- Nein, antwortete der alte Soldat, ich will nicht, daß eine einzige der abscheulichen Bestien Dir um die Ohren summt!«
Und er setzte sein Morden fort, so lange sich noch ein verdächtiges Schwirren vernehmen ließ. Erst als er sah, daß
Jean wirklich eingeschlummert war, suchte auch er sein Lager auf. Er selbst machte sich ja nichts aus solchen Angriffen. Obwohl er sich aber für zu »lederhart« hielt, um davon zu leiden, wurde er doch wie jeder Andre tüchtig zerstochen und kratzte sich, daß die ganze Pirogue erzitterte.
Am nächsten Morgen wurden die Haltetaue gelöst, und wieder ging es unter Segel weiter. Der Wind war noch günstig, setzte aber dann und wann aus. Große Haufenwolken hingen niedrig am Himmel. Der Regen stürzte in Strömen herab, und Alle mußten im Deckhause bleiben.
Nun galt es noch obendrein, einige Stromschnellen zu überwinden, die eine Folge der Einengung des Bettes durch mehrere kleine Inseln waren. Schließlich mußte sogar ganz nahe am linken Ufer, wo eine schwächere Strömung stand, hingefahren werden.
Das Uferland hier hatte ein sumpfiges Aussehen mit einem Gewirr von Canälen und Tümpeln. Den gleichen Charakter bewahrt es von der Mündung des Apurito an bis zu der des Arauca auf eine Strecke von hundert Kilometern. Hier ist die Gegend, wo die zahlreichsten Wildenten vorkommen. Wenn sie über die Ebenen hinflatterten, sah es aus, als wäre der Himmel mit schwarzen Flecken übersäet.
»Wenn es deren auch so viele wie Muskitos giebt, so sind sie doch weniger lästig meinte der Sergeant Martial, ganz abgesehen davon, daß man sie essen kann!«
Die Richtigkeit dieses Ausspruchs dürfte wohl niemand bezweifeln.
Sie wurde auch durch ein Vorkommniß erhärtet, das Elisee Reclus nach Carl Sachs berichtet. Man erzählt sich, versichert er, daß ein neben einer Lagune dieser Gegend lagerndes Reiterregiment sich vierzehn Tage lang ausschließlich von solchen Wildenten ernährt habe, ohne daß nur eine Abnahme der Schaaren dieser Vögel bemerkt worden wäre.
Die Jäger von der »Gallinetta« und der »Maripare« verminderten ebensowenig wie das Reiterregiment die Legionen dieses Geflügels. Sie begnügten sich, davon einige Dutzend zu erlegen, die dann mittels der Curiares von der Wasserfläche aufgefischt wurden. Dem jungen Mann gelangen einige recht glückliche Schüsse, zur großen Genugthuung des Sergeanten Martial, und da dieser sich sagte, daß eine Höflichkeit eine andre werth sei, übersandte er Herrn Miguel und seinen Gefährten, die damit schon reichlich genug versehen waren, einen Theil der Jagdbeute. Er wollte gegen die andre Gesellschaft keine Verbindlichkeiten haben.
Am nächsten Tage hatten die Führer der Piroguen öfters Gelegenheit, ihre Gewandtheit in der Vermeidung von Felsenvorsprüngen zu beweisen. Stießen sie gegen einen solchen an, so bedeutete das, bei dem infolge des Regens hohen Wasserstande, den Verlust des ganzen Fahrzeugs. Das Manöver erforderte nicht allein eine ganz sichere Handhabung der Pirogue am Hintertheile, sondern es galt daneben auch, auf abschwimmende Baumstämme zu achten und ihnen aus dem Wege zu gehen. Diese Bäume rührten alle von der Insel Zamuro her, deren stückweiser Zerfall schon vor einigen Jahren begonnen hatte. Die Insassen der Piroguen konnten sich durch den Augenschein überzeugen, daß die genannte, vielfach unterspülte Insel ihrer gänzlichen Zerstörung entgegenging.
Die Falcas lagen die Nacht über an der stromaufwärts gerichteten Spitze der Insel Casimirito fest. Sie fanden hier hinreichenden Schutz gegen einzelne Windstöße, die sich mit ungeheurer Gewalt entfesselten. Einige leere, gewöhnlich von Schildkrötensängern benützte Hütten dienten den Passagieren als sichrerer Schutz, als ihn das Deckhäuschen bot. Hier ist aber nur von den Passagieren der »Maripare« die Rede, denn die von der »Gallinetta« gingen trotz erhaltener Aufforderung nicht mit ans Land.
