Die beiden Piroguen hatten jede ihren Namen: die der Herren Miguel, Felipe und Varinas hieß »Maripare«, gleich einer der zahlreichen Inseln des Orinoco; den einer andern Insel, »Gallinetta«, trug das Fahrzeug des Sergeanten Martial und seines Neffen. Beide waren an den obern Theilen weiß, am Rumpfe durchweg schwarz angestrichen.
Es versteht sich von selbst, daß die beiden Piroguen dicht bei einander fahren sollten und keine die andre zu überholen suchen würde. Der Orinoco ist ja nicht der Mississippi, die Falcas sind keine Dampfschiffe, und hier lag kein Grund vor, gegen einander zu wetteifern oder sich den Record an Schnelligkeit zu sichern. Außerdem hat man auch immer Ueberfälle durch Indianer aus den nahen Savannen zu befürchten, und deshalb ist es rathsamer, in größerer Zahl aufzutreten, um dem Raubgesindel Respect einzuflößen.
Die »Maripare« und die »Gallinetta« wären schon an demselben Abend zur Abreise fertig gewesen, wenn nicht erst noch Vorräthe an Lebensmitteln u. s. w. zu besorgen gewesen wären. Bei den Händlern in Caicara war ja alles zu haben was man zu einer mehrwöchigen Bootsreise bis San-Fernando, wo neue Einkäufe gemacht werden konnten, nöthig hatte. Sie haben alles zu verkaufen: Conserven, Kleidungsstücke, Schießbedarf, Angel- und Jagdgeräthe, und waren ihren Kunden gern zu Diensten, wenn diese nur in schönen Piastern zahlten Reisende auf dem Orinoco können freilich nebenbei darauf rechnen, daß sie Wild an den daran reichen Stromufern erbeuten und Fische in großer Menge fangen können Herr Miguel war nun ein ebenso guter Schütze wie der Sergeant Martial, und auch die leichte Jagdflinte Jeans von Kermor sollte gewiß nicht unthätig und nutzlos bleiben. Man lebt aber doch nicht allein von Jagd und Fischfang. Jedenfalls mußten Thee, Zucker, getrocknetes Fleisch, Dörrgemüse, Cassavenmehl, das aus dem Manioc gewonnen wird und hier die Stelle des Weizen- und Roggenmehls vertritt, und auch einige Tönnchen Tafia und Aguardiente mitgenommen werden. An Brennmaterial würde es den Oefen der Piroguen aus den
Uferwäldern nicht fehlen. Zum Schutze gegen die Kälte, oder vielmehr gegen die Feuchtigkeit, konnte man sich leicht wollene Decken besorgen, die in allen venezuolanischen Ortschaften käuflich sind.
Diese Vorbereitungen nahmen immerhin einige Tage in Anspruch, und man hatte übrigens keine Ursache, diese Verzögerung zu bedauern, denn vierundzwanzig Stunden lang herrschte gerade jetzt abscheuliches Wetter. Caicara wurde von einem der schweren Stürme heimgesucht, die die Indianer als Chubasco bezeichnen. Er kam aus Südwesten und war von so überreichen Regengüssen begleitet, daß eine starke Anschwellung des Stromes eintrat.
Der Sergeant Martial und sein Neffe bekamen hierbei einen Vorgeschmack von den Schwierigkeiten, die die Schifffahrt auf dem Orinoco gelegentlich bietet. Die Falcas hätten jetzt weder gegen die durch die Hochfluth entstandene stärkere Strömung, noch gegen den Sturmwind aufkommen können, der sie von vorn gepackt hätte. Jedenfalls wären sie gezwungen gewesen, unter solchen Umständen nach Caicara, und vielleicht gar schwer beschädigt, zurückzukehren.
Die Herren Miguel, Felipe und Varinas nahmen diese Widerwärtigkeiten mit philosophischer Ruhe hin; sie hatten ja keine besondre Eile und es kam wenig darauf an, wenn ihre Reise sich auch um einige Wochen verlängerte. Der Sergeant Martial dagegen murrte, schimpfte und wetterte über die Hochfluth und gebrauchte französische und spanische Kraftausdrücke, womit er den Strom belegte, so daß Jean von Kermor Mühe hatte, ihn einigermaßen zu beruhigen.
»Es genügt nicht, den nöthigen Muth zu haben, mein lieber Martial, sagte er wiederholt, man muß sich auch mit tüchtigem Vorrath an Geduld ausrüsten, denn die werden wir gelegentlich brauchen.
- Daran soll es mir zwar nicht fehlen, Jean, doch dieser verwünschte Orinoco, konnte er sich uns wenigstens zu Anfang nicht etwas liebenswürdiger zeigen?
