun Leuten, bestehende Mannschaft.

Der hintere Theil, vom Maste bis zum Achter, ist mit einer Art Deckhaus versehen, mehr einem Dache ähnlich, das mit Palmenblättern, die an aufrechtstehenden Bambusstäben befestigt sind, bedeckt wird.

Dieses Deckhaus dient den Passagieren als Cabine. Es enthält die Lagerstätten - einfache Esteras, die über trocknem Stroh ausgebreitet sind - die Küchen- und Tischgeräthe, den kleinen Kochofen zur Bereitung der Speisen, vielfach der unterwegs erbeuteten Jagdthiere oder der von Bord aus gefangenen Fische. Der Raum kann nur mittelst herablaßbarer Matten in mehrere Theile geschieden werden, denn er nimmt von den zehn bis elf Metern, die das Fahrzeug mißt, nur fünf bis sechs Meter Länge ein.

Die Piroguen des Orinoco werden mit dem Namen Falcas bezeichnet. Bei günstigem Winde fahren sie unter Segel, doch auch dann nur recht langsam, denn sie haben zwischen den zahlreichen Inseln, womit der Strom durchsetzt ist, oft eine sehr mächtige Strömung zu überwinden. Fehlt es an Wind, so fährt man entweder in der Mitte des Flußbettes mit Hilfe der Bootshaken oder dicht am Ufer mit Hilfe von Schleppleinen weiter.

Unter Bootshaken versteht man hier gleichzeitig die Palanca, eine Gabelstange, deren sich die Leute am Vordertheil bedienen, und den Garapato, einen festen Bambusstab mit Haken, den der Schiffer auf dem Hintertheile regiert.

Die Schleppleine, Espilla genannt, ist ein leichtes Kabel aus sehr elastischen Fasern der Chiquichiquipalme gesponnen, gewöhnlich von hundert Fuß Länge und dabei so leicht, daß sie auf dem Wasser schwimmt. Man schafft sie, wo es nöthig erscheint, ans Ufer, befestigt sie an einem Baumstamm oder einer Wurzel und zieht sich vom Boote aus an ihr weiter hin.

Das ist also die Einrichtung einer Falca, die zur Beschiffung des Stromes auf seinem Oberlaufe dient, und der man noch zwecks Benutzung der Espilla, ein kleines Boot anhängt, das in der Indianersprache Curiare heißt.

Mit dem Führer einer solchen Pirogue müssen die Reisenden verhandeln, und der Miethpreis richtet sich hier nicht nach der Länge der zurückzulegenden Strecke, sondern nach der Zeit, die das Fahrzeug benutzt wird. Die zu zahlende Entschädigung wird dabei für den einzelnen Tag festgestellt. Es könnte wohl auch nicht anders sein. Die Fahrt auf dem Orinoco erleidet ziemlich häufig Verzögerungen, entweder durch plötzliches Hochwasser, durch stürmische Winde oder durch Stromschnellen, die das Fahrzeug zurückwerfen, wie durch die

Schwierigkeiten des Landtransports, der da, wo man gar nicht weiter fahren kann, nöthig wird. Eine Reise, die vielleicht in drei Wochen zurückzulegen ist, erfordert wohl gleich die doppelte Zeit, wenn gar zu ungünstige Witterungsverhältnisse herrschen. Deshalb würde sich auch kein Schiffer verpflichten, seine Fahrgäste von Caicara entweder nach der Mündung des Meta oder nach San-Fernando in einer vorausbestimmten Zeit zu befördern. Unter solchen Umständen mußte hier also mit indianischen Banivas verhandelt werden, die den Reisenden denn auch zwei Piroguen zur Verfügung stellten.

Herr Miguel war so glücklich, einen sehr erfahrenen Stromschiffer zu wählen. Es war ein Indianer, namens Martos, ein vierzigjähriger, kräftiger und intelligenter Mann, der für seine Mannschaft, neun tüchtige, mit der Handhabung der Palanca, des Garapato und der Espilla vertraute Eingeborne, mit seinem Worte einstand. Der Tagespreis, den er forderte, mochte wohl hoch erscheinen, wem wäre es indeß in den Sinn gekommen, darum zu feilschen, wo es sich um die Lösung der wichtigen Guaviare-Orinoco-Atabapo-Frage handelte!

Die Wahl Jeans von Kermor und des Sergeanten Martial war jedenfalls auch nicht minder glücklich ausgefallen - neun Banivas unter Führung eines halbindianischen, halbspanischen Mestizen, der recht gute Zeugnisse aufzuweisen hatte. Der Mestize nannte sich Valdez, und wenn die Fahrt seiner Passagiere sich jenseits San-Fernandos auf dem Oberlaufe des Stromes weiter erstrecken sollte, verpflichtete er sich, da er dort auch schon gefahren war, gern zu deren Verfügung zu bleiben. Das war jedoch eine Frage, die erst später entschieden werden konnte, je nach der Auskunft, die in San-Fernando über den Obersten zu erhalten sein würde.