Uebrigens war es vielleicht nicht einmal klug, die Insel Casimirito zu betreten, die außer von vielen Affen auch von Pumas und Jaguaren bevölkert ist. Zum Glück nöthigte der Sturm die Raubthiere, sich in ihre Schlupfwinkel zu verkriechen, wenigstens wurde das nächtliche Lager nicht angegriffen. Wenn es in der Luft einmal ruhiger war, vernahm man wohl dann und wann ein wildes Brüllen und lärmendes Geschrei einer Affenart, die den Namen Heulaffen, den ihnen die Naturforscher gegeben haben, gründlich verdient.
Am folgenden Morgen zeigte der Himmel ein etwas freundlicheres Gesicht. Die Wolken hatten sich noch mehr gesenkt, und an Stelle des in hohen Luftschichten gebildeten Platzregens rieselte es ganz sein, wie Wasserstaub, hernieder, und auch das hörte mit Tagesanbruch bald auf. Dann und wann blickte die Sonne durch das Gewölk und eine Nordostbrise frischte auf, bei der die Piroguen ihr Segel voll ausnutzen konnten, da der Strom hier und jenseits Buena Vista nach Westen abbiegt, ehe er sich mehr nach Süden wendet.
Das Bett des jetzt sehr breiten Orinoco bot da einen Anblick, über den Jean von Kermor und der Sergeant Martial als Nanteser wohl stutzen mochten. Das veranlaßte den alten Soldaten auch zu der Bemerkung:
»He, lieber Neffe, sieh' Dich doch einmal um, wo wir heute sind.«
Aus dem Deckhause tretend, begab sich der junge Mann nach dem Vordertheile des Fahrzeugs, dessen Segel sich hinter ihm blähte. Die sehr klare Luft ließ überall den entfernten Horizont der Ilanos erkennen.
Da vervollständigte der Sergeant Martial noch seine Worte.
»Sollten wir etwa gar nach unsrer geliebten Bretagne zurück versetzt sein? sagte er.
- Ich verstehe Dich, antwortete Jean, hier gleicht der Orinoco ganz der Loire.
- Ja, Jean, unsrer Loire oberhalb wie unterhalb Nantes'. Siehst Du dort die gelben Sandbänke? Wenn hier ein halbes Dutzend Küstenfahrer mit ihrem großen viereckigen Segel einer im Kielwasser des andern dahinzögen, würd' ich glauben, wir müßten bald in Saint-Florent oder in Mauves ankommen!
- Du hast recht, mein guter Martial, die Aehnlichkeit ist frappierend. Die weiten Ebenen, die sich längs der beiden Ufer ausdehnen, erinnern mich jedoch eher an die Wiesenflächen der untern Loire, wie bei Pellerin oder bei Paimboeuf.
- Richtig, lieber Neffe, mir ist's auch so, als müßte jeden Augenblick der Dampfer von Saint-Nazaire auftauchen - der Pyroscaph, wie man da unten mit einem Worte sagt, das mir aus dem Griechischen, das ich nie begreifen konnte, zu stammen scheint.
- Und wenn der Pyroscaph auch käme, lieber Onkel, antwortete der junge Mann lachend, würden wir uns seiner doch nicht bedienen, sondern ihn vorüberrauschen lassen. Nantes ist jetzt da, wo mein Vater ist. nicht wahr?
- Ja, da wo mein wackrer Oberst weilt; und wenn wir ihn gefunden haben, wenn er erst weiß, daß er auf der Welt nicht allein steht, dann. dann fährt er mit uns den Strom wieder hinunter, erst in einer Pirogue, dann mit dem »Simon Bolivar«. und schließlich besteigen wir den Dampfer von Saint-Nazaire, aber nur, um beglückt nach Frankreich heimzukehren.
- Möge Gott Dich hören!« murmelte Jean.
Und bei diesen Worten irrte sein Blick stromaufwärts hinaus nach den Cerros, deren entfernte Silhouette sich im Südosten zeigte.
Dann kam er wieder auf die übrigens ganz richtige Bemerkung zurück, die der Sergeant Martial über die Aehnlichkeit der Loire und des Orinoco in diesem Theile seines Laufes gemacht hatte.
»Ja, meinte er, was man aber zu gewissen Zeiten auf den Sandstrecken hier beobachten kann, das würde man auf der obern wie auf der untern Loire doch niemals sehen.
- Und was wäre das?
- Das sind Schildkröten, die jedes Jahr hierherkommen, ihre Eier abzulegen und sie in den Sand zu vergraben.
- Ah so. hier giebt es also Schildkröten.
- Zu Tausenden! Der Rio, den Du dort am rechten Ufer siehst, hieß auch Rio Tortuga, ehe er den Namen Rio Chaffanjon erhielt.
- Und wenn er Rio Tortuga hieß, hatte er diesen Namen gewiß verdient. Bisher indeß sah ich keine.