- So bedanke Dich, lieber Onkel; ist es nicht vorzuziehen, wenn er uns seine Liebenswürdigkeiten bis zu Ende bewahrt? Wer weiß denn, ob wir nicht gezwungen sein werden, bis an seine Quellen zu gehen?
- Ja, wer weiß das, brummte der Sergeant Martial, und wer weiß, was uns da unten passiert!«
Im Laufe des 20. August verminderte sich, während der Wind mehr nach Norden umlief, die Heftigkeit des Chubasco zusehends. Hielt sich der Wind in dieser Richtung, so konnten ihn die Piroguen mit Vortheil benutzen. Gleichzeitig fiel auch das Wasser - der Strom trat in sein gewöhnliches Bett zurück. Die beiden Schiffer Martos und Valdez erklärten, daß man am nächsten Tage vormittags abfahren könne.
Das fand denn auch unter den günstigsten Bedingungen statt. Gegen zehn Uhr hatten sich die Bewohner des Orts nach dem Ufer begeben. Die Flagge Venezuelas flatterte an der Mastspitze jeder Pirogue. Auf dem Vordertheile der »Maripare« standen die Herren Miguel, Felipe und Varinas und beantworteten grüßend die Zurufe der Einwohner.
Dann drehte sich Herr Miguel nach der »Gallinetta« um.
»Glückliche Reise, Herr Sergeant! rief er heitern Tones.
- Glückliche Reise, Herr Miguel! erwiderte der Sergeant, denn wenn sie für Sie glücklich verläuft.
- So wird das auch für uns Alle der Fall sein, fuhr Herr Miguel fort, denn wir machen sie ja zusammen!«
Die Palancas stemmten sich gegen die Ufer, die Segel wurden gehißt, und, von günstiger Brise getrieben, glitten die beiden Fahrzeuge unter den letzten Vivats vom Land her der Mitte des Stromes zu.
Sechstes Capitel
Von einer Insel zur andern
Die Fahrt auf dem mittleren Orinoco hatte also begonnen. Viele eintönige Stunden und Tage sollten nun an Bord der Piroguen dahingehen. Welche Verzögerungen gab es auf diesem Strome, der sich zu einer schnellen Schifffahrt thatsächlich wenig eignet! Für Herrn Miguel und seine Begleiter gab es diese Eintönigkeit freilich kaum. Schon am Zusammenfluß des Guaviare und des Atabapo sollten sie ja ihre geographischen Arbeiten beginnen, die hydrographischen Verhältnisse eingehender erforschen, die Lage der zahlreichen Zuflüsse und Inseln studieren, die Stellen der vielen Raudals bestimmen und überhaupt die Irrthümer berichtigen, an denen es den bisherigen Karten dieses Landestheiles nicht mangelte. Für Gelehrte, die noch immer mehr zu lernen streben, vergeht die Zeit ja im Fluge.
Es war vielleicht zu bedauern, daß der Sergeant Martial so heftig dagegen gestimmt hatte, die Reise in einunddemselben Fahrzeuge zu unternehmen, denn dann wären ihnen die Stunden wohl nicht so endlos lang vorgekommen. In diesem Punkte hatte der Onkel aber hartnäckig seinen Kopf aufgesetzt und der Neffe übrigens nicht den geringsten Einwand erhoben, als ob es eben so sein müsse.
Der junge Mann mußte sich damit begnügen, das Werk seines Landsmannes, das übrigens in Bezug auf alles, was den Orinoco betrifft, höchst zuverlässig ist, immer und immer wieder durchzustudieren, und einen bessern Führer, als jenen französischen Reisenden, hätte er auch gar nicht finden können.
Als die »Maripare« und die »Gallinetta« die Strommitte erreicht hatten, bemerkte man die Cerros (Hügel), die die benachbarten Ebenen unterbrechen. Gegen elf Uhr wurde am linken Ufer ein Haufen von Hütten sichtbar, der am Fuße granitner Anhöhen lagerte. Es war das Dorf Cabruta, das aus etwa fünfzig Strohhütten bestand, und wenn man deren Zahl mit acht multiplicierte, erhielt man annähernd die seiner Einwohner. Hier verdrängten seiner Zeit Mestizen die jetzt thatsächlich zerstreuten Guamos-Indianer, Eingeborne, deren Haut übrigens weißer ist, als die der Mulatten. Da jetzt grade Regenzeit war, konnten der Sergeant Martial und Jean von Kermor doch einzelne der Guamos, die dann auf ihren Baumrindenbooten dem Fischfange obliegen, zuweilen in großer Nähe beobachten.